Sehr geehrter Herr Do,
der große Karl Lagerfeld wurde von vielen nicht nur für seinen feinsinnigen Humor gerühmt, sondern von manchem auch ob seiner verbalen Boshaftigkeiten gefürchtet. Als der vor vier Jahren verstorbene Modezar einst in einer Talkshow nach Heidi Klum gefragt wurde, reagierte Lagerfeld, als hätte ihm der Moderator gerade eine Zitrone mit der Bitte um sofortigen Verzehr gereicht: „Ich kenne sie nicht. Claudia (Schiffer) kennt die auch nicht. Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.“  

Was erlauben Lagerfeld? 2009, als Johannes B. Kerner dem deutschen Star-Designer in seiner Sendung diesen abfälligen Kommentar entlockte, war Heidi Klum bereits ein Weltstar; lief seit mehr als zehn Jahren als Victoria’s-Secret-Engel mit anderen Model-Größen wie Naomi Campbell, Gisele Bündchen oder Tyra Banks über den Laufsteg, zierte als erste Deutsche überhaupt die Titelseite der berühmtesten Bikini-Ausgabe der Welt („Sports Illustrated Swimsuit Edition“), produzierte, moderierte und urteilte im US-Fernsehen in einer erfolgreichen Fashion-Designer-Show („Project Runway“) und war der hiesigen „Vogue“ eine eigene Edition wert. Die deutsche Ausgabe der internationalen „Mode-Bibel“ widmete im Juni 2009 der damals 36-Jährigen ein 140 Seiten starkes Heft. Mit einem einzigen Thema: Heidi Klum.
Als erstes deutsches Model schaffte es Heidi Klum auf das Cover der legendären Swimsuit-Ausgabe der „Sports Illustrated“ 
Trotz Weltkarriere, globaler Wertschätzung und Millionen auf dem Konto: An der gebürtigen Bergisch Gladbacherin scheiden sich seit ihrem sagenhaften Aufstieg die Geister. Für die einen ist sie der schönste deutsche Exportschlager seit Nenas „99 Luftballons“, andere sahen bald eine kühl-berechnende Business-Frau in ihr, die die Modelträume junger Frauen auf dem Altar der TV-Unterhaltung opfert. Die seit 2006 von ProSieben ausgestrahlte Casting-Show „Germany’s Next Topmodel“ machte Heidi Klum zum schwerreichen Superstar – und zugleich zu einer höchst umstrittenen Fernsehfigur. 
Mit diesem Plakat warb Heidi für die 18. Staffel von „Germany's Next Topmodel“ 
Gegenwind erfährt die Fashion-Ikone nicht nur für ihr TV-Format „Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum“. Seit dem 25. Januar 2006, als die Casting-Show erstmals im deutschen Fernsehen zu sehen war, arbeiten sich die Klum-Kritiker an dem Format und seiner namensgebenden Präsentatorin ab. Der Hauptvorwurf lautet, hier würden junge und medienunerfahrene Frauen vor einem Millionenpublikum vorgeführt. GNTM sei eine zynische Unterhaltungsshow für Sofa-Voyeure. Heidi Klum würde für Quote und Kohle Mädchen-Modelträume erst befeuern, um sie dann publikumswirksam zu zerstören. Die Macher der Modelshow reagierten auf die anhaltende Kritik und überarbeiteten immer wieder das Format. Wurde bei der Premiere 2006 mit Lena Gercke noch ein Abbild Heidi Klums zur Siegerin gekürt, findet sich inzwischen – ganz offensichtlich dem Zeitgeist geschuldet – ein deutlich diverserer Cast in dem umstrittenen Format wieder. Unter die zumeist bemitleidenswerten Magermädchen mischen sich inzwischen auch eher üppig geformte Ü50-Kandidatinnen. Aber auch ehemalige Teilnehmerinnen üben immer wieder Kritik an der ProSieben-Show. Den größten Vorwurf muss sie sich allerdings aus der eigenen Branche gefallen lassen: So sei bisher keiner der Siegerinnen eine internationale Modelkarriere gelungen. Allerdings ist auch nicht bekannt, dass die RTL-Show „Deutschland sucht den Superstar“ jemals einen international erfolgreichen Popkünstler hervorgebracht hätte. 
Lena Gercke (l.) gewann die Premieren-Staffel von „Germany's Next Topmodel“. Heute ist sie nicht nur Model, sondern auch erfolgreiche Unternehmerin 
Lauter Kritik sieht sich „die Klum“ aber auch ganz aktuell wieder ausgesetzt. Stein des Anstoßes ist eine Dessous-Kampagne für ein italienisches Mode-Label. Ein Problem sehen viele nicht darin, dass Heidi Klum halbnackt für eine Unterwäschemarke posiert. Empörend finden Kritiker, dass das Top-Model für die Fotos nicht alleine vor der Kamera steht. Sondern zusammen mit ihrer Tochter Leni. Die 18-Jährige, die aus Heidis Beziehung mit dem ehemaligen Formel-1-Manager Flavio Briatore stammt, machte bereits zuvor die ersten Schritte ins Model-Business. Schon 2022 zeigten sich Mutter und Tochter gemeinsam in der Werbe-Kampagne für die Lingerie-Marke Intimissimi. Die Fotos sorgten weltweit für Aufsehen – aber auch für scharfe Kritik. Die britische Modejournalistin Anna Murphy schrieb in ihrer Kolumne in der „London Times“, sie sei „überrascht von der, nun ja, Intimität einiger der Aufnahmen“. Statt nach „Schwesternschaft“ sähen sie eher nach Verführung aus. Auch aus anderer Richtung wurde der Vorwurf laut, Heidi Klum biete ihre Tochter wie eine Ware an. Die feministische Autorin Maureen Callahan sah in den Fotos gar eine inzestuöse Verbindung von Mutter und Tochter. 
Für die Lingerie-Marke „Intimissimi“ modeln Heidi und Tochter Leni aktuell zum zweiten Mal gemeinsam
Heidi Klum selbst scheinen all die öffentlichen Anfeindungen und Boshaftigkeiten der Kollegen wenig bis nichts anhaben zu können. Kritik an ihrer vermeintlich allzu öffentlich geführten Ehe mit dem gefühlt halb so alten Tokio-Hotel-Gitarristen Tom Kaulitz? Kuschelt sie in unzähligen Instagram-Storys weg. Kritik an ihrem Hang, sich bei jeder Gelegenheit freizügig zu präsentieren? Beantwortet sie mit weiteren sexy Bildern. Kritik an ihrer Casting-Show GNTM? Kontert sie ungerührt mit dem Satz: „Am Ende des Tages bin ich der Boss, und ich mache die Regeln.“ 

Sie ist der Star. Der Rest ist allenfalls dekoratives Beiwerk. 

Am 1. Juni feiert Heidi Klum ihren 50. Geburtstag. Schon ab dem 26. Mai ist das deutsche Super-Model aber als Highlight in einer Ausstellung des britischen Fotografen Rankin zu bewundern. Die Bilderschau  „Rankin – Zeitsprünge“ wird bis zum 27. September 2023 im Ernst Leitz Museum in Wetzlar zu sehen sein und bietet einen spannenden Einblick in das umfangreiche Werk der Fotografen-Legende. 
Ikonisches Bild: Die Aufnahme von Rankin sehen Sie jetzt in der Ausstellung „Rankin: Zeitstpünge“ in Wetzlar
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Viel Vergnügen,

Ihr
Florian Boitin, Chefredakteur
boitin@playboy.de
 
 

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