Die Olympia-Spezialausgabe am Sonntag, dem 11. August
von Fabian Scheler Sportredakteur ZEIT ONLINE
Welche Lehren ziehen wir aus diesen Spielen? Ich liefere Ihnen einen Vorschlag: Wenn Sie mal wieder Streit mit dem Partner, dem Chef oder der Nachbarin haben, machen Sie John Lennons Imagine an. Hat jedenfalls beim Beachvolleyballfinale der Frauen funktioniert. Der Stadion-DJ verwandelte damit einen Zwist zwischen den Brasilianerinnen und Kanadierinnen in Lächeln auf beiden Seiten. Und jetzt alle: You may say I'm a dreamer …
Worüber reden heute alle?
Über Steph Curry. Nicht, dass es vor dem Turnier ein Geheimnis gewesen wäre, was für ein herausragender Basketballer er ist. Wegen ihm wurde mal erwogen, die Dreimeterlinie weiter weg vom Korb zu ziehen. Bloß dachte man, er hätte schon alle Rekorde gebrochen, die mit Dreipunktewürfen zu tun haben. Beim 98:87-Finalsieg gegen Frankreich kamen aber doch noch ein paar dazu: Er hat in einem eher unwahrscheinlichen Winkel über den 2,24 Meter großen Victor Wembayama hinweg geworfen. Das Foto davon wird eines der Bilder der Spiele werden. Curry hat in Halbfinale und Finale zusammen 60 Punkte erzielt, was noch keinem US-Basketballer in zwei aufeinanderfolgenden olympischen Spielen gelungen ist. Und seine acht erfolgreichen Dreipunktewürfe sind ein neuer Rekord für ein Olympiafinale. Es gibt guten Grund zur Annahme, dass er der beste Distanzschütze ist, der diesen Sport jemals ausgeübt hat. Vielleicht sattelt er beim nächsten Mal um auf Sportschießen.
Alles, jede und jeder. Schließlich bleibt Ihnen nur noch heute, um ein letztes Mal vom Gewichtheben zum Bahnradfahren zum Wasserball zum Basketb … Sie wissen, was ich meine. Diese Spiele enden mit großen Finals. Die serbischen Wasserballer könnten im Balkanderby gegen Kroatien ihre dritte Goldmedaille in Folge holen. Zum Handball kommen wir gleich noch.
Denn heraus sticht die allerletzte Medaille, die bei diesen Spielen am Nachmittag in der Bercy-Arena vergeben wird: das Basketballfinale der Frauen. Da hatten die Deutschen ein feines Gespür für Dramaturgie, als sie im Viertelfinale die Französinnen gewinnen ließen, um denen das Endspiel gegen die USA als Finale furioso möglich zu machen. Vielleicht rächen sich die Frauen dort auch direkt für die Niederlage der Männer gestern. Es wäre die erste Niederlage für die US-Frauen nach 59 Siegen in Folge und den Olympiasiegen 1996, 2000, 2004, 2008, 2012, 2016, 2021.
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Was machen die Deutschen?
Kleben sich vor Aufregung mit Handballharz ans heimische Sofa. Und wünschen Andreas Wolff alles Gute für seine morgendlichen Dehnübungen, damit er seine Beine und Hände noch mal so multiplizieren kann wie im Halbfinale gegen Spanien. Da war der Torhüter mit Ausnahme der Hallentoiletten überall. „Ich kann für die meisten von uns sprechen, dass es das größte Spiel unserer Karriere wird“, sagte Kapitän Johannes Golla und Julian Köster fügte hinzu: „Wir sind noch nicht fertig.“ Dummerweise ist in jedem Finale die andere Mannschaft auch keine schlechte. Dänemark hat die vergangenen Jahre den Welthandball dominiert und vom Olympiasieg 2016 über die WM-Siege 2019, 2021 und 2023 bis zum Wettrennen zum Bus fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Am meisten Druck hat Linksaußen Rune Dahmke: Seine Lebensgefährtin Stine Oftedal, auch Handballerin, gewann mit Norwegen bereits gestern Gold. Er weiß also, was er tun muss, um am Frühstückstisch weiter mitreden zu dürfen.
