Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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10. Juli 2022
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
die RAF hatte vor fünfzig Jahren, es war im Mai 1972, sechs Sprengstoffanschläge verübt, unter anderem auf die US-Hauptquartiere in Frankfurt und Heidelberg sowie auf das Verlagshaus Springer in Hamburg. Von den Hubschraubern, die über den Ausfallstraßen der deutschen Großstädte wie wild flogen, waren wir in der Oberpfalz damals weit weg. Aber Straßensperren und nervöse Polizisten mit Maschinenpistolen gab es auch da. Ich war mit dem alten grünen BMW meines Vaters unterwegs in den Nachbarort Bodenwöhr; ein Oberstufen-Fest war vorzubereiten. Aber die Beamten waren auf etwas ganz anders vorbereitet, auf die sogenannte „Aktion Wasserschlag“.

So etwas hatte es bisher in der Bundesrepublik noch nicht gegeben: Flächendeckend wurden an diesem Sommertag im Jahr 1972 im gesamten Land Straßensperren und Personenkontrollen eingerichtet, alle verfügbaren Hubschrauber drehten Schleifen über den Autobahnkreuzen, die Radio- und die Fernsehsender berichteten aufgeregt von der Großfahndung. Und für einen Tag gehorchten fast alle uniformierten Beamten der Republik den Befehlen des Bundeskriminalamts in Wiesbaden und seines Präsidenten Horst Herold.

So hat er es mir 25 Jahre später immer wieder erzählt, bei vielen Gesprächen in seinem Schutz- und Trutzhäuschen auf einem Kasernengelände in Oberbayern, in dem er sich, „als letzter Gefangener der RAF“, wie gern sagte, vor sich, der Welt und seinen Albträumen versteckte. Ich kam zu ihm als Jurist und Journalist der SZ; er war ein grübelnder, philosophierender und grundgütiger Kriminalpensionär geworden, der über den Terror von gestern und heute nachdachte und über die Methoden, ihn gut zu bekämpfen. Beide waren wir, im Abstand von mehr als einer Generation, Staatsanwälte gewesen; das war eine gesprächsstarke  Verbindung.

MP im Anschlag

Und ich erzählte ihm, wie es dem Gymnasiasten Heribert Prantl damals bei seiner Großrazzia erging - zu Hause im Städtchen, in Nittenau in der Oberpfalz, in der Alten Regensburger Straße:  Ich war, frisch führerscheingeprüft, mit Papas altem BMW wohl zu forsch an die Straßensperre herangefahren, die Polizisten zerrten mich aus dem Auto, obwohl mich der örtliche Uniformträger gut kannte, schrien mich an, warfen mich auf den Boden, die Maschinenpistole im Anschlag. Ich lag da wie ein Frosch und mir war, wie man so sagt, sehr blümerant.

Die Großaktion des Horst Herold war erfolgreich. Sie führte dazu, dass bis Mitte Juli 1972, also vor genau fünfzig Jahren, die gesamte Führung der später sogenannten ersten Generation der RAF verhaftet war – von Andreas Baader, Holger Meins und Jan Carl Raspe bis Ulrike Meinhof, von Gudrun Ensslin bis Brigitte Mohnhaupt und Irmgard Möller. Man glaubte damals, der RAF-Terrorismus sei besiegt. Aber das war ein schwerer Irrtum. Das Morden ging furchtbar weiter; nach der der ersten Generation der RAF kam eine zweite und dritte. Viele ihrer Taten sind bis heute nicht aufgeklärt.

Dem RAF-Terrorismus folgte dann der islamistische Terrorismus. Aber schon die RAF-Jahre hatten das rechts- und sicherheitspolitische Klima in Deutschland grundlegend und nachhaltig verändert: In den zwanzig Jahren ab 1972 hatte sich das Land daran gewöhnt, dass nicht Strafe, sondern die Gesetzesverschärfung der Tat auf dem Fuße folgt. In diesen Jahren begann der Glaube daran, dass der Staat dann ein starker Staat ist, wenn er Rechte abbaut und Gesetze verschärft. Dieser Glaube hält bis heute.
SZPlus Prantls Blick
Mao, die RAF und die "Aktion Wasserschlag"
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Ich wünsche Ihnen gute Julitage, ich wünsche Ihnen Ferien, die Ihnen gut tun

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Kriegsverbrechervergötzung
Man stelle sich vor, die österreichische Familie Schicklgruber würde auf ihrem Familiengrab ein Steinkreuz errichten: für einen Gefreiten des Ersten Weltkriegs und Träger des Eisernen Kreuzes Zweiter Klasse; für einen Familienangehörigen der Groß-Sippe Schicklgruber, der zwar dort nicht körperlich bestattet ist, weil dessen Asche irgendwo im Großraum Berlin anonym verstreut liegt, aber: das Steinkreuz der Schicklgrubers  soll eine Erinnerung sein, ein Denkmal für einen der ihren. Und auf dem steinernen Ehrenkreuz würde stehen: „Adolf Hitler (geborener Adolf Schicklgruber) / 20.4. 1889 – 30.4. 1945 / Politiker“.

