130-Milliarden-Paket beschlossen | Sinn und Glück | Im Schatten von Versailles
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Stimme
des Westens

Moritz Döbler

04. Juni 2020

Liebe Frau Do,

bevor wir auf die deutsche Politik schauen ein Blick in die USA. Von dort die gute Nachricht: Es blieb über Nacht zunächst friedlich, sowohl in Washington als auch in anderen US-Städten. Allerdings gibt es nun Hinweise, dass Rechtsextreme die Proteste gegen Rassismus unterwandert haben könnten, zu Gewalt angestachelt haben sollen. Drei Männer wurden festgenommen.

Gestern hatte es die Koalition am späten Abend geschafft: Das Konjunkturpaket steht, nun ist es sogar 130 Milliarden Euro schwer. Die zentralen Fakten haben Eva Quadbeck und Birgit Marschall recherchiert. Das 15-seitige Papier, das verabschiedet wurde, liest sich wie ein neuer Koalitionsvertrag. Eva Quadbeck bewertet ihn in ihrem Leitartikel. Eine Gegenfinanzierung der Etatposten gibt es vorerst nicht. John Maynard Keynes empfahl Regierungen, in Krisenzeiten die Nachfrage zu stärken, um die Konjunktur auf Trab zu bringen. Das passiert jetzt. Der Lehre des großen Ökonomen folgend soll das aber mit den Mehreinnahmen im hoffentlich folgenden Aufschwung bezahlt werden – dann sollen die Staatsschulden wieder abgebaut werden. Das klappt in Deutschland seit vielen Jahren nicht. Eine Schwarze Null ist nach dieser Lesart zu kurz gesprungen. Schon jetzt zeichnet sich hier also eine der größten Aufgaben der nächsten Bundesregierung ab.

Die Nachfrage, die angekurbelt werden soll, hat unmittelbar mit dem Einkommen der Menschen und damit mit dem Arbeitsmarkt zu tun. Wie die aktuellen Daten aus Nürnberg zu werten sind, schreibt unsere Berliner Korrespondentin Birgit Marschall in ihrem Leitartikel. Aber selbst die, die es sich leisten können, werden in den nächsten Monaten ihr Geld zurückhaltend ausgeben, die Krise drückt auf die Stimmung. Es muss sich also noch zeigen, wie wirksam das Konjunkturpaket tatsächlich sein kann. Die Pandemie löst aber nicht nur eine wirtschaftliche Krise aus. Viele Menschen tun sich mit der vielfach beschworenen neuen Normalität der Distanz schwer, wie unser Politikchef Martin Kessler in seiner Analyse schreibt. Sie werden der Corona-Regeln überdrüssig, während ihre Angst vor der zweiten Welle schwindet.

Jetzt scheinen auch wieder Urlaubsreisen möglich zu werden, die Bundesregierung hebt ihre Corona-Warnungen für die meisten europäischen Länder in knapp zwei Wochen auf. Ich hatte Ihnen von meiner für Ende Juni geplante Mallorca-Reise erzählt. Inzwischen habe ich sie storniert – denn das Hotel ist auch dann noch geschlossen – und will stattdessen am Rhein flussaufwärts wandern. Ohne die Pandemie wäre ich vermutlich nicht auf diese Idee gekommen, ich bin gespannt. Und Sehnsucht nach dem Süden lässt sich auch im Kino stillen: Den wunderschönen neuen Liebesfilm „La Palma“ stellt Ihnen Philipp Holstein vor.

Rund 3500 Kilometer nordöstlich von der kleinen Kanareninsel wurde heute vor 100 Jahren der Friedensvertrag von Trianon unterzeichnet, der die Teilung Ungarns besiegelte. Wenn Ihnen das nur mäßig spannend vorkommt, sollten Sie unbedingt den Text von Matthias Beermann lesen. Trianon steht im Schatten von Versailles, erklärt aber, warum der Erste Weltkrieg in Osteuropa bis heute so lebendig ist. Wer sich um die Einheit des Kontinents bemüht, muss dieses Trauma kennen.

Ein Trauma ist seit 2007 der Fall Madeleine McCann. Das damals drei Jahre alte Mädchen verschwand mitten im Portugal-Urlaub, den sie mit ihren Eltern verbrachte. Seit 13 Jahren fehlt von ihr jede Spur, zwischenzeitlich gerieten ihre Eltern sogar ins Fadenkreuz der Ermittler. Nun wurde am Mittwochabend bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig Mordermittlungen gegen einen 43 Jahre alten Deutschen aufgenommen hat.

Traumatische Erfahrungen erzeugt auch die historische Pandemie, die wir gerade erleben – daneben aber viele nützliche Einsichten über uns selbst. Der Bestseller-Philosoph Wilhelm Schmid verrät in einem Interview, das Dorothee Krings geführt hat, welche Lehre er aus den Corona-Zeiten zieht: dass nämlich Sinn viel wichtiger ist als Glück. Ob man das eine von dem anderen trennen kann? Ich vermute jedenfalls, dass Sinn Glück stiften kann (umgekehrt klappt es vielleicht auch). Aber so oder so wünsche ich Ihnen für heute beides, also jeweils eine ordentliche Portion Sinn und Glück.

Herzliche Grüße!

Ihr

Moritz Döbler

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