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Liebe Leserinnen und Leser,
 

Seit Tagen hänge ich diesem Satz nach. Und der ungeheuren Bedeutung eines winzigen unscheinbaren Wörtchens und dessen Platzierung in einem Satz. Das Wörtchen heißt „auch“. Es spiet im berühmten Satz von Christian Wulff eine Rolle. Der Islam gehört auch zu Deutschland. Das Wörtchen wird beim Zitieren oft unterschlagen. Auch jetzt bei Annalena Baerbock, der Co-Vorsitzenden der Grünen. Wörtlich hat sie am vergangenen Wochenende gesagt: „Ja, ich traue auch mir das Kanzleramt zu.“


Das bedeutet: Neben Ihrem Vorsitzenden-Partner Robert Habeck sieht sie es auch für sich als machbar an, Bundeskanzlerin zu werden. Sie hat es in ihrer eigenen Einschätzung im Kreuz. 


Aber warum kommt das auch so spät in diesem Satz? Bin ich spitzfindig, wenn ich sage: „Auch ich traue mir das Kanzleramt zu“, klingt viel stärker, nach mehr Anspruch auf die bei den Grünen wie bei den Schwarzen ungeklärte Kanzlerkandidatur? Die Grünen werden dafür gerühmt und rühmen sich selbst dafür, wie elegant Baerbock und Habeck mit dieser Frage umgehen. Habock, Baerbeck, sie sind im Grunde eins geworden, die beiden. 

Es kann nur eine(n) geben

Das Highlanderprinzip können aber auch die Kuschelgrünen in ihrem Wohnzimmer nicht auflösen. Am Ende kann es nur einen geben. Oder eine. Und wer im politischen Betrieb bis dahin gekommen ist, wo die beiden sind, der will dann auch den letzten Schritt tun. Das ist ein archaisches Muster in der Politik. Aus dem es kein Entkommen gibt. Das hatte Oskar Lafontaine erleben müssen, als er glaubte, als Schatzkanzler wie ein Schattenkanzler den Amtsinhaber Gerhard Schröder vom Finanzministerium aus steuern zu können. An dieser Fehleinschätzung, vor allem aber am Umstand, dass ihn Schröder mit dem Messlattentrick bei der vorausgehenden Niedersachsenwahl ausmanövriert hatte, ist Oskar Lafontaine am Ende zerbrochen.

Wie einst Karl V.?

Macht ist ein unwiderstehlicher Lockstoff in der Politik. Sie zu bekommen, sie zu behalten, so lange es geht, darauf sind Politiker geeicht. Wenn es Baerbock oder Habeck gelänge, der Verführung dieses Duftes zugunsten des oder der anderen zu verzichten, wäre dies einzigartig in der Geschichte von Politik auf deutschem Boden. Das letzte Mal hat Karl V. freiwillig auf Macht, in dem Fall sein Kaisertum des Heiligen Römischen Reiches und die Herrschaft des spanischen Imperiums verzichtet. Das war 1556. Er war 55 Jahre alt, litt furchtbar an Gicht und zog sich für seine letzten Lebensjahre in ein Kloster des asketischen Einsiedlerordens der Hieronymiten im Hochland der Extremadura südwestlich von Madrid zurück. 


In dieser Lebensphase sind weder Annalena Baerbock noch Robert Habeck. Und von Gebrechen ist auch weder bei ihm noch bei ihr etwas bekannt.  


Ihr Christoph Schwennicke, Chefredakteur

 
 
 
 
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