Mit diesem Gedanken beginnt der Schriftsteller Claus-Peter Lieckfeld seine Darlegungen „zum Fall Jodl“. Alfred Jodl war ein hochrangiger Militär, ein glühender Nazi und Massenmörder, für den auf dem Friedhof der idyllischen Insel Frauenchiemsee ein großes Ehrenmonument steht, darauf ein eisernes Kreuz in den Stein gemeißelt. Alfred Jodl hat die Deportationen von Juden in Vernichtungslager vorangetrieben; der Kommissarbefehl, die Richtlinie für die gezielte sofortige Erschießung von kriegsgefangenen russischen Offizieren, geht auf ihn zurück. Jodl wurde 1946 vom Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg wegen Kriegsverbrechen und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und hingerichtet. Seine Asche wurde in einen Nebenfluss der Isar gestreut.

„Der Fall Jodl“ – das ist das Ehrenkreuz für Jodl auf dem Friedhof von Frauenchiemsee, das dort seit 1953 steht, gegen dessen ehrende Präsenz sich der Künstler Wolfram Kastner seit vielen Jahren vergeblich wehrt, mit zahlreichen Aktionen. „Keine Ehre dem Kriegsverbrecher“ ist Kastners Motto. In einer seiner vielen meist öffentlich angekündigten Aktionen entfernte er den bleiernen Buchstaben „J“ von „Jodl“, sodass nur das Wort „Odl“ auf dem Stein übrig blieb; das ist das bayerische Wort für Jauche. Das „J“ schickte Kastner an das Deutsche Historische Museum in Berlin. Weitere Aktionen folgten: symbolische Blutspuren am Ehrenkreuz zum Beispiel.

Ein von Helmut Donat herausgegebenes Büchlein dokumentiert, wie Verwaltung und Justiz aus dem „Fall Jodl“ einen „Fall Kastner“ machten. Der Künstler Wolfram Kastner wurde wegen Sachbeschädigung in vielen Verfahren und Instanzen immer wieder verurteilt. Seine Hinweise auf Kunst- und Meinungsfreiheit halfen ihm nicht. Selbst das Bundesverfassungsgericht sprach ihm den Schutz der Kunstfreiheit ab. Das, was Kastner da mache, sei keine Kunst. Das kleine, aber gehaltvolle Buch enthält gerichtliche Beschlüsse, Urteile, Dokumente und Essays.

Helmut Donat (Hrsg.), Der Fall Jodl. Kunst gegen Kriegsverbrecher. Das Buch ist soeben im Donat-Verlag, Bremen, erschienen. Es hat 81 Seiten und kostet 10 Euro.
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Die Nacht der SZ-Autorinnen und Autoren
Ein Leitartikel ist wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Er verändert die Qualität des Wassers nicht, er zieht aber vielleicht Kreise. Kommentare sind kleine Steine, Leitartikel und Kolumnen sind große. Im Unterricht an der Journalistenschule erkläre ich das Kommentarschreiben gern so: Im Kommentar reicht ein guter Gedanke, im Leitartikel reichen drei. Das klingt ein wenig simpel, soll aber der Gefahr vorbeugen, mit einem Kommentar oder Leitartikel die Welt verändern zu wollen und all das zu sagen, was man schon immer sagen wollte. Der Kommentar ist weder ein feuilletonistisches Rätsel noch die moderne Form der Volksmission. Er ist ein Beitrag zur Meinungsbildung, zur Streitkultur und Auseinandersetzung. Und die Kunst besteht darin, dass die Verwirklichung dieses Vorhabens nicht so spröde klingt wie dieser Satz. Zu diesem Zweck müssen Kolumne und Leitartikel nicht nur argumentieren, sie sollen und dürfen historisieren und kolorieren, fabulieren und ventilieren. Sie dürfen fast alles – nur nicht langweilen.

Darüber möchte ich am kommenden Freitagabend mit Ihnen so gerne reden, davon möchte ich im Gespräch mit Alexandra Föderl-Schmid so gern erzählen: Von der Lust am Schreiben und von der Poetik des Journalismus. Endlich gibt es nämlich wieder eine SZ-Nacht, eine SZ-Nacht der Autorinnen und Autoren, zwanzig Veranstaltungen an fünf Orten im Schlachthofviertel. Tickets gibt es hier.
Die wunderbare Kollegin Alexandra Föderl-Schmid und mich treffen Sie am Freitag am 19 Uhr auf Bühne 1 im Volkstheater, Thumblingerstraße 29. Ich freue mich schon sehr auf Sie.
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