Franziska Brauße fährt im Omnium (11 Uhr) um eine Medaille. Das ist für die Bahnradfahrerinnen das, was der Siebenkampf für die Leichtathletinnen ist: eine Vielseitigkeitsprüfung in vier Disziplinen. Bei den beiden anderen Wettbewerben, die Brauße bisher in Paris fuhr, blieb sie ohne Medaille. Das wird ihr so lange Unbehagen bereiten, bis sie sich erinnert: Mensch, Olympiasiegerin mit mehrfachem Weltrekord bin ich ja schon in Tokio geworden und deutsche Sportlerin des Jahres war ich im selben Jahr auch schon. Und Lea Sophie Friedrich ist sogar schon in der Sprintqualifikation Weltrekord gefahren und geht in den Sprint heute als Mitfavoritin.
Die drei deutschen Marathonläuferinnen Laura Hottenrott, Melat Yisak Kejeta und Domenika Mayer sind schon seit 8 Uhr unterwegs und laufen 42 Mal einen Kilometer in etwas mehr als drei Minuten. Und Sie so an diesem Sonntagmorgen?
Die verschwundene Sportart
Reiten (beim Modernen Fünfkampf). Das wird künftig mit Ninja Warrior ersetzt. Warum nach Annika Schleus Skandalritt von Tokio in diesem Jahr unbedingt noch mal geritten werden musste, wissen nur wenige. Zum Beispiel Klaus Schormann, der scheidende Präsident des Weltverbandes. Er sagte zu meinem Kollegen Christof Siemes, der Vorfall von 2021 habe mit der Abschaffung überhaupt nichts zu tun. Und geritten wird außerhalb der Olympischen Spiele weiterhin. Warum es vielleicht einfach keine gute Idee ist, die Pferde den Athletinnen zuzulosen, belegte gestern der letzte olympische Ritt: Wieder traf es Annika Zillekens (früher Schleu), wieder wollte ihr Pferd nicht mit ihr. Beinahe wäre sie gestürzt, das Finale verpasste sie in ihrem allerletzten Wettkampf wegen dieses Malheurs. Und Rebecca Langrehr stürzte beim Aufwärmen mit ihrem Pferd, sie durfte erst gar nicht antreten. Immerhin: Wir haben keine Pferde kotzen sehen.
Mustapha Berraf. Hätte Thomas Bach einen Weg gefunden, seine Amtszeit als IOC-Präsident zu verlängern, die nun wie angedacht 2025 endet, hätte man dem früheren Basketballer Berraf mindestens einen Assist zuschreiben müssen. Der Algerier, der auch Vorsitzender aller afrikanischen Olympischen Komitees (ANOCA) ist, hatte Bachs kühnen Plan schon auf der IOC-Session 2023 den Weg bereitet, als er ihn mit warmen Worten Unverzichtbarkeit attestierte.
Es ist seine Paradedisziplin. Zu Bachs Wiederwahl 2021 gratulierte er so: „Sie sind solch ein Experte, so talentiert und weise.“ War das ein Flirt? Er wurde 1996 mal wegen des Verdachts auf Veruntreuung von Staatsgeldern festgenommen, 2020 ermittelte man wegen Korruption gegen ihn, er trat deswegen auch von seinem Amt als Vorsitzender des algerischen olympischen Komitees zurück. Trotzdem warf er sich dieser Tage natürlich voller Inbrust für die algerische Boxerin Imane Khelif ins Zeug. Und weil er so gut mit Bach kann, wurde vom IOC wohl auch weggehört, als der Direktor des algerischen Komitees, Yassine Arab, hinter den Diskussionen um Khelif eine jüdische Verschwörung vermutete. Gerade eben wurde Berraf als IOC-Mitglied bis 2028 wiedergewählt.
