Eröffnungsrede: PA Bernd Hertel von Thomas Zaglmaier, 11. August 2018
Â
Methamorphosen
Â
Nach Wochen, ja Monaten, anhaltender Hitzetemperaturen, macht es einfach Freude an Schnee zu denken. Stellen Sie sich also vor, wie sich feinste Tröpfchen unterkühlten Wassers in den Wolken anlagern und gefrieren, um dann als Schnee herabzufallen. Die Landschaften, Städte und Gemeinden erhalten ein weiÃes Kleid. An den Polen der Erde und in den Hochgebirgen, wo im Mittel des Jahres weniger Schnee schmilzt als hinzukommt, können sich nicht zuletzt durch den Eigendruck, und weitere Faktoren, Gletscher bilden. Man spricht von der Metamorphose des Schnees.
Nun hätte ich aus der Vielzahl von uns bezeichneter Prozesse der Botanik, Geologie oder Zoologie ebenso ein Beispiel wählen können, Sie, liebe Gäste, zum Titel der Ausstellung âMetamorphosenâ zu führen, welchen Bernd Hertel aus gutem Grund dafür wählte. Keines dieser Beispiele verschafft gedanklich Kühlung - auch nicht der Verweis auf Musik, Mythologie, und Kunst inbegriffen, dem Bezug zu den Metamorphosen des Ovid.
Bernd Hertel entschied sich für eine zurückhaltende Farbigkeit, als er in den vergangenen zwei Jahren zuvor geschaffene druckgrafischen Arbeiten in Mischtechnik überarbeitete und somit einer Metamorphose zuführte. Im Ergebnis dürfen wir heute eine auf das Sensibelste abgestimmte Ausstellung, auf der Basis einer wohlüberlegten Ausstellungskonzeption erleben. Sie präsentiert in variantenreichen Blöcken des gleichen grafischen Grundmotives, was künstlerisch möglich ist, wenn Farbe auf monochromen grafischen Ideen aufbaut. Mit dem neuen und stets individuellen schöpferische Ansatz, wendet sich der Künstler gleichsam von der Serie ab und schafft Unikate, die freilich ihren Ursprung erkennen lassen.
Die menschliche Figur ist dem Künstler wichtig. Bernd Hertel zeigt sie in Bewegung und erzeugt mit deren Verwandlung, im Sinne der Metamorphose, zusätzlich Dynamik. Dabei verzichtet Bernd Hertel nicht selten auf reale Proportionen, die seinem Werk eine reizvolle Spannung verleiht. Entgegen seinem malerischen Werk setzt der Künstler hier auf Spontaneität. Der Schöpfungsprozess beginnt erst mit der Ausführung, das Ziel bleibt weitestgehend offen und ist, aufgrund der Versiertheit des Künstlers, keineswegs zufällig, sondern intuitiv kontrolliert. Der mögliche Variantenreichtum zeigt sich deutlich am Beispiel der 15 liegend ausgestellten Köpfe. Bei gleicher grafischer Vorlage ändern sich, mit der weiteren Bearbeitung, Stimmungen und Physiognomien erheblich. Mit seinen hier ausgestellten 85 Skizzen präsentiert Bernd Hertel in den Vitrinen eine Art Tagebuch. Auch diese Blätter entstanden spontan. Sie sind exakt datiert und wurden Reflektionen von Stimmungen der Momente ihrer Entstehung, von Beginn bis Ende der jeweiligen Arbeit. Diese Skizzen entstanden zu Hause, im Atelier oder unterwegs auf Einzelblättern oder im Skizzenblock, aus dem sie herausgelöst wurden. Die Abrissspuren aus den Ringordnern wurden bewusst belassen und verleihen Authentizität.
Zahlreiche Reisen führten Bernd Hertel an reizvolle Orte. Die Ruinen von El Quad in Algerien zeigen u.a. einen Keramikofen, wie er häufig von am Rande der Wüste lebende Kulturen verwendet wurde und wird. Die traditionell von Hand aus örtlich vorhandenen Materialien errichteten Bauwerke fanden das Interesse des Künstlers. So wie die Ãfen selbst sind auch die hier gebrannten Keramiken weit entfernt von der Haptik uns vertrauter industrieller Fertigung und vermitteln einen individuellen Charakter. Und eben diese Darstellung des Keramikofens erfährt mit ihrer Hilfe, sehr verehrte Damen und Herren, ebenso eine Metamorphose. Drehen sie gedanklich das Blatt âGesteinâ um 90°, so werden sie einen Charakterkopf mit offenem Mund entdecken.
