| | | | | 20. Dezember 2024 | | Deutscher Alltag | | | |
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| | | | | old habits die hard, lautet eine Spruchweisheit, die man in den USA immer wieder hört, alte Gewohnheiten legt man nur schwer ab. Jeder Mensch hat eigene old habits, seien dies Knacken mit den Fingergelenken, ständiges Räuspern oder das Wackeln mit dem rechten Bein. Für viele Journalisten und Innen gehört zu den alten Gewohnheiten am Jahresende das Schreiben besinnlicher Artikel mit moralischem Ausblick (zu Weihnachten) oder das Verfassen nachdenklicher Texte, die von gestern nach übermorgen blicken (zu Silvester). Unsterbliche Bestandteile der Jahresendmedienaktivitäten â kaum jemand auÃer den Walisern und den Maoris kann so lange Wörter bilden wie wir â sind die Rückblicke. Zeitungen und Zeitschriften sind voll davon, Fernsehen und Radio produzieren sie in einem AusmaÃ, als gäbe es nichts Wichtigeres als das, was war. Ich habe in meinen mehr als vier Jahrzehnten journalistischer Tätigkeit im Dezember so viele Rückblicke geschrieben, dass ich mich nicht wundere, wie viel Vergangenheit heute schon wieder als Zukunft gilt. Jahresrückblicke die especially hard. In dieser letzten Kolumne mindestens des alten Jahres â im Januar gehtâs vielleicht weiter â soll also nichts Besinnliches und nur wenig Zurückschauendes vorkommen. Den moralischen Ausblick wiederum möchte ich gerne dem Feuilleton oder, neuerdings, dem Wirtschaftsressort überlassen. Das Psychologische oder gar das Selbstpsychologisierende liegt mir nicht so sehr, weil ich, wahrscheinlich hoffnungslos altmodisch, Journalismus immer noch für einen Beruf und nicht für eine Form der Therapie halte. Nachdem es jetzt allerdings eine ausgerechnet von Unionisten angestoÃene âDebatteâ darüber gegeben hat, ob die Verkürzung von Friedrich zu Fritz, gar Fritze, nur ârespektlosâ oder schon demokratiegefährdend ist, bin ich nicht mehr ganz sicher, was zu welchem Zeitpunkt Journalismus, Therapie, Moralismus oder Ausblick auf bestimmt nicht bessere Zeiten ist. Der Vorwurf der Respektlosigkeit jedenfalls wird in diesem Wahlkampf noch oft zu hören sein, weil jeder und jede nach eigenem Gutdünken alles Mögliche für ârespektlosâ halten kann und dabei auÃerdem immer ein so angenehm empörter Unterton mitschwingt. âRespektlosâ wird der Universalvorwurf des Jahres 2025 werden. Ich zum Beispiel halte es für respektlos von Markus Söder, dass er in diesen Tagen nicht für mehr Schnee in Bayern sorgt. Ist Schnee besinnlich? Nein, Schnee als solcher â oder wie es jetzt in Talkshowkreisen wieder schwer in Mode kommt: Schnee âper seâ â ist nicht besinnlich. Er gilt aber im Zusammenhang mit Weihnachten (da haben wirâs wieder) als Mittel, Besinnlichkeit zu fördern. Nun ist â auÃer bei Trump, der AfD und anderen Tünkrämern â längst bekannt, dass Schnee in unseren Breitengraden nicht mehr so vorkommt (Vorsicht, Rückblick!) wie früher, weil es den Menschen schon heute gelungen ist, das Klima so weit zu verändern, dass Garmisch oder Nesselwang keine Skiorte mehr sind. Ich würde zu Weihnachten gerne meinen Sohn auf einem Schlitten durch die verschneite Landschaft ziehen. Das scheitert einerseits daran, dass es keinen Schnee mehr gibt. Andererseits ist mein Sohn 27 und könnte, gäbe es denn Schnee, an Weihnachten mich durch die Landschaft ziehen. Je älter man wird, desto mehr wird Weihnachten ein Fest des Konjunktivs. Der Konjunktiv, die Möglichkeitsform, scheint mir überhaupt in den bevorstehenden Monaten, gar im gesamten Jahr 2025, wichtiger zu werden als der Indikativ, die Wirklichkeitsform. Ein ausländisches Beispiel: Die Welt würde besser werden, wenn Kamala Harris und nicht Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewonnen hätte. Trump hält, ohne den subjunctive II, den Konjunktiv 2, zu kennen, den Konjunktiv für die Wirklichkeitsform. Und leider ist ihm mit einem unterwürfigen Kongress die Fähigkeit gegeben, das Irreale in Gesetze zu gieÃen. Trumps Wirklichkeitsform ist also die Möglichkeitsform. In Deutschland gilt das nicht ganz so scharf, aber dennoch: Die SPD, vielleicht auch die Grünen, werden sich nach dem 23. Februar darauf berufen, dass sie mit der Union nicht koalieren würden, wenn die Verhältnisse anders wären, wenn die AfD nicht so stark wäre, wenn ... na, Sie wissen schon, der Konjunktiv. Und die Union, in irgendeiner Form, wenn nötig, auch die CSU (nüüüüümals mit den Grünen) wird feststellen, dass es nicht respektlos ist, mit der SPD, gar mit den Grünen zu koalieren, weil die Verhältnisse und die FDP ... na, Sie wissen schon. Es wird eine Konjunktiv-Koalition geben, und irgendwer wird auch zu der wahnsinnig originellen Analyse kommen, dass eine Koalition keine Liebesheirat sei. Man könnte, hätte man denn die Zeit und die Mittel, von übermorgen an zehn Wochen nach Usbekistan reisen. Käme man am 3. März zurück, man hätte â Konjunktiv! â aller Wahrscheinlichkeit nichts wirklich Wichtiges versäumt. Natürlich reist man nicht nach Usbekistan, das zumindest in diesem Zusammenhang sowieso nur ein Konjunktiv-Land ist. Man bleibt im eigenen Indikativ-Land und versucht, aus der Fülle der Wahlkampf-Konjunktive Argumente herauszufiltern, die es einem erleichtern, auf der Basis von old habits wieder oder erstmals die Dings-Partei zu wählen. Allerdings ist der Ãbergang zum Konjunktiv-Land ohnehin nicht mehr fern. SchlieÃlich nennen sich Sahra Wagenknecht und Alice Weidel, beides ausgewiesene Subjunctive-II-Politikerinnen, jetzt auch Kanzlerkandidatin. Für die loyale Newsletter-Leserschaft soll am Ende des Noch-Indikativ-Jahres ein old habit wieder aufleben: die Bücherverlosung. Zu gewinnen gibt es zwei groÃe italienische Romane, Hardcover und Favoriten von mir: Curzio Malaparte, âDie Hautâ und Giuseppe Tomasi di Lampedusa, âDer Leopardâ. Möchten Sie die beiden gerne haben, schreiben Sie eine Antwort-E-Mail mit ihrer Postadresse und dem Betreff âVerlosungâ. Viel Glück und alles Gute. | |
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