| Berliner Ordnungsruf Politik und Ordnung in Zeiten des Wandels Themen: #Russland #Katar #Deutschland |
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| Die Kosten des Opportunismus und der Preis des Idealismus |
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| | Die großen Umbrüche der Gegenwart lösen eine Zeitenwende aus. Es ist Zeit für neue Ideen und eine progressive Ordnungspolitik: Wie können wir unsere Werte schützen und zukunftsfähige Visionen entwickeln? Und welche Rolle spielt Europa dabei? |
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| Liebe Leserinnen und Leser, wenn am 18. Dezember das Finale der Fußball-WM in Katar angepfiffen wird, werden viele von uns, den Verfasser eingeschlossen, in einer gut geheizten Wohnung vor dem Fernseher sitzen und vielleicht ja sogar der deutschen Mannschaft die Daumen drücken, um Weltmeister zu werden. Im Fußball. In der Wirtschaft ist Deutschland Seriensieger, geo- und sicherheitspolitisch dagegen gerade einmal zweitklassig. Nur sehr wenige werden sich im Dezember daran erinnern, dass die Stadien in Katar von Arbeitern gebaut worden sind, die sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt waren. Und auch nicht daran, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck nach Katar reiste, um Alternativen zum blutigen Öl und Gas aus Russland zu verhandeln. Reicht es, uns einzureden und gegenseitig zu bestätigen, dass es ja nichts ändern würde, wenn wir die WM in Katar oder das Gas aus Russland boykottieren? Endet an diesem Punkt, wo das ökonomische Kalkül beginnt, schon die Moral, unsere Verantwortung und Mitschuld? Man spürt, wie schwer Habeck an der Last trägt, mit dem Dilemma hadert und mit der Verantwortung ringt. Das ist im Ergebnis nur ein kleiner Fortschritt, in der Haltung ein bedeutender. Die Ordnungsfrage Sollen wir in einer idealistischen oder können wir in einer opportunistischen Welt leben? Weder noch. Idealismus bedeutet, die Welt für eine bessere zu halten, als sie ist, Opportunismus dagegen, sich damit abzufinden, dass sie nicht besser ist. Beides dürfen wir nicht tun. Deshalb hatte Friedrich Merz in seiner Bundestagsrede recht, dass die 100 Milliarden Euro in die Bundeswehr fließen müssen. Und deshalb hatte auch Annalena Bearbock in ihrer Replik recht, wenn sie eine feministische Außenpolitik fordert, denn dies ist kein Gedöns, sondern bringt jenen Fortschritt, den unfreie Gesellschaften brauchen. Denn überall dort, wo willkürliche Macht und kleptokratische Privilegien herrschen – ob die Oligarchen in Russland dem Volk seine Bodenschätze stehlen oder religiöse Fanatiker Frauen und Mädchen unterdrücken –, leiden Menschen unter Ungleichheit und Unfreiheit. Und es sind nicht eben zufällig diese Staaten, von denen zumeist Krieg und Aggression ausgeht. Aber auch gilt: Die Welt wird nur sehr viel langsamer besser und unser Einfluss ist geringer, als wir wahrhaben wollen. Stabilität und Frieden in der Welt sind möglich, ohne dass überall Freiheit und Gerechtigkeit herrschen. Deshalb besteht Realpolitik sehr wohl in Annäherung und Kooperation – auch und gerade über Demokratien und Autokratien hinweg. Wandel durch Handel ist nicht gescheitert. Wir waren nur entweder zu idealistisch oder - öfter - zu opportunistisch. In jedem Fall aber hat Deutschland von der Ordnung der Globalisierung in den letzten dreißig Jahren massiv wirtschaftlich profitiert, ohne zu ihr politisch beigetragen zu haben. Die Perspektive Europas Was kann die Rolle Europas sein? Fest in den eigenen Werten und wehrhaft gegen ihre Feinde nach innen und außen zu sein, ist die große Aufgabe Europas in den kommenden Jahren, in denen es zu einer globalen Auseinandersetzung zwischen Ordnungsideen und um Ordnungsmacht kommen wird. Europa wird nicht allein den kooperativen, regelbasierten Multilateralismus retten, wenn alle anderen nicht mitspielen, sondern ihr eigenes Machtspiel spielen. Vertrauen lässt sich, das zeigt die Spieltheorie, über die Zeit nur durch Glaubwürdigkeit durchsetzen. Glaubwürdig kann nur sein, wer auch stark ist - in militärischer und wirtschaftlicher Potenz, aber eben auch in der Haltung und in dem erkennbaren Willen, sie gegen Widerstände zu verteidigen. Europa aber zeigt sich schwach, trotz aller Sanktionen, von denen immer behauptet worden ist, sie seien die schärfstmöglichen, um dann anzukündigen, sie nochmals verschärfern zu wollen. Tut Europa wirklich alles, um einer Bedrohung, die am Ende Europa selbst gilt, die Stirn zu bieten? Das geopolitische Endspiel findet zwischen den USA und China statt. Gehen wir in ein asiatisches/eurasisches Jahrhundert unter Führung Chinas oder erleben wir die Wiedererstarkung des Westens unter Führug der USA? Weder noch, ist auch hier die Antwort. Eine geopolitische Blockbildung und eine ökonomische Entkopplung des Westens von China liegen ebenso wenig im Interesse Europas wie eine schicksalergebene Anbindung an die USA. Die Rückkehr der Geschichte rund dreißg Jahre nach 1990 darf nicht das Ende der Globalisierungung nach 2022 sein. Wirtschaftliche Verflechtung ist gut, geopolitische Abhängigkeit dagegen schlecht. Der Ordnungsruf geht an Politik und Wirtschaft. Die Politik hat blind gegenüber den geopolitischen Realitäten gefährliche Abhängigkeiten geschaffen – ob bei Energie, Technologien oder Daten –, und die Wirtschaft hat das im Wortsinn billig und billigend in Kauf genommen. Wir erkennen, dass die Kosten des politischen und wirtschaftlichen Opportunismus mindestens so hoch sind wie der Preis des moralischen Idealismus. Und diese fallen uns gerade gewaltig auf die Füße. So viel historische Wahrheit müssen wir heute aushalten. Mit herzlichen Grüßen Henning Vöpel |
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| Prof. Dr. Henning Vöpel Vorstand Stiftung Ordnungspolitik Direktor Centrum für Europäische Politik |
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| | | Der TESS-Index: Ein Fortschrittsmaß für die EU Der TESS-Index misst den Fortschritt in den 27 EU-Staaten in den Bereichen Technologie (Technology), Umwelt (Environment), Soziales (Social) und Staat (State). |
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| | Europäisches Recht auf Reparatur Die Kommission plant ein Recht auf Reparatur. Es soll Verbraucher ermutigen, Produkte länger zu nutzen, und Unternehmen verpflichten, deren Lebensdauer zu verlängern. |
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