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Tägliche Post vom Chefredakteur

Stimme
des Westens

Michael Bröcker

25. Juli 2019

Liebe Frau Do,

bei so viel Hass ist es wahrscheinlich besser, wenn man sich fernab von Brüssel und den übrigen europäischen Hauptstädten aufhält. Als junger Brüsseler Korrespondent für den „Daily Telegraph“ stänkerte Boris Johnson fast täglich mit teilweise erfundenen Geschichten gegen die EU. Er „enthüllte“ vermeintliche Pläne des damaligen Kommissionschefs Jacques Delors, Europa alleine regieren zu wollen, und fabulierte über das angeblich geplante Verbot von Chips mit Fisch-Geschmack. Dass Brüssel Rasenmäher regulieren wolle, war auch so eine Erfindung des Journalisten Johnson, um die EU-kritischen Leser bei Laune zu halten. Leider hatte es auch der spätere Außenminister Boris Johnson nicht immer so sehr mit den Fakten. Doch mit dem Premierminister Boris Johnson werden Deutschland und die EU trotzdem möglichst eng und partnerschaftlich zusammenarbeiten müssen. Zu wichtig ist Großbritannien. Zu bedeutsam ist der Handelsaustausch mit den Briten, zu eng unser gemeinsames Verständnis von liberaler Demokratie und demokratischen Werten. Jochen Wittmann über den Tag 1 des neuen Regierungschefs.

In Berlin konnte Annegret Kramp-Karrenbauer bei der Sondersitzung des Bundestags nicht im angestammten Reichstagsgebäude vereidigt werden. Der Plenarsaal wird saniert. Nichts anderes muss die CDU-Vorsitzende, die vergangene Woche überraschend ihren Anspruch auf den Kabinettsposten geltend gemacht hat, jetzt mit der Bundeswehr tun: sanieren. Und zwar ordentlich. Denn die Truppe wurde „herunter gewirtschaftet“ und „ausgeblutet“, sagte der frühere ranghöchste deutsche Nato-General Egon Ramms im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Vereidigung der neuen Ministerin und die Reaktionen auf ihre Rede hat Kristina Dunz zusammengefasst. Meinen Kommentar lesen Sie hier.

Die Berliner Staatssekretärin Sawsa Chebli hat sich mit Hartnäckigkeit und einem unermesslichen Bildungshunger aus einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie bis an die Spitze der SPD hochgearbeitet. Die 40-jährige Muslimin ist bei Twitter dauerpräsent und das lebendige Feindbild neuer und alter Rechter. Auch weil sie resolut und selbstbewusst dem Rechtsextremismus die Stirn bietet. Sawsa Chebli, einst von Frank-Walter Steinmeier ins Außenministerium geholt und zur Vize-Sprecherin ernannt, schießt zwar gelegentlich über das Ziel hinaus, weil die SPD-Frau zu selten wirtschaftsliberale und konservative Meinungen außerhalb ihrer sozialdemokratischen Programmatik als diskursfähige Alternative ansieht. Doch in der Debatte über das Schweinefleisch-Verbot an einer Leipziger Kita hat sie gestern einen klugen Satz getwittert: „Mohammed heißen und gleiche Chancen bei Wohnungen, Kopftuch tragen und arbeiten dürfen, in der Schule nicht benachteiligt werden, einen Bart tragen und beten, ohne gleich Terrorist zu sein, ein Leben ohne Rassismus - das wünschen sich Muslime. Nicht Kitas ohne #Schweinefleisch.“ Warum manch eine Schule und manch ein Verein die Rücksichtnahme auf muslimische Mitbürger mit der Verneinung eigener Traditionen verwechseln (Lichterfest statt St. Martin zum Beispiel), ist mir schleierhaft, doch passiert es immer wieder. Wir haben deshalb die mindestens so kluge und kompetente Kollegin Alev Dogan gebeten, aus ihrer Sicht die Debatte um das Schwein, die Deutschen und die Muslime einzuordnen. Es ist wieder einmal ein lehrreicher Essay geworden.

Und wenn sie mehr über Frau Chebli wissen wollen, empfehle ich einen Blick in unser Archiv. Im Dezember 2015, als Chebli noch kein Twitter-Star und in Deutschland ziemlich unbekannt war, habe ich meine Kollegin Dorothee Krings gebeten, über die aufstrebende Berlinerin ein Portrait zu schreiben. Es ist auch heute noch sehr lesenswert.

Herzlichst

Ihr

Michael Bröcker

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