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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Mittwoch, 24.05.2023 | Bedeckt und windig bei max. 18°C. | ||
+ Berlin gedenkt zurückhaltend an den Volksaufstand vom 17. Juni + Grüne gegen Olympia 2036 in Berlin + Friedrichstraße wird wieder für Autos geöffnet + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, manchmal ist es ein Kreuz mit Berlin. An den Kreuzungen kleben wahlweise Menschen oder sowieso zu viele Autos fest, die zentrale U-Bahn-Linie 2 wurde von einem stümpernden Hochhausinvestor komplett aufs Kreuz gelegt, und bei der S-Bahn fehlt für immer ein Kreuz. Ostkreuz, Südkreuz, Westkreuz und Bahnhof Gesundbrunnen – warum gibt es eigentlich kein Nordkreuz? Weil der Kiez im Nordwesten einst der schilderwechselnden Bahn zurief: Mit der Idee könnt Ihr uns kreuzweise! Aus einem Heilbad mit Wasserpumpe erwachsen (im alten Berlin wie das hiesige Hertha-Stadion „Plumpe“ genannt), dann als Arbeiter- und Vergnügungsviertel aufgeblüht, wurde der Gesundbrunnen durch Krieg und Teilung zu Vorposten und Vorstadt degradiert. Inzwischen feiert die Gegend rund um den zugigen Fernbahnhof ein mehrzügiges Comeback (hier mein Report). Berlin sprudelt auch ohne Wasserplumpen – dort, wo sich alte und neue Wege kreuzen. | |||
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So frei wir uns heute fühlen – so befreit war Berlin lange nicht. Als die Mauer noch gar nicht stand, unterdrückte die kommunistische SED jede freiheitliche Regung – und schlug am 17. Juni 1953 auf den Straßen und Plätzen der kriegsverwundeten Stadt den Aufstand für Demokratie mit Hilfe sowjetischer Panzer blutig nieder. Wie erinnert 70 Jahre später die Stadt der Freiheit daran? Eher zurückhaltend, muss man zurückhaltend feststellen. Denn außer ein paar Großplakaten an historischen Schauplätzen wie dem Brandenburger Tor oder dem Bundesfinanzministerium (wo sich die Demonstranten vor dem damaligen Haus der DDR-Ministerien versammelten) und Kranzniederlegungen auf dem Urnenfriedhof Seestraße im Wedding, auf dem einige der Todesopfer begraben liegen, hat sich die Stadt nicht viel einfallen lassen. Immerhin das Abgeordnetenhaus veranstaltet eine Podiumsdebatte sowie eine Kinderlesung – und richtet am 15. Juni eine Gedenkstunde aus, bei der Alt-Bundespräsident Joachim Gauck eine Rede zur Demokratie halten wird. „Der Volksaufstand in der DDR war auch getragen von einer Sehnsucht nach Freiheit und nationaler Einheit“, sagt Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) dazu dem Checkpoint. „An die Menschen zu erinnern, die damals dafür kämpften und starben, macht deutlich, dass weder die Freiheit noch die Selbstbestimmung in unserem Land von jeher selbstverständlich waren.“ So frei sollte Berlin immer sein – sich selbst und seine Geschichte nicht zu vergessen. | |||
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Ohne Einsicht in eigene historische Verstrickungen ist auch Berlins neuester Zukunftsplan nicht zu meistern: die mögliche Bewerbung um eine mögliche Austragung der Olympischen Spiele 2036 – ausgerechnet 100 Jahre nach den Nazi-Spielen im Olympiastadion. Die im Checkpoint begonnene Debatte (mein Plädoyer für die Spiele lesen Sie hier) hat viele Reaktionen hervorgerufen. Bei unserer Umfrage nahmen mehr als 3000 Personen teil, von ihnen unterstützen 35 Prozent die Idee einer Kandidatur, 61 Prozent sind dagegen. Auch die Sportsprecherin der Grünen, Klara Schedlich, hält eine Bewerbung beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) selbst im Verbund mit anderen Städten für „absurd“, solange so viele Sportstätten für den Breitensport in Berlin marode seien. „Die derzeitigen Vorstellungen des IOC entsprechen nicht nachhaltigen Spielen“, sagt die 23-Jährige am Checkpoint-Telefon. „Neue Richtlinien für die Nutzung auch kleinerer Sportstätten sind bei diesem Sportverband leider utopisch“, glaubt Schedlich. Genau anders herum argumentiert der frühere Senatssprecher Richard Meng, der heute Berlin-Chef der Olympischen Gesellschaft ist. Er fordert eine Veränderung der Sportverbände gerade durch eine nachhaltige deutsche Bewerbung: „Berlin sollte zeigen, dass es sich einmischen will und kann in die große Debatte zur Zukunft des Sports, dessen Prinzipien und Werte weltweit so häufig ignoriert oder sogar missbraucht wurden“, schreibt Meng im Tagesspiegel-Gastbeitrag. Am Ende hängt Berlins Ambition eben nicht nur an der eigenen Geschichte, die ehrlich und sichtbar aufgearbeitet werden müsste, sondern auch an der Gegenwart der dem Geld verschriebenen Sportverbände – und wann sie endlich in die Zukunft starten. | |||
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So, schnell noch kurz den Rückwärtsgang eingelegt: Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat vorgestern im Tagesspiegel-Interview erklärt: „Ich sehe schon, dass wir den Autoverkehr eindämmen müssen.“ Gestern nun verkündete sie, dass ab Juli wieder Autos durch die inzwischen für Fußgänger und Radfahrende reservierte Friedrichstraße fahren sollen. Der Verkehr wird damit tatsächlich eingedämmt – zum Beispiel auf der parallel verlaufenden Charlottenstraße. Vielleicht kein Zufall, dass sich dort der Weinladen von Anja Schröder befindet, die den lokalen Widerstand gegen die Fußgängerzone nebenan in der Friedrichstraße angeführt hatte. Bald könnten vielleicht an ihrem eigenen Laden mit Außenausschank viel weniger Autos vorbeirollen. Berlins Verkehrswende bleibt ein Nullsummenspiel – und verkehrt sich so selbst. | |||
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