Berlin, 27.04.2022
 Berliner 
 Ordnungsruf 
 Politik und Ordnung 
 in Zeiten des Wandels 
 
Themen: 
 #Twitter 
#ElonMusk 
#DSA 
Elon Musk kauft Twitter - Was das für Trump, die Redefreiheit und Europa bedeutet
  
Die großen Umbrüche der Gegenwart lösen eine Zeitenwende aus. Es ist Zeit für neue Ideen und eine progressive Ordnungspolitik: Wie können wir unsere Werte schützen und zukunftsfähige Visionen entwickeln? Und welche Rolle spielt Europa dabei?
Liebe Leserinnen und Leser,

Elon Musk hat zugeschlagen: Für sage und schreibe 44 Milliarden Dollar kauft er das Soziale Netzwerk Twitter, also jenes Medium, mit dem Donald Trump einst seine Politik direkt Millionen Usern „erklärte“, man könnte auch sagen: Fake News verbreitete und Hass säte. Das Ziel von Musk besteht laut eigener Aussage nun darin, Twitter zu einer globalen Plattform der Redefreiheit zu machen. Dazu muss er Twitter von Hass und Desinformation befreien. Kann das gelingen mit Twitter, das doch, wie fast alle anderen Sozialen Netzwerke, den Diskurs qua Algorithmus radikalisiert, von der Mitte an die extremen Ränder führt und Spaltung schürt? Die Aufmerksamkeitsökonomie funktioniert, das ist gut belegt, psychologisch am besten mit negativen, kontroversen, extremen und beleidigenden Inhalten. Nirgendwo lässt sich das besser beobachten als ausgerechnet auf Twitter, wo selbst seriöse Journalisten und renommierte Wissenschaftler sich dem Strudel der Besserwisserei und Selbstbestätigung nicht entziehen können und in den Abgrund hasserfüllter Rhetorik hinabgerissen werden.  
 
Die Ordnungsfrage
Wenn Elon Musk nun Twitter kauft, kann es dadurch schlechter eigentlich nicht werden. Twitter ist heute ja schließlich auch kein vornehmes Forum demütiger, unvoreingenommener Wahrheitssuche. Und doch gibt der Kauf von Twitter durch Elon Musk Anlass zu einem „Ordnungsruf“. Und zwar aus zwei Gründen: 1. Der Einfluss (a-)sozialer Medien erreicht mittlerweile bedenkliche Ausmaße. In den USA informieren sich große Teile der Jugend ausschließlich über Facebook. Mark Zuckerberg hat immer wieder bestritten, ein Medium im Sinne des Presserechts zu sein oder sein zu wollen. Aus guten Gründen: Denn das würde ihn zu weitgehenden Maßnahmen zur Regulierung der Inhalte verpflichten. In Demokratien wird Wahrheit nicht von oben verkündet, sondern es wird um sie gerungen und gestritten. Demokratien können daher niemals die Wahrheit direkt verteidigen, sondern nur die Voraussetzungen, unter denen wir uns der Wahrheit nähern können. Das sind einerseits die unbedingte Freiheit des Individuums und seiner bedingten Mündigkeit und andererseits die unverletzte Pluralität des verletzlichen Diskurses. 2. Elon Musk baut, fast unbemerkt, ein eigenes Satellitensystem auf, mit dem er fast die gesamte Welt mit einem Zugang zu globaler Kommunikation versorgen kann. Vor einigen Wochen hatte Musk seinen „Starlink“ den Menschen in der Ukraine zur Verfügung gestellt, nachdem die Russen ihnen in einigen Gebieten das Netz kaputtgebombt hatten. Nun kauft er Twitter. Damit konzentriert sich Macht in privaten Personen, wie einst bei dem Medienmogul Rupert Murdoch. Die digitale Zukunft findet auf neuen Infrastrukturen statt – im übertragenen Sinne auf Straßen, Leitungen und Schienen, im konkreten Sinne auf Plattformen, Satellitensystemen und Sozialen Netzwerken. Das alles darf sich in privatem Eigentum befinden, allerdings nicht unreguliert. Es ist nicht gut, wenn der Staatsanwalt auch der Richter ist, wenn der Organisator der Regulator und der Eigentümer von Netzwerkinfrastruktur zugleich der Betreiber ist. Wettbewerb wird verdrängt, Macht konzentriert sich. Ob Musk nun ein guter oder schlechter Mensch ist, sein Motiv kommerziell oder altruistisch, ist dabei nicht entscheidend. Weder ein System der Oligarchen noch der Tycoons ist ein gutes. Der Mechanismus ist der gleiche: Macht durch privilegierte Zugänge.       

