Die Olympia-Spezialausgabe am Donnerstag, 8. August
von Laura Sophia Jung Olympiaredakteurin ZEIT ONLINE
Guten Morgen. Lenny Kravitz und die deutschen Handballer wissen: It ain’t over till it’s over. 13 Sekunden waren gestern im Viertelfinale noch regulär auf der Uhr, zwei Punkte betrug der Rückstand auf Frankreich, dann verwandelte Renārs Uščins erst einen Siebenmeter und sechs Sekunden vor Schluss erhielt er nach französischem Leichtsinn doch tatsächlich noch einmal den Ball. Mit der Schlusssirene verwandelte er einen Konter. Die Verlängerung entschied Deutschland knapp für sich, es war wieder Uščins mit dem Siegtor. Halbfinale! Auch Olympia ist alles andere als over: Heute wird unter anderem geschwommen, geklettert, gerungen.
Worüber reden heute alle?
Über die vielleicht schönste jamaikanische Erfolgsgeschichte seit Cool Runnings. Mit dem Diskus gelang dem Jamaikaner Rojé Stona der große Wurf: Siebzig Meter weit schleuderte er die Scheibe in seinem vierten Versuch. Damit sicherte er sich nicht nur die Goldmedaille, sondern stellte auch noch einen neuen Olympischen Rekord auf.
Den hatte zuvor Mykolas Alekna innegehabt – für eine rekordverdächtig kurze Zeit. In seinem zweiten Wurf hatte der Litauer 69,97 Meter weit geworfen und seinem eigenen Vater, Virgilijus Alekna, den Rekord abgenommen. Man kann sich vorstellen, wie die Stimmung beim nächsten Familienessen gewesen wäre. Mit diesem Wurf war er eigentlich seiner Favoritenrolle gerecht geworden.
Wenn da nicht noch Rojé Stona gekommen wäre, der seinen Diskus mit einem Urschrei bis zur 70 Meter-Marke schleuderte. Als er sah, wo die Scheibe gelandet war, schrie er einfach weiter. Erst in den Armen seines Teamkollegen, dann auf dem Weg zur Tribüne und dort gemeinsam mit seinem Trainer. Der übrigens noch zwei weitere jamaikanische Diskuswerfer ins Finale begleitet hat: Rallford Mullings und Travis Smikle. Sie wurden Neunter und Zehnter und machten deutlich: Cool Throwings plant, in Serie zu gehen.
Die niederländische Sprinterin Femke Bol. Sie läuft heute im Finale über 400-Meter-Hürden gegen die US-Amerikanerin Sydney McLaughlin-Levrone. Auf dem Papier ist die die klare Favoritin: Ihren Weltrekord über diese Strecke hat sie erst vor wenigen Wochen noch einmal verbessert.
Aber auf dem Tartan ist alles möglich. Das hat Femke Bol bei diesen Spielen schon einmal bewiesen. Als Schlussläuferin der 4x400-Meter-Mixed-Staffel lief sie eine selbst für olympische Verhältnisse unglaubliche Runde. An vierter Stelle bekam sie das Staffelholz übergeben, locker zehn Meter hinter der führenden US-Amerikanerin. Dann fraß sie sich Meter um Meter heran. Mit großen Schritten und absoluter Ruhe schluckte sie erst die drittplatzierte Belgierin, dann die zweitplatzierte Britin und auf der Schlussgeraden auch noch die US-Amerikanerin. Die Niederlande holten Gold. Und das, obwohl die USA in der Vorrunde einen neuen Weltrekord über die Strecke aufgestellt hatten und auch im Finale nur wenige hundertstel Sekunden darunterblieben.
Ein Rennen, dass sich Sydney McLaughlin-Levrone sicher genau angeschaut hat. Und Femke Bol wahrscheinlich auch, um sich für heute Abend in Überhol-Stimmung zu bringen.
Große Sprünge. Früh am Morgen einen mutigen in die Seine, die wieder pünktlich zum Wettkampf gerade sauber genug ist. Leonie Beck und Leonie Märtens schwimmen schon über die zehn Kilometer um Medaillen. Unterwegs haben sie Zeit genug, sich zu überlegen, welche Bakterien mit ihnen schwimmen. Gute zwei Stunden werden sie insgesamt unterwegs sein (ab 07.30 Uhr).
Auf den Matten der Arena Porte de la Chapelle wollen Darja Varfolomeev und Margarita Kolosov mit Keule, Band, Reifen und Ball den Sprung ins Finale der Rhythmischen Sportgymnastik schaffen (10.00 Uhr und 15.00 Uhr). Vor allem Varfolomeev gilt nach ihrem fünffachen Gold bei den Weltmeisterschaften 2023 als Medaillenkandidatin.
Per Jump Shot ins Finale wollen die Basketballer (17.30 Uhr). Dafür müssen sie die Franzosen rauswerfen. Die werden die Deutschen nach ihrer Vorrundenperformance in unguter Erinnerung haben: 85:69 gewannen Dennis Schröder und Co gegen das Team um Victor Wembanyama. Da ging es allerdings um nichts mehr, beide Mannschaften waren schon für die nächste Runde qualifiziert. Jetzt hingegen geht es um alles – und es steht wieder 0:0.
Die Hockeyspieler sind schon einen Schritt weiter. Sie wiederholen gegen die Niederlande das Olympiafinale von 2012. Und hoffen, auch ihren Olympiasieg zu wiederholen (19.00 Uhr).
Am weitesten von allen aber will Malaika Mihambo springen. In der Qualifikation gelang ihr das noch nicht. Zweimal übertrat sie, im letzten Versuch dann verschenkte sie 30 Zentimeter, um sicher einen gültigen Versuch zu springen. Die gute Nachricht: Selbst mit diesem Sprung landete sie bei 6,86 Meter. Für einige ihrer Finalkonkurrentinnen wäre das schon eine neue persönliche Bestleistung gewesen – oder zumindest nah dran.
Keulenschwingen. Was heute vorrangig von rückengeplagten Büroarbeitern in den nach Linoleum und Latschenkiefer riechenden Turnhallen verschlafener Kurorte praktiziert wird, war 1904 und 1932 Teil des olympischen Programms. Möglichst akrobatisch sollten die wie Kegelpins aussehenden Keulen um den aufrechtstehenden Körper geschwungen werden. Mit den spektakulären Performances, die Darja Varfolomeev und Co. bei der rhythmischen Sportgymnastik zeigen, hatte das ungefähr so viel zu tun wie das Kegeln.
Dass Keulenschwingen sich nicht als archaisch klingende Subdisziplin der Sportgymnastik durchgesetzt hat, ist aber vielmehr dem mangelnden internationalen Wettbewerbswillen geschuldet. Bei der olympischen Premiere in St. Louis traten drei Sportler gegeneinander an, alle drei aus den USA. 1932 in Los Angeles waren es immerhin vier, wieder drei US-Amerikaner und ein Mexikaner, der sich mit dem in diesem Fall wirklich besonders undankbaren vierten Platz zufriedengeben musste.
Womöglich streben die US-Amerikaner ein Comeback des Keulenschwingens für Los Angeles an. Drei sichere Medaillen und eine anschließende Actionverfilmung mit Dwayne The Rock Johnson inklusive.
Michelle Yeoh. Ihre Aufnahme ins IOC dürfte für Michelle Yeoh nur das zweitschönste Erlebnis des vergangenen Jahres gewesen sein. Der erste Platz wird wohl doch ganz knapp ihrem Oscargewinn als beste Hauptdarstellerin gehören. Keiner Schauspielerin asiatischer Abstammung war das zuvor gelungen.
Michelle Yeoh gelingt überhaupt vieles: Sie war malaysische Juniorenmeisterin im Squash, Ballettschülerin der London Royal Academy of Dance, kämpfte in Werbe- und Action-Filmen an der Seite von Jackie Chan. Sie schaffte es sogar, aus dem typischen Bikini-Bondgirl eine wenigstens phasenweise bekleidete, kämpfende und sogar sprechende Frau zu machen.
Eine Superheldin, zur Not auch mit Wurstfingern und Waschsalon wie in Everything Everywhere All At Once. Man traut ihr zu, sogar das IOC aufzumischen mit ihren 30 Jahren Kung-Fu- und Hollywood-Erfahrung. Immerhin sagte sie schon als Oberst Wai Lin zu James Bond, nachdem der einen Angreifer aus dem Weg geräumt hatte: “Ich wäre schon mit ihm fertig geworden.”
Shan Xiaona kann ihre Mitspielerin Annett Kaufmann nach dem überraschenden Halbfinaleinzug der Tischtennisspielerinnen gar nicht genug loben.
“Ich bin wie immer frech ans Spiel rangegangen und habe es durchgezogen.”