Der Maler und Grafiker Bernd Hertel erlebte mit seiner persönlichen künstlerischen Ausbildung und anschlieÃenden künstlerischen Tätigkeit drei herausragende Bildungsstätten auf dem Gebiet der DDR. Dabei bot die Grundlagenausbildung an der Arbeiter- und Bauernfakultät für Bildende Künste in Dresden jenen Ansatz, welcher für viele heute ebenso namhafte Künstler den Startpunkt für eine erfolgreiche Laufbahn kennzeichnete. Gerade mal zwölf Jahre nach dem letzten Weltkrieg schöpften junge kunstinteressierte Menschen hier Kraft und setzten sich mit der Idee humanistischer und sozialistischer Weltanschauung kritisch auseinander. Von 1960 an studierte Bernd Hertel an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei den Professoren Bernhard Heisig und Werner Tübke. Dieses Studium schloss er 1966 mit dem Diplom ab und war fortan als Maler und Grafiker, häufig mit symbolischen und religiösen Motiven, der heute so viel diskutierten Leipziger Schule tätig. Nicht nur in Halle ist Bernd Hertel den Freunden der Kunst zusätzlich bekannt durch seine langjährige Tätigkeit an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein. 1983 nahm er seine Lehrtätigkeit im Hochschuldienst auf, erlang bald darauf den âfacultas docendiâ und wurde 1989 zum Dozent für Bildnerische Grundlagen an der Hochschule für Kunst und Design Burg Giebichenstein berufen. Hier war er als Lehrgebietsleiter für Grundlagen der visuellen Gestaltung tätig und wirkte so über viele Jahre maÃgeblich mit bei der Bildung einer neuen Generation von Gestaltern und Künstlern.
Bernd Hertel war Mitbegründer der Leipziger Grafikbörse. Die im Sommer des Jahres 1972 gegründete Gruppe junger Künstler, wie Arno Rink, Werner Hennig, Günter Glombitza, Egbert Herfurth, Bernd Hertel, Rolf Münzner, Günter Richter, Peter Sylvester und Peter Schnürpel, machte im Rahmen einer Arbeitsgruppe des Künstlerverbandes mit einem neuen Konzept des Kunsthandels (wir würden heute sagen, der Künstlerselbstvermarktung) zunächst im Gebäude der Alten Handelsbörse am Naschmarkt in Leipzig von sich reden und richtete sich unmittelbar an die Kunstsammler. Das national erfolgreiche Konzept erhielt schnell auch internationale Bedeutung und wurde von Künstlern aus Krakau, Pecs und Plovdiv unterstützt. Mit der politischen Wende von 1989 und der Neugründung des Vereins von 1991 beteiligten sich vermehrt auch Künstler aus ganz Deutschland und Westeuropa an den regelmäÃig stattfindenden Märkten, die den Charakter umfassender Kunstausstellungen erhielten und auch auÃerhalb der Stadt Leipzig präsentiert wurden.
Nun habe ich im Verlauf meiner kleinen Einleitung zur Ausstellung âMetamorphosenâ des heute in Leipzig lebenden und arbeitenden Malers und Grafikers Bernd Hertel nun doch noch meinen Vorsatz verlassen, Sie, liebe Zuhörer, durch nichts an die hoffentlich bald durchlebte anhaltende Hitzewelle zu erinnern. Den gedanklichen Ausflug in die Wüste Sahara und die Erwähnung des Keramikofens werden Sie mir sicher verzeihen. Der Gedanke an Schnee und die Möglichkeit heute erste Weihnachtsgeschenke erwerben zu können liegt augenzwinkernd nicht sehr fern.Â
Lieber Herr Hertel, ich danke Ihnen herzlich für diese wunderbare Ausstellung und die angenehme Zusammenarbeit. Ich danke der Familie des Künstlers und Ihnen liebe Kunstfreunde für Ihr Kommen und Ihre Aufmerksamkeit.
Â
Thomas Zaglmaier