Die Europa-Perspektive
Hat der Twitter-Deal von Musk Auswirkungen auf Europa? Nicht unmittelbar. Und doch ist der Deal von großer symbolischer und auch politischer Bedeutung für Europa. Parlament, Rat und Kommission haben sich erst vor wenigen Tagen auf den Digital Services Act (DSA) geeinigt, der ein Meilenstein der Regulierung des digitalen Europas ist und eine Art „Grundgesetz des Internet“ sein soll. Reicht das aber?  Es wäre eine gefährliche Illusion zu glauben, man könne das Internet kontrollieren oder gar von Hass und Desinformation zu befreien. Wenn man Digitalisierung zu Ende denkt und an die gewaltigen Datenmengen, die dann von Quantencomputern verarbeitet werden, dann wird klar, dass es völlig neuer Ansätze bedarf. Wenn Trump 2024 wieder antritt, wird Musk dann höchstpersönlich den Account wieder freigeben? Oder ihn dauerhaft verwehren? Beides wäre aus offensichtlichen Gründen problematisch. Europa wird sich regulatorisch nicht komplett entkoppeln können, so wenig wie andere Digitalräume von Europa. Wenn Europa digitale und technologische Souveränität anstrebt, und das sollte es, denn die Abhängigkeit von Servern und digitalen Diensten ist bereits jetzt immens und das Risiko von Cyber-Attacken mit allen Folgen für Freiheit und Demokratie hoch, dann muss Europa endlich anfangen, die regulatorischen, technischen und infrastrukturellen Bedingungen auf dem Europäischen Binnenmarkt für digitale Geschäftsmodelle, Plattformen und Innovationen zu verbessern. Der globale Kampf um den Cyberspace hat längst begonnen. Auch dieses Thema gehört zur „Zeitenwende“ und damit auf eine europäische Sicherheitsagenda. Demokratien müssen zu ihrer eigenen Verteidigung von Sicherheit und Wohlfahrt den Anspruch erheben, führend in Technologien und Infrastruktur zu sein. Israel tut das, Europa sollte es auch.   
 
Der „Ordnungsruf“ geht an die europäische Digitalpolitik, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die mit dem Twitter-Deal von Musk um eines mehr geworden sind, und die Vielzahl der langsam unübersichtlichen Gesetzgebungsvorhaben und Richtlinien um eine europäische Technologie- und Infrastruktur-Offensive zu ergänzen. Wer die Technologie beherrscht und die Infrastrukturen besitzt, hat die Macht. Daran wird am Ende bloße Regulatorik nichts ausrichten können. 

Mit herzlichen Grüßen

Henning Vöpel 
Prof. Dr. Henning Vöpel
Vorstand Stiftung Ordnungspolitik
Direktor Centrum für Europäische Politik
  
Europa erhält mit Macron fünf Jahre auf Bewährung
 
Emmanuel Macron bleibt französischer Staatspräsident. In der Stichwahl setzte er sich gegen die Rechtspopulistin Marine Le Pen durch. Nach Ansicht des cep verhindert Macrons Sieg eine Kernschmelze in Europa. Dennoch kaschiere das Ergebnis eine Reihe von Problemen, die gelöst werden müssten.
cepAdhoc
Fit for 55: Energie und Industrie
 
In der EU sollen die Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 auf null sinken. Auf dem Weg dorthin sollen sie bis 2030 gegenüber 1990 um 55 Prozent reduziert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Kommission ein umfangreiches Maßnahmenpaket („Fit for 55“) für alle Sektoren vorgelegt.
cepAnalyse
 Ihr europapolitischer 
 ThinkTank 
Zur Website
© 2022 cep | Centrum für Europäische Politik
Kaiser-Joseph-Straße 266 | 79098 Freiburg i. Br. 
Telefon +49 761 38693-0 | Fax +49 761 38693-111
Email:
newsletter@cep.eu