der Flaneur ist das Auge der Stadt. Und wo gibt es – neben Paris natürlich – mehr Stadtaugen als in Berlin? Es ist die Metropole, in der überall die „kleinen Entdeckungsreisen des Zufalls“ warten, wie sie von dem großen Spaziergänger Franz Hessel einst beschrieben wurden. Doch die Zeiten Hessels oder Benjamins sind lange vorbei. Wer heute durch Berlin geht, der entdeckt überall nur Demolage und Zerfall: „Wir brauchen keine Invasion und keine Wirtschaftskrise, wir zerstören uns schon ganz von selbst“, schreibt Dominik Pietzcker über seinen jüngsten Stadtspaziergang durch die deutsche Hauptstadt. „Der zivilisatorische Erosionsprozess ist in vollem Gange, und er beschleunigt sich weiter.“ Denn Berlin ist, trotz Hauptstadtstatus und Wohlstandstransfer, zum Symbol des urbanen Zerfalls avanciert, sichtbar an der Vernachlässigung von Bildung, Wohnverhältnissen und innerstädtischer Architektur. Der Streifzug führt Pietzcker durch eine Zivilisationsform auf ihrer Schwundstufe. Ein lesenswertes Feuilleton über einen Sonntagsspaziergang durch die Hauptstadt. Und wo die Häuser verfallen, da verfallen auch die Sitten. Diesen Eindruck bekommt zumindest Cicero-Autor Mathias Brodkorb, der sich intensiver mit den Streitereien im Axel-Springer-Verlag auseinandergesetzt hat. Der große Medienskandal eskaliert und nimmt eine unerwartete Wendung. Was steckt hinter dem Rausschmiss des Bild-Chefs Julian Reichelt? Offenbar haben andere Medien auf Grundlage falscher Informationen berichtet. Über die Rückabwicklung einer Affäre und den Feind eines Feindes. Wo es um die Zeitungsverlage nicht gut steht, bleibt einem als Mediennutzer immer noch das Fernsehen: Dort, im Hauptstadtstudio der ARD, hat Sandra Maischberger am Mittwoch Olaf Scholz interviewt und sich dabei sichtlich bemüht, echte Antworten vom Bundeskanzler zu bekommen. Auch zu dessen Erinnerungsvermögen. Mit mäßigem Erfolg, wie mein Kollege Ferdinand Knauß beim Zappen beobachtet hat. Denn Scholz beherrscht die Kunst der Phrase. Und notfalls beruft er sich auch mal auf „unvermeidbare“ Gedächtnislücken. Zu einem anderen Thema: die 36-Stunden-Meuterei der Wagner-Truppe in Russland. Hier bringen uns Spekulationen und Verschwörungstheorien nicht weiter, wie Ex-Botschafter Rüdiger Lüdeking meint. Entscheidend sei, wie mit den jetzt gegebenen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten politisch umgegangen wird. Und solange es hier keine Antworten gibt, solange gilt erhöhtes Risiko. Um den Krieg geht es auch in dem Interview, das Frank Lübberding mit Markus Reisner geführt hat. Der Historiker und Oberst ist derzeit einer der gefragtesten Militär-Analysten im deutschsprachigen Raum. Im ersten Teil des Interviews spricht er über Objektivität in Zeiten des Ukrainekrieges, Geschichte, die sich wiederholt, und das mögliche Auftauchen des Schwarzen Schwans – also eines Ereignisses, mit dem niemand gerechnet hat. Reisner ist sich sicher, dass wir derzeit das „böse Erwachen für die Europäer“ erleben. Und zum Schluss noch etwas Lesestoff aus dem Juni: Jacob Mikanowski hat eine beeindruckende Geschichte Osteuropas geschrieben, Bernd Roling und Julia Weitbrecht gehen der Historie des Einhorns auf die Spur, und Antony Beevor betrachtet die russische Revolution aus neuen Perspektiven. Wir haben all diese Bücher gelesen und stellen sie Ihnen vor. Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |