man muss ja nicht gleich bei jeder Assoziationsstörung die Alarmsirenen anschmeißen – zumal der letzte Katastrophenwarntag im September 2020 ja ohnehin gezeigt hat, dass so manch eine Sirene nicht mehr heult. Und doch: Dieses Plakat weckt unangenehme Erinnerungen: „Berliner: Haltet zusammen.“ steht da mit einfacher schwarzer Schrift auf weißem Grund an einer Litfaßsäule im Prenzlauer Berg. Und darunter in Rot: „Und die Corona-Regeln ein.“ Nun ist Zusammenhalt in Krisenzeiten ja eigentlich eine feine Sache, und ein gelegentlicher Appell an das kränkelnde Wir-Gefühl kann im dreizehnten Monat der Pandemie auch nicht schaden. Wie gesagt, man muss auch nicht bei allem gleich in die Luft gehen; aber denken Sie bei so viel Merchandising für Teamgeist und Kohäsion nicht auch in der ein oder anderen unaufmerksamen Sekunde mal an den legendären Slogan „Macht durch Gemeinschaft“ aus Morton Rhues Jugendbuch-Klassiker „The Wave“? Schräge Ideenketten Aber vermutlich sind meine Gedankenverknüpfungen in diesem Fall wirklich nur falsch verkabelt – von wegen „The Wave“ und „dritte Welle“ und so ... Bei einigen Grünen Landes- und Bundespolitikern scheint das plakatierte Edikt, das die Berliner Agentur Connex für den rot-rot-grünen Senat entwickelt hat, auch schon recht schräge Ideenketten produziert zu haben. In einem Papier, unterzeichnet von u.a. Claudia Roth, Bettina Jarasch und Canan Bayram fordern sie nun für den Fall eines Wahlsiegs ein „Ministerium für Gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Darin, so die Vordenker von Eintracht Grün, sollten die Bereiche Antidiskriminierung, Frauen, Einwanderung, Migration und Flucht, Queerpolitik, Behindertenpolitik, Familie, Senioren, Jugend und Demokratieförderung gebündelt werden. Also eigentlich alles wie immer: Eines für alle, nur diesmal eben mit noch mehr Zusammenhaltsgefühl. Ist doch klar, dass man bei so viel Reklame für den verordneten Einklang irgendwann automatisch an Orwells „Ministerium für Liebe“ denken muss, oder etwa nicht? Das uneingelöste Unsterblichkeitsversprechen Aber jedem seine ganz eigene Assoziationsstörung. Alexander Grau etwa denkt in Anbetracht der aktuellen epidemischen Lage gleich an den Tod. In seinem lesenswerten Essay „Vom humanistischen Furor der Sterblichkeit“ fragt er danach, ob die überzogene Panik nicht auch etwas mit dem bis dato uneingelösten Unsterblichkeitsversprechen der großen Religionen und Philosophien zu tun haben könnte. Tschechen wiederum denken bei Corona nur an Arbeit. „Laut einer Umfrage vom Januar bleiben nur weniger als die Hälfte der Tschechen mit Symptomen von Covid-19 zu Hause.“ Der Grund: Angst vor finanziellen Verlusten, schreibt unsere Tschechien-Korrespondentin Helena Truchla in Ihrem Artikel über die hohen Infektionsraten beim östlichen Nachbarn. Egal also, woran Sie heute noch denken: Denken Sie doch ab und an auch mal an etwas Lesezeit auf cicero.de. Und vor allem: Halten Sie zusammen! Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |