Die Olympia-Spezialausgabe am Donnerstag, 1. August
von Laura Sophia Jung Olympiaredakteurin ZEIT ONLINE
Guten Morgen! Heute beginnen endlich die Leichtathletikwettbewerbe. Los ging‘s mit 20 Kilometer Gehen mitten durch Paris. Klingt nach der durchschnittlichen Shoppingtour eines Wochenendurlaubers, ist aber alles andere als gemächlich. 14 km/h bringen die Geher locker aufs Kopfsteinpflaster. Zwar ohne Einkaufstüten, aber dafür auch ohne Kaffeepause. Als Erster durchs Ziel ging der Ecuadorianer Brian Daniel Pintado, herzlichen Glückwunsch.
Worüber reden heute alle?
Das letzte Spiel von Angelique Kerber, das wieder lange nicht so aussah, als würde es das letzte werden. Über drei Stunden lieferten sie und ihre Kontrahentin Qiwen Zheng sich im Viertelfinale einen Schlagabtausch, der jeden, der auch nur mal kurz vorbeizappen wollte, erst vor Aufregung auf die Sofakante rutschen ließ und dann unweigerlich zum Tennisfan machte.
Die Chinesin spielte aggressiv auf, aber nicht übermütig. Kerber konterte mit all ihrer Erfahrung. Sie trieb ihre Gegnerin mit hohen, langen Bällen und ihrer millimetergenau an die Linie geschlagenen Vorhand in die Ecken des Spielfelds und an den Rand des Wahnsinns. Und dann war es auch noch heiß, so heiß, dass auch der Job meines Kollegen Matthias Krupa vor Ort zum Extremsport wurde.
"Ich kann nicht mehr", sagte Kerber im dritten Satz in Richtung ihres Trainers. Und konnte doch. Immer wieder kämpfte sie sich an Zheng ran, wehrte zuletzt drei Matchbälle ab, glich noch einmal aus und haute dann mitten in die Stoßgebete der deutschen Fans den Ball ins Netz.
Ein Match, das seinesgleichen sucht – und am gestrigen Olympiatag doch fast fand: Der Deutsche Dimitrij Ovtcharov jagte das französische Wunderkind Félix Lebrun im Tischtennis nach einem 0:3 Rückstand zu einem atemlosen 3:3, verlor dann denkbar knapp und schied damit als letzter deutscher Tischtennisathlet im Einzelwettbewerb aus. Und auch beim Triathlon der Herren gab es eine Aufholjagd, sogar eine erfolgreiche: Bis kurz vor Schluss führte der Neuseeländer Hayden Wilde eigentlich uneinholbar, dann aber schnappte ihm der Brite Alex Yee mit einem in seiner Länge und Geschwindigkeit unglaublichen Endspurt noch Gold weg.
Rebeca Andrade. Wenn eine der Überturnerin Simone Biles das Gold im Mehrkampf des Geräteturnens streitig machen kann, dann die Brasilianerin. In allen Qualifikationen lag sie knapp hinter der US-Amerikanerin, so auch im Mehrkampf. Nach allem, was man bisher von Simone Biles bei den Olympischen Spielen gesehen hat – den Schrauben, Salti, vor allem aber: dem freudigen Lächeln –, wird es schwer, sie zu schlagen.
Aber mit schweren Aufgaben kennt Andrade sich aus. Nicht nur, dass sie sich aus der Armut der Favelas in den Spitzensport geturnt hat, sie hat auch drei schwere Knieverletzungen mit monatelangen Rehaphasen überstanden und ist nur besser geworden. Neun WM-Medaillen hat die Brasilianerin bereits, und 2021 holte sie olympisches Gold im Sprung und Silber im Mehrkampf. Neben ihrer Turnkarriere studiert sie auch noch Psychologie. Wie gesagt: Schwere Aufgaben sind ihr Ding.
