Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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18. Dezember 2022
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
er war der Liebling meiner Deutschlehrer. Er war der König der Schullektüren. Er war, zu meiner Gymnasialzeit, der unentwegte Themen- und Stichwortgeber für Klausuren in Deutsch, Geschichte, Sozialkunde und Religion. Vor 50 Jahren nahm Heinrich Böll in Stockholm den Nobelpreis für Literatur entgegen, als erster deutscher Staatsbürger nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich mag einen Roman besonders gern, einen, den Böll schon 1949/1950 geschrieben hat, der aber erst 1992, nach seinem Tod, erschienen ist. Er heißt „Der Engel schwieg“ und spielt 1945 in den Trümmern der kriegszerstörten Stadt Köln.

„Dummköpfe ersten Ranges“?

Eine Hauptfigur in diesem Werk ist der aus dem Krieg heimgekehrte junge Soldat Hans Schnitzler. Der sagt zu einer Frau, die seine Gefährtin wird, den Satz: „Wir werden sehr oft traurig sein.“ Durch Bölls ganzes Werk zieht sich diese Traurigkeit, die sich manchmal zum heiligen Zorn steigert – zum Zorn über den ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer, über seine restaurative Politik, über die Wiederbewaffnung; auch über die Springer-Presse und ihr Geifern gegen die Studentenbewegung der Achtundsechziger. Böll und viele andere Intellektuelle haben Gift und Galle gespuckt gegen Adenauer, der für sie der Inbegriff einer miefigen, verlogenen und bigotten Nachkriegsgesellschaft war. Adenauer titulierte die Gegner der Wiederbewaffnung öffentlich als „Dummköpfe ersten Ranges“ und als „Verräter“. Auch der Schriftsteller Böll gehörte zu diesen angeblichen Dummköpfen und später – ebenfalls angeblich – zu den Sympathisanten der RAF.

Adenauer und Böll waren Gegenspieler. Und doch repräsentierten sie beide die frühe Bundesrepublik in komplementärer Weise. Sie waren wie der rechte und der linke Schuh der jungen Demokratie. Böll wurde 1917 in Köln geboren, dem Jahr also, in dem Adenauer erstmals Kölner Oberbürgermeister wurde. Bölls erstes Buch wurde 1949 veröffentlicht, jenem Jahr, in dem der Bundestag Adenauer zum ersten Bundeskanzler wählte. Ein paar Jahre nach Adenauers Tod schrieb der bittere Böll einen wunderbar einlenkenden Satz: „Adenauer mag mehr Verdienste haben, als ich zu erkennen imstande bin, und möglicherweise hat er nur einen politisch gravierenden Fehler begangen: dass er zu lange regierte und mit greisenhafter Boshaftigkeit seine eigene Größe in lauter senile Kleinlichkeiten auflöste.“

Für Bölls Verhältnisse war das eine beinahe glänzende Rehabilitierung des Alten vom Rhein – zu einer Zeit freilich, in der die Bundesrepublik die Adenauer-Ära schon hinter sich gelassen hatte. Der Westpolitik Adenauers war die Ostpolitik Willy Brandts gefolgt und die Generation der Achtundsechziger hatte ihren Eltern deren beredtes Schweigen zur Nazivergangenheit wütend vorgehalten. Brandt hatte 1971 den Friedensnobelpreis, Böll 1972 den Literaturnobelpreis erhalten. „Mehr Demokratie wagen“ war zu einem neuen deutschen Motto und das Land aufgeklärter, rebellischer, auch schon ein wenig liberaler geworden. Im ausklingenden Jahr 2022 erinnert man sich sehnsüchtig und wehmütig an diese Zeit des Aufbruchs. Es wäre gut, wenn wir im Jahr 2023 daran anknüpfen könnten. Am liebsten wäre mir der Aufbruch in den Frieden. Er muss nach den grauenvollen Kriegsmonaten in der Ukraine wiedergewonnen werden.
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Was den Frieden bedroht - und wie man ihn gewinnt
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Das wünsche ich uns am vierten Adventssonntag, das ist mein Weihnachtswunsch. Der nächste Newsletter „Prantls Blick“ erscheint nach einer kurzen Weihnachtspause wieder am Sonntag, 8. Januar 2023. Bis dahin gesegnete, hoffnungsvolle Tage!
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
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Prantls Leseempfehlungen
Bölls Vermächtnis
Es war im Jahr 1950: Heinrich Böll bekam sein Manuskript wieder zurück; der Verlag hatte das Buch zwar schon angekündigt, aber jetzt wollte er es nicht mehr drucken. Der Lesergeschmack müsse berücksichtigt werden – und die Leser wollten vom Krieg nichts mehr wissen. Der Roman „Der Engel schwieg“ erschien dann erst im Jahr 1992, nach Bölls Tod. In der FAZ stand darüber damals zu lesen: „Dieses Buch ist so etwas wie der Böllsche ‚Urfaust‘: er besitzt Anmut und poetische Kraft“. Der Böll-Roman ist ein Roman über eine heimatlose Welt, über ein Land und eine Zeit mit wenig Hoffnung. Trotzdem ist dieses Land dann auferstanden aus Ruinen und ist wieder Heimat geworden – Heimat für Alt- und für Neubürger. Das macht Hoffnung in ruinöser Zeit. Deshalb empfehle ich Bölls frühes Werk als Weihnachtslektüre.

Heinrich Böll: Der Engel schwieg. Es gibt den Roman in einer Taschenbuchausgabe bei dtv mit einem Nachwort von Werner Bellmann. 211 Seiten für 13 Euro.
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Hybris auf Rädern
Früher saßen die Größenwahnsinnigen in Cafés, die so genannt wurden: In Wien trafen sich dort Künstler wie Arthur Schnitzler, Karl Kraus, Fritz Kreisler und Arnold Schönberg; in München Literaten wie Graf Keyserling, Frank Wedekind, Roda Roda und Ernst Toller; in Berlin Richard Strauß, Alfred Kerr, Frank Wedekind und Carl Sternheim. Heute hat der Größenwahn um sich gegriffen, es gibt eine Hybris auf Rädern, sie bewegt sich hunderttausendfach auf den Straßen. Und darin sitzen nicht Künstler, sondern ansonsten ganz normale Menschen. Warum kaufen die Menschen immer größere Autos? Weil die Hersteller kaum noch etwas anderes anbieten? Oder haben die Autobauer ihr Sortiment auf SUV getrimmt, weil die Kunden eben genau diese großen Wagen wollen? Christina Kunkel, Oliver Schnuck, Luis Mosch und Jonas Jetzig gehen in der Wochenend-Ausgabe der SZ solchen Fragen nach. Das ist Stoff für spannende Unterhaltungen an den bevorstehenden Feiertagen!
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