Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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12. Mai 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
die deutschen Farben sind nicht einfach nur Farben. Schwarz, Rot, Gold – diese Farben beschreiben auch deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte beginnt mit dem Schwarz der CDU des Kanzlers Konrad Adenauer und mit der von ihm betriebenen Eingliederung Westdeutschlands in das westliche Bündnis. Es folgt das Rot der Willy-Brandt-SPD mit der neuen Ostpolitik. Dann kommt das Gold der Wiedervereinigung, die im Jahr 1989, vor 35 Jahren also, mit dem Fall der Mauer begann. Aber es geschieht Bedrohliches: Das Gold verfärbt sich, es wird braun. Immer mehr Menschen wählen Rechtsaußen. Das Gold der deutschen Farben wird bräunlich. In den neuen Bundesländern ist das ganz besonders krass. Was ist passiert, warum ist das so? 

Es hat auch zu tun mit den späten Nachwirkungen des Weges, der hin zur Deutschen Einheit beschritten wurde; es sind Nachwirkungen des alten Artikels 23 des Grundgesetzes von 1949, der den „Beitritt“ regelte.  Im Jubiläumsjubel über das Grundgesetz darf man das nicht vergessen: Für die neuen Bundesländer änderte sich damals, auf der Basis dieses Beitrittsartikels, fast alles außer der Uhrzeit und der Jahreszeit. So hat es der verstorbene Historiker und Publizist Peter Bender formuliert. Die Veränderungsbereitschaft West dagegen war gleich null; man tat so, als habe der Kollaps der DDR die Bundesrepublik geadelt und ihre Schwächen in Stärken verwandelt. Das hat tiefe Spuren hinterlassen, in der Gesellschaft, in den Familien. Das ist nicht nach einer Generation vorbei. Es lag, wie Bender schrieb, „wenig Weisheit in der Art, wie die Deutschen vereinigt wurden“.

Der falsche Wegweiser 

Es gab zwei Wegweiser zur Wiedervereinigung im Grundgesetz:  Erstens den Weg via Artikel 23 Grundgesetz, also durch den Beitritt des Ostens zur alten Bundesrepublik. Und zweitens den Weg via Artikel 146, also durch die Ausarbeitung einer neuen Verfassung samt Volksabstimmung darüber. Die Logik und die Funktionsweise dieser Verfassungsartikel lässt sich mit zwei simplen Formeln beschreiben. Die Gleichung A + B = C beschreibt den Weg des Artikels 146 Grundgesetz: Aus zwei Staaten wird ein neuer Staat. Die Gleichung „A + B = A“ beschreibt den Weg des Artikels 23, den Weg des Beitritts: die Bundesrepublik bleibt Bundesrepublik, die DDR wird an sie angeschlossen und verschwindet spurlos. So wurde es gemacht. 

Abgelehnt wurde der 146er-Weg, abgelehnt wurde also eine Verfassungsreform, eine Überarbeitung des Grundgesetzes, eine Anreicherung der in Jahren 1948/1949 formulierten Grundgesetzartikel nun mit den Erfahrungen der Bürgerinnen und Bürger der DDR und der friedlichen Revolution. Für eine solche Neubearbeitung sei keine Zeit, sagten die Freunde der Beitrittslösung nach Artikel 23 Grundgesetz.

Aber: Hatten nicht die Väter des Grundgesetzes auf der Insel Herrenchiemsee bei ihren Beratungen im Jahr 1948 in nur 13 Tagen einen gereiften Text ausgearbeitet? Die Gegner der Beitrittslösung waren daher zuversichtlich, dass im Elan der friedlichen Revolution so etwas noch einmal gelingen könnte. Mit dem Satz „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ fanden sie auch einen schönen Slogan, aber keine Mehrheit, auch nicht im Osten, wo die meisten Menschen den schnellen Weg zu Mark und Wohlstand wollten. Und so verkündeten die bundesdeutschen Einheitsverhandler, Wolfgang Schäuble an der Spitze:  Etwas Besseres als das Grundgesetz gebe es einfach nicht.

Bei aller Wertschätzung des Grundgesetzes: Nicht jeder Punkt und jedes Komma, auch nicht jeder Artikel war und ist glanzvoll. Man hätte also Gutes noch besser machen können. Diese Chance ist damals vertan worden. Auch die verpassten Gelegenheiten gehören zum Grundgesetzjubiläum.
SZPlus Prantls Blick
Ein Anschluss unter dieser Nummer - Nachruf auf einen Grundgesetzartikel
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Ich wünsche Ihnen schöne Pfingsten. Dazu den Kalauer von Bert Brecht: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten, während Ostern, Geburtstag und Weihnachten was einbrachten.“

Ihr 
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Krapfen, Kringel, Kinderbücher
Wie überwindet man Feindschaft und Hass? Man kann darüber gelehrte Abhandlungen, Essays, Analysen und Leitartikel schreiben.  Man kann darüber auch ein Kinderbuch schreiben; das ist vielleicht am schwersten. Der Schweizer Literaturwissenschaftler Alfred Bodenheimer hat es getan â€“ und es ist ihm gelungen, es ist ihm sehr gelungen.  Bodenheimer ist im Hauptberuf Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel, er hat kluge Studien zum Beispiel über Moses geschrieben. In seiner kleinen Studie darüber, wie man Feindschaft überwindet, schreibt er nun über Krapfen, Kringel und über zwei verfeindete Nachbardörfer, die Hügelhausen und Talheim heißen; er schreibt darüber, wie es der jungen, nach Hügelhausen zugezogenen Bäckerin Sunny und drei Kindern gelingt, das Leben wieder zu entfeinden. Bodenheimer fährt nicht den großen Zeigefinger aus, er erzählt einfach; und er macht das wunderbar.

Alfred Bodenheimer: Krapfen und Kringel. Das Büchlein hat 76 Seiten, es ist 2024 erschienen im Züricher Atlantis-Verlag und empfohlen für Kinder ab 10 Jahren. Es kostet 16 Euro. Die Illustrationen dazu stammen von Noa Chawa Bodenheimer, der Tochter des Autors.
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SZPlus
Ein Kanzler, der so fehlt
Nie wieder, so der Kollege Nils Minkmar, begann eine Kanzlerschaft „mit solch selbstbewusster Zuversicht und dem Vertrauen auf die kommende Generation“. Vor fünfzig Jahren ist Willy Brandt zurückgetreten – nach der Enttarnung des DDR-Spions Günter Guillaume, den die Stasi als persönlichen Referenten Brandts in dessen Kanzleramt eingeschmuggelt hatte. Es war einer der größten Spionagefälle in der Geschichte der Bundesrepublik. Minkmar schreibt in der SZ vom Dienstag, 7. Mai, aus Anlass des Rücktrittsjubiläums eine Ode an und auf einen Kanzler, der nachdenklich war und zugleich „keine Scheu vor Glanz und Genuss“ hatte: Seither fehlen, meint Minkmar, dem Land „Eleganz, Idealismus und Zuversicht“. 
Zum Text von Nils Minkmar Pfeil
Besonders anrührend ist der Text, der in der gedruckten Zeitung neben Minkmars schönem Stück platziert ist: Der Schauspieler Matthias Brandt schreibt seine Kindheitserinnerungen an den Rücktritt: „Ich erinnere mich, wenn ich an die ersten Maitage 1974 denke, an meinen Vater Willy Brandt als einen müden Mann.“ Matthias Brandts Erinnerungen enden mit einem Rätsel: Warum hat denn der Kanzler am Abend des Rücktrittstages vor dem Fernseher so gelacht?
Zum Text von Matthias Brandt Pfeil
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