Ausschlafen. Jedenfalls die deutschen Athletinnen, die ihre Medaillen gefeiert haben. Pia Greiten, Leonie Menzel, Tabea Schendekehl und Maren Völz, die im Doppelvierer gestern zu Bronze ruderten, Isabel Gose, die über 1.500 Meter Freistil zu Bronze schwamm, und die beiden Silbergewinnerinnen, Elena Lilik im Kanuslalom und die Judoka Miriam Butkereit.
Für Christopher Linke hingegen startet der Tag früh: Direkt beim ersten Wettbewerb will er sich ab 7.30 Uhr eine Medaille ergehen. Vielleicht läuft er bei den Basketballerinnen auf dem Place de la Concorde vorbei. Die treten im Drei-gegen-Drei heute gleich zweimal an. Morgens gegen Kanada (9.30 Uhr) und abends gegen Aserbaidschan (18.30 Uhr). Nach der Niederlage gegen Australien am Mittwoch wollen sie heute an den Auftaktsieg gegen die USA anknüpfen.
Auch im klassischen Basketball treten die Frauen an, und zwar gegen den Olympiazweiten von Tokio, Japan. Eine Vorbereitung auf den härtesten Vorrundengegner, der noch folgt: die USA.
Weitere Bälle, die die Deutschen hochhalten: Auf dem Sandstrand am Eiffelturm schmettern und baggern Clemens Wickler und Nils Ehlers gegen Australien (9.00 Uhr). Die Handballerinnen absolvieren gegen Dänemark (19.00 Uhr) ihr letztes Vorrundenspiel und hoffen auf einen zweiten Sieg.
Die mit 16 Jahren jüngste deutsche Olympiateilnehmerin Helen Kevric hat heute im Windschatten von Simone Biles ebenfalls ihren ersten Finalauftritt bei Olympia, und zwar im Mehrkampf beim Turnen. Es wird nicht ihr letzter sein. Am Samstag darf sie im Finale am Stufenbarren antreten – anders als Simone Biles.
Die verschwundene Sportart
Kopfweitsprung. Auch diese Sportart war wie das Sackhüpfen nur bei den Olympischen Spielen 1904 vertreten, die dadurch in Sachen Spektakel absolut auf Goldkurs sind. Das Ziel der Sportler war es, nach einem Hechtsprung möglichst weit unter Wasser vorwärtszukommen – allerdings ohne Schwimmzüge. Gemessen wurde die Weite an dem Punkt, an dem ein Körperteil die Wasseroberfläche durchstieß. Der US-Amerikaner William Dickey setzte sich mit 19,05 Metern durch. Klingt machbar? Klingt auf jeden Fall wie etwas, was Sie im Freibad Ihrer Wahl ausprobieren können. Wir freuen uns über Einsendungen Ihrer Bestweiten. Bei der Gelegenheit: Versuchen Sie doch auch Kopftiefsprung oder Kopfzielsprung in einen Schwimmring. Wer weiß, vielleicht haben Sie damit irgendwann Olympiachancen.
Sebastian Coe. Der Brite gewann Gold über die 1.500 Meter bei den Olympischen Spielen in Moskau 1980 und Los Angeles 1984 und Silber über die 800 Meter. Dazu stellte er ein gutes Dutzend Weltrekorde auf. Seit 2020 ist er Mitglied des IOC. Seine größte Leistung war es wohl aber, Königin Elisabeth II. davon zu überzeugen, neben Daniel Craig als James Bond in einem Kurzfilm zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London aufzutreten.
Eine Mammutaufgabe, deretwegen andere Dinge hintenüberfielen: Vom russischen Staatsdoping bekam er als Vizepräsident des Leichtathletikverbandes IAAF leider gar nichts mit, sagte er vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Ein Kollege Coes erwiderte zwar, man habe mit ihm über die Fälle gesprochen und ihm sogar E-Mails geschickt. Coe aber – viel zu tun – hat diese, so sagt er, ungelesen weitergeleitet. Vom Ausmaß des russischen Dopings hat Coe dann aus dem Fernsehen erfahren: durch eine ARD-Doku.
Immerhin, seither greift Coe härter durch: Nach dem Staatsdopingskandal, aber auch nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die gesamte Ukraine wurden die russischen Athleten in Coes Verband gesperrt. Und seit Neuestem will er olympischen Medaillengewinnern sogar wohlverdiente Prämien auszahlen. Der Mann macht sich, wie es scheint. Nur mit dem IOC-Präsidenten Thomas Bach versteht er sich nicht mehr. Komisch.
"Anne, halt jetzt die Fresse und komm her, das nervt mich, deine Körpersprache. Das ist genau das, was wir vor dem Spiel gesagt haben. Das ist von dir schlecht! Meine Güte, jetzt reiß dich zusammen."
So, nun ja, unsanft ermahnte der Hockeybundestrainer Valentin Altenburg seine Spielerin Anne Schröder in einer Spielpause. Und erinnerte uns alle daran, dass Leistungssport nicht nur olympischer Geist und Ermutigung ist. Beim gemeinsamen Interview nach dem 5:1-Sieg gegen Frankreich zeigten Altenburg und Schröder sich versöhnt oder jedenfalls ungerührt. Altenburg erklärte, Schröder sei die Verlängerung seines Herzens auf dem Platz, und die Mannschaft habe eben Emotionen gebraucht. Schröder lächelte die Situation tapfer weg und erklärte, so was komme schon mal vor. Offen blieb, warum die Aufforderung zum Zusammenreißen nur für die Sportlerinnen und nicht den Trainer gilt.
Das Bild des Tages
Der Fotograf Sebastian Wells ist während der Olympischen Spiele exklusiv für ZEIT ONLINE in Paris unterwegs. Wir zeigen hier jeden Tag ein besonderes Bild vom Vortag. Heute das Getümmel in der Seine beim Triathlon. Zuerst schwammen die Athleten flussabwärts und deshalb alle möglichst in der Mitte des Flusses, wo die Strömung am stärksten ist, dann ging es dieselbe Strecke flussaufwärts, und alles drängte sich am strömungsarmen Rand.
In neun Sportarten und 18 Wettbewerben. Und zwar hier:
Leichtathletik
7.30 Uhr: 20 Kilometer Gehen der Männer
9.20 Uhr: 20 Kilometer Gehen der Frauen
Schießen
9.30 Uhr: 50 Meter KK-Dreistellungskampf, Finale der Männer
Rudern
10.30 Uhr: Doppelzweier, Finale der Frauen
10.42 Uhr: Doppelzweier, Finale der Männer
10.54 Uhr: Vierer, Finale der Frauen
11.06 Uhr: Vierer, Finale der Männer
Segeln
14.43 Uhr: Skiff (49er), Männer
15.43 Uhr: Skiff (49er FX), Frauen
Judo
Ab 16.00 Uhr: Halbschwergewicht Männer (–100 kg), Finale
Halbschwergewicht Frauen (–78 kg), Finale
Kanuslalom
17.30 Uhr: Kajak Einer, Männer
Geräteturnen
18.15 Uhr: Mehrkampf, Frauen
Fechten
19.10 Uhr: Florett, Frauen Teamfinale
Schwimmen
20.30 Uhr: 200 Meter Schmetterling, Finale der Frauen
20.38 Uhr: 200 Meter Rücken, Finale der Männer
21.11 Uhr: 200 Meter Brust, Finale der Frauen
22.03 Uhr: 4 x 200 Meter Freistil Staffel, Finale der Frauen
Das war die heutige Spezialausgabe unseres Was-jetzt?-Newsletters zu den Olympischen Spielen 2024. Falls Sie sich schon seit Tagen fragen, was denn in den braunen Kartons ist, die zusätzlich zu den Medaillen ausgehändigt werden: Es ist das offizielle Olympiaposter, das die Stadt und ihre Spielstätten zeigt, gezeichnet von Ugo Gattoni, versehen mit einem Detail in Gold, Silber oder Bronze.