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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 29.08.2023 | Dauerregen und Brise bei bis zu 16°C. | ||
+ Zu viel Autoverkehr: Berlin hat überdurchschnittlich viele Elterntaxis + Es wird gespart, bis es knallt: Schul-Workshops gegen Gewalt bedroht + Neuer Standort für Berliner Zentralbibliothek: Kultursenator Chialo schlägt Lafayette-Gebäude vor + |
von Robert Ide |
Guten Morgen, los geht die wilde Fahrt! Mit einer unglaublichen Durchsage: Nächster Halt – Alexanderplatz. Nach zehneinhalb Monaten fährt Berlins wichtigste Linie U2 wieder regulär durch. Das konnten so wenige Menschen glauben, dass am Montag kaum welche zu finden waren, die mit der U-Bahn ohne Umsteigen anreisten, um am Alex die „Danke“-Müsliriegel der BVG entgegenzunehmen und mit eigenen Augen zu sehen, dass Berlins bekanntester Platz weiterhin mehr Stein als Sein ist. „Viel mehr als sonst ist hier noch nicht los“, erzählt Madleen aus Marzahn beim Checkpoint-Zwischenstopp. Die junge Frau verkauft Brötchen und Kaffee in der U-Bahn-Station, die früher im täglichen Gewusel von 100.000 Menschen immer kurz vorm Platzen war – bis dann die verpatzte Hochhausbaustelle des Konzerns Covivio durch die Tunneldecke hereinplatzte. Nun lebt die legendäre Ost-West-Linie wieder. Doch abgesehen vom Jubel der BVG („The U2 is finally back“) und dem stillen Lächeln der wenigen Fahrgäste blieb die Stimmung am Premierentag berlinerisch ungerührt. Mehr Leute kamen nicht vorbei, um bei Madleen Brötchen zu kaufen. Und: „Die einen sind freundlich wie immer, andere unfreundlich wie immer.“ Madleen selbst kommt täglich mit der Straßenbahn zur Arbeit, „das ist einfacher“. Es dauert wohl noch etwas, bis Berlin wieder freiwillig in den Untergrund geht. | |||
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Immerhin geht die Lernkurve der Stadt bei ihren Jüngsten jetzt wieder nach oben. Die Schule hat begonnen – und mit ihr das Verkehrschaos vor jedem Schuleingang. Zwei Drittel der Berlinerinnen und Berliner beklagen laut einer Befragung des ADAC zu viele Autos vor den Schulen. Gleichzeitig werden laut der Erhebung „in der Hauptstadt überdurchschnittlich viele Kinder mit dem Auto zur Schule gebracht“. So wurden in den Wintermonaten in Berlin 31 Prozent der Schulwege im Elterntaxi zurückgelegt. Selbst im weitläufigeren Brandenburg waren es nur 25 Prozent, im Bundesschnitt gar nur 22 Prozent. Martin Koller vom ADAC Berlin-Brandenburg ermahnt deshalb die Eltern, „die Kinder ihren Schulweg selbstständig bewältigen zu lassen“. Das eigentliche Problem der Elterntaxis sind eben die Eltern, die ihren Kindern nicht zutrauen, sich in dem Verkehr zu bewegen, den sie selbst verursachen. | |||
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So, wir spulen mal kurz zurück. Auf der Funkausstellung in Berlin wurde vor 60 Jahren erstmals ein Kassettenrecorder präsentiert. Der Tagesspiegel bejubelte am 30. August 1963 „ein weitgehend automatisches Kleintonbandgerät, dessen neuartige Bandkassette den Wechsel des Tonbandes sehr erleichtert“. Bis zum Siegeszug der Musikkassette in den 80er-Jahren dauerte es noch etwas, doch bis heute ist die Musik vom Band in Berlin unkaputtbar. „Seit vielen Jahren erleben wir ein Comeback der Musikkassette“, erzählt Federica aus Neukölln am Checkpoint-Telefon. Die Italienerin betreibt gemeinsam mit ihrem kanadischen Mann Andrew ein Musiklabel, das fast ausschließlich Musikkassetten produziert. „Kitchen Leg Records“ vertreibt vor allem die Musik junger Berliner Punkbands und gestaltet jedes Cover mit einer Collage. In der Produktion sind die Tapes günstiger und schneller herstellbar als die ebenfalls wieder gut aufgelegten Schallplatten, sagt Federica. „Und im Gegensatz zum Streaming verdienen Künstlerinnen und Künstler mit den Kassetten Geld.“ Erwerbbar sind Kassetten noch in vielen Berliner Plattenläden wie bei „Static Shock Musik“ in Neukölln. „Es ist wie bei der Schallplatte“, erzählt Musiker und Ladenbesitzer Cristian Iffland, „die Musikkassette war nie tot.“ Inzwischen gebe es wieder mehr Produktionen aus den USA und England, „richtig erklären kann ich mir das nicht“. Iffland, der mit seiner Postpunk-Band „Diät“ stets Musiktapes aufnahm, sammelt selbst Kassetten und stellt am liebsten Mixtapes zusammen. „Das eigene Überspielen macht den größten Spaß, es ist auch ein tolles Geschenk“, erzählt er. „Dafür hole ich mir alte TDK-Kassetten vom Flohmarkt.“ Musikproduzentin Federica läuft am liebsten mit Walkman durch Berlin. „Ich hab auch immer einen Bleistift dabei, falls es mal Kabelsalat gibt.“ So dreht sich Berlin immer weiter – bis zur B-Seite. | |||