Annett Kaufmann schätzt ihre eigene Leistung etwas bodenständiger ein. Heute Abend ab 20 Uhr hat sie im Halbfinale gegen Japan die Chance, wieder frech zu werden.
Das Bild des Tages
Der Fotograf Sebastian Wells ist während der Olympischen Spiele exklusiv für ZEIT ONLINE in Paris unterwegs. Wir zeigen hier jeden Tag ein besonderes Bild vom Vortag. Heute den Ukrainer Schan Beleniuk erschöpft und zufrieden auf dem Weg aus der Arena nach seinem gewonnen Viertelfinal-Kampf im Ringen.
In acht Sportarten und 18 Wettbewerben. Und zwar hier:
Freiwasserschwimmen
7.30 Uhr: Zehn Kilometer, Frauen
Klettern
12.54 Uhr: Speed, Finale der Männer
Kanu
13.20 Uhr: 500 Meter Canadier Zweier, Finale der Männer
13.40 Uhr: 500 Meter Kajak Vierer, Finale der Frauen
13.50 Uhr: 500 Meter Kajak Vierer, Finale der Männer
Hockey
14.00 Uhr: Hockey, Spiel um Platz drei der Männer
Gewichtheben
15.00 Uhr: -59kg, Frauen
19.30 Uhr: -73kg, Männer
Wasserspringen
15.00 Uhr: Drei-Meter-Brett, Finale der Herren
Segeln
12.13 Uhr: Kitesurfen, Männer
13.13 Uhr: Kitesurfen, Frauen
Fußball
17.00 Uhr: Spiel um Platz drei der Männer
Hockey
19.00 Uhr: Finale der Männer
Radsport
19.01 Uhr: Keirin, Finale der Frauen
19.27 Uhr: Omnium Punktefahren, Männer
Ringen
19.30 Uhr: Griechisch-Römisch Leichtgewicht (-67kg), Kampf um Platz drei der Männer
19.40 Uhr: Griechisch-Römisch Leichtgewicht (-67kg), Kampf um Platz drei der Männer
19.55 Uhr: Griechisch-Römisch Leichtgewicht (-67kg), Finale der Männer
20.05 Uhr: Griechisch-Römisch Mittelgewicht (-87 kg), Kampf um Platz drei der Männer
20.15 Uhr: Griechisch-Römisch Mittelgewicht (-87 kg), Kampf um Platz drei der Männer
20.30 Uhr: Griechisch-Römisch Mittelgewicht (-87 kg), Finale
20.50 Uhr: Freistil Bantamgewicht (–53 kg), Kampf um Platz drei der Frauen
21.00 Uhr: Freistil Bantamgewicht (–53 kg), Kampf um Platz drei der Frauen
21.15 Uhr: Freistil Bantamgewicht (–53 kg), Finale der Frauen
Leichtathletik
20.00 Uhr: Weitsprung, Finale der Frauen
20.25 Uhr: Speerwurf, Finale der Männer
20.30 Uhr: 200 Meter Lauf, Finale der Männer
21.25 Uhr 400 Meter Hürden, Finale der Frauen
21.45 Uhr: 110 Meter Hürden, Finale der Männer
Taekwondo
20.19 Uhr: Federgewicht (-68 kg), Kampf um Platz drei der Männer
20.34 Uhr: Federgewicht (-57 kg), Kampf um Platz drei der Damen
20.49 Uhr: Federgewicht (-68 kg), Kampf um Platz drei der Männer
21.04 Uhr: Federgewicht (-57 kg), Kampf um Platz drei der Damen
21.19 Uhr: Federgewicht (-68 kg), Finale der Männer
21.37 Uhr: Federgewicht (-57 kg), Finale der Frauen
Boxen
21.30 Uhr: Federgewicht (-57 kg), Halbfinale der Männer
21.46 Uhr: Federgewicht (-57 kg), Halbfinale der Männer
22.02 Uhr: Mittelgewicht (-75 kg), Halbfinale der Frauen
22.18 Uhr: Mittelgewicht (-75 kg), Halbfinale der Frauen
22.34 Uhr: Fliegengewicht (-51 kg), Finale der Männer
22.51 Uhr: Bantamgewicht (-54 kg), Finale der Frauen
Das war die heutige Spezialausgabe unseres Was-jetzt?-Newsletters zu den Olympischen Spielen 2024. Lenny Kravitz ist mit seinen 60 Jahren übrigens fit wie ein Olympionike. Wenn Sie also neben den Spielen noch Motivation für einen sportlichen Neustart benötigen: Bei ihm sind Sie richtig.