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Die Zitate des Tages
"Neunmal übergeben, Durchfall: Wasserqualität in der Seine genehmigt."
Die Deutsche Freiwasserschwimmerin Leonie Beck zwei Tage nach ihrem Rennen
"Der physische Schmerz, den ich seit heute Morgen spüre, ist nichts im Vergleich zu dem, was ich innerlich fühle."
Hach, Gianmarco Tamberi. Der arme Tropf leidet an einer Nierenkolik, was manche Männer ja mit Geburtsschmerzen vergleichen. Am Tag seines Hochsprungwettkampfs musste er sogar ins Krankenhaus, trat dennoch an, konnte am Abend seinen Titel von 2021 aber nicht verteidigen.
"Neue Zeiten brauchen neue Anführer."
Die Nachricht ist die, das Thomas Bach gestern verkündete, dass er 2025 regelkonform als IOC-Präsident abtritt.
"Free Afghan Women"
Diesen Slogan zeigte die afghanische Breakerin Manizha Talash und wurde dafür disqualifiziert. Die World DanceSport Federation wertete das als politische Botschaft. Für sie geht es dabei um Wichtigeres, das eigene Überleben: Beinahe hätte mal ein Mann bei einem Training in Kabul eine Bombe in ihrem Trainingsraum gezündet. Und Familienmitglieder wünschten ihr einst den Tod, weil sie als Frau tanzte.
Das Bild des Tages
Der Fotograf Sebastian Wells ist während der Olympischen Spiele exklusiv für ZEIT ONLINE in Paris unterwegs. Wir zeigen hier jeden Tag ein besonderes Bild vom Vortag. Heute eines von einem seltenen Moment: Polizisten hatten am International Broadcasting Centre eine Panne. Dafür, dass es vor den Spielen so viele Warnungen und Sorgen vor Anschlägen gab, ist es eine der großen Nachrichten dieser Spiele, dass es keine Nachrichten dazu gab.
Noch mal in neun Sportarten und dreizehn Wettbewerben. Und zwar hier:
Leichtathletik
8 Uhr: Marathon der Frauen
Gewichtheben
11.30 Uhr: Frauen über 81 Kilogramm
Moderner Fünfkampf
12.40 Uhr: Frauen, Einzel (Laserlauf)
Ringen
12.20 Uhr: Freistil, Männer, Leichtgewicht
12.50 Freistil, Männer, Schwergewicht
13.20 Uhr: Freistil, Frauen, Schwergewicht
Handball
9 Uhr: Spiel um Bronze, Männer (Spanien – Slowenien)
13.30 Uhr: Finale der Männer (Deutschland – Dänemark)
Volleyball
13 Uhr: Finale der Frauen (USA – Italien)
Bahnradfahren
13.15 Uhr: Bahnsprint, Frauen
13.23 Uhr: Keirin, Männer
13.44 Uhr: Bahnsprint Frauen
13.56 Uhr: Omnium, Frauen
Wasserball
10.30 Uhr Spiel um Bronze (USA – Ungarn)
14 Uhr: Finale Männer (Serbien – Kroatien)
Basketball
11.30 Uhr: Spiel um Bronze, Frauen (Belgien – Australien)
15.30 Uhr: Finale der Frauen (Frankreich – USA)
Das war die heutige Spezialausgabe unseres Was-jetzt?-Newsletters zu den Olympischen Spielen 2024. Bei der Abschlussfeier 2012 wiedervereinigten sich die Spice Girls. 2000 sang Kylie Minogue Abbas Dancing Queen. Da werden wir doch hoffentlich noch auf mehr hoffen dürfen als nur Tom Cruise, über dessen Auftritt gemunkelt wird (bestimmt springt er nackt mit einem Motorrad über das Stadiondach).
Es war die letzte Ausgabe des olympischen Spezialnewsletters. Wir hoffen, Sie hatten genauso viel Spaß wie wir.