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Es wird wieder gespart, bis es quietscht. Davon betroffen sind auch Bildungsprojekte an Schulen für Demokratie und gegen Gewalt, wie nun acht Bildungsträger, darunter der Migrationsrat und die Aidshilfe, in einem offenen Brief an Senat und Regierungsparteien beklagen. „In unserer Arbeit legen wir früh einen Grundstein für ein gewaltfreies Miteinander“, heißt es in dem Protestschreiben. „Wir erfüllen die Bedarfe, für die Lehrkräfte keine Zeit oder schlicht nicht die passende Ausbildung haben oder für die es den Schulen an Geld fehlt.“ Besonders Aufklärungsworkshops gegen Gewalt sollen laut Haushaltsplan in den nächsten Jahren zusammengestrichen werden, beklagt etwa die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG). Die Initiative bietet in Schulen Workshops mit dem Namen „Gewalt kriegt die Rote Karte“ an und spricht mit den Kindern auch explizit über die Gefahren häuslicher Gewalt – und wie sie Hilfe finden können. „Wir haben eine Anmeldeliste bis zum Jahresbeginn 2025“, sagt BIG-Geschäftsführerin Doris Felbinger im Checkpoint-Gespräch. „Nun soll die Finanzierung wegfallen. Darüber sind wir einfach nur entsetzt.“ Die Bildungsverwaltung bestätigt auf Checkpoint-Anfrage die geplanten Kürzungen. „Die Schwerpunktsetzung ist auch Ergebnis eines schwierigen Abwägungsprozesses“, teilte Sprecher Martin Klesmann mit. „Die Haushaltslage ist und bleibt angespannt. Bei steigenden Ausgaben ohne wesentlich steigende Einnahmen müssen Prioritäten gesetzt werden, um Projekte und Investitionen zu ermöglichen, die bisher nicht möglich gewesen sind.“ Gehört also Gewaltprävention nicht mehr zu den Prioritäten der Landesregierung? Anfragen dazu bei den Bildungsobleuten von CDU und SPD blieben zunächst ohne Antwort. Was hoffentlich kein Statement ist. | |||
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In Berlin werden pro Tag fast drei Vergewaltigungen bei der Polizei angezeigt. Die offiziellen Zahlen steigen Jahr für Jahr, die Dunkelziffern sind weit höher. Eine Anzeige macht keinen Sinn, wenn man nicht bereit ist, vor Gericht alles noch einmal zu durchleiden, sagen Beratungsstellen zu Jasmin. Die Berlinerin ist vergewaltigt worden. Sie wird die Gewalttat, die vor 15 Jahren geschah, bis heute nicht los. Die Betroffenen einer Vergewaltigung zahlen sehr lange mit ihrer Gesundheit, ihrer Freiheit, vielen Unmöglichkeiten. Was zahlen die Täter? Nun hat Jasmin Pascal kennengelernt, auch er ist Anfang 40 und auch er ist knapp dem Tod entronnen. Aber können sie wirklich Vertrauen fassen in einen anderen Menschen, kann Jasmin wieder Nähe zulassen? „Jede Annäherung birgt ein Risiko“, sagt sie. Gleichzeitig will sie auf keinen Fall für den Rest ihres Lebens ein Opfer sein. Jasmins Geschichte, die sie mir in einem langen Gespräch in einem Berliner Gartenlokal erzählt hat, lesen Sie hier. | |||
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Neben den Schulferien sind in Berlin auch die Parlamentsferien vorüber. Raufereien beim Wiedersehen sind da nicht ausgeschlossen. Im Bauausschuss begrüßte die Ausschussvorsitzende Elif Eralp (Linke) die Anwesenden „mit frischer Energie“ zu einer zehnminütigen Auftaktdebatte über die richtige Reihenfolge beim Reden. Sie hatte vor der Sommerpause angeregt, die Rednerinnen und Redner zu quotieren, also bei Wortmeldungen nicht nach Reihenfolge zu gehen, sondern Frauen vorzuziehen. Ein Gutachten beim Wissenschaftlichen Dienst im Auftrag von Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) kam nun jedoch zu dem Schluss, dass dies nicht rechtens sei. „Ich habe da eine andere Rechtsauffassung“, beharrte Eralp am Montag, „werde das Gutachtenergebnis aber erst einmal hinnehmen.“ Daraufhin entspann sich ein moderiertes Wortgefecht von Katrin Schmidberger (Grüne) und Katalin Gennburg (Linke) für sowie Rolf Wiedenhaupt und Harald Laatsch (beide AfD) gegen die Quotierung. „Ich bin gespannt, wie wir damit vorankommen“, sagte Gennburg. Bauen in Berlin war dann auch noch Thema. | |||
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