Aktienkurse rauf, Umsatz- und Gewinnerwartungen runter
Aktienkurse rauf, Umsatz- und Gewinnerwartungen runter von Sven Weisenhaus Aus China kommen derzeit keine guten Nachrichten. Bereits in der Nacht zum Dienstag gab es die Meldung, dass die Volksrepublik den Export bestimmter, für die Chip-Herstellung wichtiger Rohstoffe erschwert. Laut dem Handelsministerium in Peking müssen Unternehmen ab dem 1. August für die Ausfuhr von Gallium- und Germanium-Produkten eine Lizenz beantragen. Diese Maßnahme gilt als eine Reaktion auf die Beschränkungen der USA für den Export von Hochleistungschips an China. Und so besteht die Gefahr, dass sich der Handelskonflikt zwischen den beiden Großmächten wieder hochschaukelt. Chinas Erholung von den Corona-Einschränkungen verliert an Schwung Außerdem hat sich laut den heute veröffentlichten Einkaufsmanagerdaten auch die Stimmung unter den chinesischen Dienstleistern im Juni deutlich verschlechtert. Der vom Wirtschaftsmagazin Caixin erhobene Indikator fiel zum Vormonat um 3,2 Punkte auf 53,9 Zähler. Analysten hatten im Durchschnitt mit einem deutlich höheren Wert von 56,2 Punkten gerechnet. Zwar liegt das Barometer weiterhin über der 50-Punkte-Marke, die zwischen Expansion und Kontraktion unterscheidet, doch rutschte es auf den niedrigsten Wert seit der Lockerung der Corona-Beschränkungen im Januar. Die Erholung der Wirtschaft von der Corona-Pandemie verliert damit schon nach relativ kurzer Zeit deutlich an Schwung. Darauf deutet auch der zusammengesetzte Einkaufsmanagerindex, der sowohl das verarbeitende Gewerbe (siehe auch gestrige Börse-Intern) als auch den Dienstleistungssektor umfasst. Er rutschte im Juni auf 52,5 Punkte, von 55,6 im Mai. Die Umfragen von Caixin erfassen vor allem die Stimmung in kleineren und mittleren Unternehmen. Die offiziellen Einkaufsmanagerdaten der Regierung, die sich eher auf die größeren staatlichen Unternehmen bezieht, hatten sich im Juni ebenfalls eingetrübt. Problematisch wäre erst ein schrumpfender Dienstleistungssektor Aber noch stehen die Zeichen in China auf Wachstum. Und solange das auch in den USA der Fall ist, scheinen die Aktienmärkte keine Rezession zu fürchten. Problematisch könnte es allerdings werden, wenn sich nicht nur in China, sondern auch in den USA die Stimmung im Dienstleistungsbereich weiter eintrübt und die entsprechenden Einkaufsmanagerindizes sogar unter die 50er Marke rutschen. Denn vor allem in den USA hat der Service-Sektor eine viel größere Bedeutung für die Wirtschaft als die Industrie. Das Verhältnis liegt hier bei ca. 70:30. Wenn also die Industrie schwächelt, kann dies von einem starken Dienstleistungsbereich kompensiert werden. Umgekehrt ist es schon deutlich schwieriger. Und wenn beide Wirtschaftsbereiche schrumpfen, ist eine Rezession kaum zu vermeiden. Der Rückgang des US-Service-Index von S&P Global für Juni (siehe auch Börse-Intern vom 23.06.2023) mahnt daher zur Vorsicht und zur besonderen Beobachtung dieses Frühindikators für die Wirtschaft. Denn die US-Industrie schrumpft laut den Einkaufsmanagerdaten bereits. Und daher wird die morgige Veröffentlichung des Service-Index vom Institute for Supply Management (ISM) mit Spannung erwartet. Er notierte bereits im Mai mit 50,3 Punkten nur noch knapp oberhalb der Wachstumsschwelle. Für Juni wird ein Anstieg auf 51,0 erwartet. Werden diese Erwartungen enttäuscht, sollte man sich auf mögliche Kursverluste am Aktienmarkt einstellen. Die Kurse sind gestiegen, die Umsatz- und Gewinnerwartungen gesunken Worauf die Anleger aber vor allem schauen, sind die Gewinne der Unternehmen. Und inzwischen steht die Berichtssaison zum 2. Quartal 2023 vor der Tür. Zuletzt hatte ich am 16.05.2023 über die Gewinnerwartungen von Analysten für die Unternehmen aus dem S&P 500 berichtet. Damals wurde für das 2. Quartal 2023 ein Umsatzrückgang von -0,5 % und ein Gewinnrückgang von -5,6 % im Vergleich zum Vorjahr erwartet. (Quelle: Refinitiv) Seitdem hat der S&P 500 um 8 % zugelegt (beim Nasdaq 100 sind es sogar mehr als 13,4 %). Daher könnte man annehmen, dass die Analysten entsprechend optimistischer geworden sind und weit höhere Umsätze bzw. Gewinne erwarten. Doch das Gegenteil ist der Fall: (Quelle: Refinitiv) Für das 2. Quartal 2023 wurden sowohl die Umsatz- als auch die Gewinnerwartungen um 0,1 Prozentpunkte nach unten geschraubt. Und auch die Prognosen für die folgenden Quartale können diese starken Kursgewinne nicht begründen. In den meisten Fällen wurden auch hier die Erwartungen reduziert. Die längst überfälligen Rücksetzer und Korrekturen am Aktienmarkt wären daher angebracht gewesen. Doch stattdessen haben die weiteren Kursgewinne zu (noch) höheren fundamentalen Bewertungen geführt. – Was für eine irre Marktphase! Wie diese Grafik der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) zeigt, liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des S&P 500 mit 19,4 aktuell fast doppelt so hoch wie das des DAX (11,0). Teurer ist nur noch der japanische Nikkei 225, der in diesem Jahr ähnlich stark gestiegen ist wie der Nasdaq 100 (siehe „Nasdaq 100 und Nikkei 225 liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen“). Und dabei bietet der DAX eine weit mehr als doppelt so hohe Dividendenrendite als der S&P 500 (4,0 % vs. 1,6 %). Wer, um Himmels Willen, steigt aktuell noch in US-Aktien ein, die eine Rendite von 1,6 % bieten, wenn man am Anleihemarkt zeitgleich Zinsen von 5 % und mehr erhalten kann, und das ohne Kursrisiko (wenn man die Anleihen bis zum Laufzeitende hält)?! Investoren, die auf der Suche nach einer höchstmöglichen, aber zugleich auch möglichst sicheren Rendite sind, tun das ganz sicher nur bedingt. Aber am Aktienmarkt sollte man eigentlich genau diesen Investoren folgen. Fazit Daher bleibe ich dabei, US-Aktien zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Stattdessen setze ich weiterhin nur auf günstig bewertete heimische Aktien – auch wenn mir diese aktuell keine Kursgewinne bescheren, die innerhalb weniger Wochen oder gar Tagen reich machen könnten. Das überlasse ich den Spekulanten. Ich verfolge eine solide Investmentstrategie, die langfristig Erfolg verspricht. Und ich setze nicht auf spekulative Investments, die nur kurzfristig funktionieren und das Risiko bergen, in der Nähe des Hochs eingestiegen zu sein. Denn im Zweifelsfall müsste ich in der (längst überfälligen) Korrektur sehr lange warten, bis ich meinen Einstiegskurs wieder sehe, wenn überhaupt. Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse Ihr Sven Weisenhaus www.stockstreet.de
|