Berlin, 27.03.2023
 Berliner 
 Ordnungsruf 
 Politik und Ordnung 
 in der Zeitenwende 
 
 #Bankenkrise
#whatever-it-takes
#Austrian-MMT-clash
Warum die Bankenkrise erst der Anfang ist
Was Politik und Finanzmärkte mit der Realität zu tun haben
Die großen Umbrüche der Gegenwart lösen eine Zeitenwende aus. Es ist Zeit für neue Ideen und eine progressive Ordnungspolitik: Wie können wir unsere Werte schützen und zukunftsfähige Visionen entwickeln? Und welche Rolle spielt Europa dabei?
Liebe Leserinnen und Leser,

Was die Welt mit all ihren Krisen jetzt am wenigsten gebrauchen kann, wäre eine neue Banken- und Finanzkrise. Allein dieser Umstand macht sie schon wahrscheinlicher. Denn die "Retter" der letzten eineinhalb Jahrzehnte haben gerade etwas anderes zun tun, nämlich die Bekämpfung der Inflation. Nicht einmal fünfzehn Jahre nach der globalen Finanzkrise von 2008 kommt es erneut zu Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten. Vor einigen Wochen fing es mit der Pleite der Silicon Valley Bank an. Was dann passierte, folgte dem von früheren Krisen bekannten Muster: Nachdem die Märkte den ersten Schock verarbeitet und sich wieder beruhigt hatten, flammte die Krise wenige Tage später erneut auf, als die nächste schlechte Nachricht nun im Lichte der ersten als untrügliches Zeichen für ernstere Probleme im Bankensektor gedeutet wurde: die Credit Suisse war unrettbar in Schieflage geraten. Die befürchtete globale Ansteckung wurde mit der Übernahme durch die UBS zunächst einmal abgewendet. Im Gegenzug aber ist ein Bankenriese entstanden, für den zukünftig nicht nur „too big to fail“ gelten könnte, sondern auch „too big to be saved.“ Die Geschichte der gegenwärtigen Bankenkrise reicht dabei weit in die Vergangenheit zurück und hält eine Lehre für die Zukunft bereit, die die Politik nicht erfreuen wird.   
 
Die Gegenwart: in der Falle 
Der Wind drehte plötzlich und hart: Mit der akut ansteigenden Inflation kam die scharfe Zinswende und die Banken wurden nach Jahren der geldpolitischen Intensivstation in die nun plötzlich sehr rau gewordene makroökonomische Wirklichkeit geschickt. Die gleichzeitige Bekämpfung von Inflation und drohender Finanzkrise ist zwar, wie EZB-Präsidentin Christine Lagarde zurecht betont, grundsätzlich kein Widerspruch. Und doch haben sich die Zentralbanken, unter tätiger Mithilfe der in den vielen Krisen äußerst spendablen Regierungen, in eine Falle manövriert, oder wie Daniela Gabor es formulierte: in „Zugzwang“ gebracht - eine Konstellation, die aus dem Schach bekannt ist und eine Situation beschreibt, in der man, obgleich am Zug, seine Stellung nur Fall verschlechterm kann.  
Und genau dort sind wir jetzt: Die zu lange Niedrigzinspolitik hat Banken bewusst ins Risiko geführt (Stichwort: search for yield), Staaten deren Schulden günstig refinanziert und die produktive Erneuerung der Realwirtschaft unterdrückt, indem sie den Anschein erweckte (Stichwort: forward guidance), als würden die Zentralbanken die Garantie dafür übernehmen können, dass das, was eigentlich ein gigantisches geldpolitisches Experiment war, auf ewig gut ginge: eine Geldpolitik ohne Zielkonflikte. Nun kehrt die Inflation zurück, und sie ist gekommen, um zu bleiben. „Higher for longer“, haben die Zentralbanken bereits angekündigt und die Märkte auf eine längere Periode restriktiverer Geldpolitik eingestellt, auch um die Gefahr steigender Inflationserwartungen im Keim zu ersticken. Zu sehr schmerzt noch die Erfahrung des harten Disinflationsprozesses in den USA unter Paul Volcker. 
Die jetzige Zinswende kam indes so schnell, dass im Finanzsystem kaum Zeit zur Anpassung bestand, zumal vor dem Hintergrund der von den Zentralbanken selbst geschürten Erwartung, dass es auf absehbare Zeit gar nicht nötig sei. Nun aber drohen auf der Aktivseite massive Wertberichtigungen bei den zuvor stark inflationierten Vermögenswerten und womöglich eine dadurch ausgelöste Bilanzkrise. Zentralbanken bevorzugen aus diesem Grund den allmählichen, lange vorbereiteten Kurswechsel. Dafür aber ist nun, auch aus eigenem Verschulden, keine Zeit mehr. Jetzt, wo das engere geldpolitische Mandat plötzlich wieder greift, geht die Stabilitäts- und Haftungsverantwortung wieder auf einzelwirtschaftliche Akteure zurück – da wo sie eigentlich auch hingehört. Womöglich aber zu spät, denn nun entsteht nach der Übernahme der Credit Suisse mit der UBS paradoxerweise eine noch größere Bank mit noch größerem systemischem Risiko. Vom Risikoforscher Taleb stammt die wunderbare Beobachtung, dass in der Natur alles das, was jemals zu groß geworden ist, immer die Fähigkeit verloren hat, plötzliche Veränderungen der Rahmenbedingungen zu überleben. Er leitet aus diesem Stabilitätsargument das Subsidiaritätsprinzip ab. „Too big to fail“ könnte also bald zu „too big to be saved“ werden. Und dann haben wir ein richtiges Problem. Ein Problem, dessen Anfänge in die Vergangenheit zurückreichen – bis ins Jahr 2008.    
 
Die Vergangenheit: Whatever it takes…
Whatever it takes“, der berühmte Satz des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, ausgesprochen zwar erst im Jahr 2012 zur Beruhigung der Eurokrise, charakterisiert wohl am besten den Politikansatz, der seit dem Jahr 2008 vorherrschte, als die Lehman-Pleite die Welt in den Abgrund zu stürzen drohte: Retten, als gäbe es kein Morgen. In einem Fiat-money-System kann eben nur die Zentralbank als Lender-of-last-resort in die ultimative Bresche springen. Unbedingter Gläubigerschutz aber ist auf Finanzmärkten, auf denen, anders als auf Gütermärkten, im Wesentlichen Erwartungen und Risiken gehandelt werden, fatal, denn er setzt aus, was die Finanzmärkte eigentlich leisten sollen: einen effizienten, vorausschauenden und marktbasierten Umgang mit Risiken. Gerade auf den Finanzmärkten ist die Politik des Whatever-it-takes kurzfristig verlockend und bequem, langfristig aber teuer und gefährlich, weil es die Illusion nährt, Unsicherheit und Risiko als Grundtatbestand der Welt und des Wirtschaftens könnten politisch einfach „übernommen“, also dauerhaft sozialisiert werden. Das aber ist in hohem Maß sozial ungerecht und allokativ ineffizient. Genau das aber war zu lange der Fall. Der Krisenfall wurde zum Normalfall und Dauerzustand. Und genau hier kommt die Politik ins Spiel. Durch die Aussetzung von Marktmechanismen haben sich bequeme, aber gerade deshalb so gefährliche Abhängigkeiten zwischen Bankenstabilität, Staatsschuldentragfähigkeit und Geldpolitik gebildet, die zu Beginn gerechtfertigt waren, als eine Kernschmelze der internationalen Finanzmärkte die Weltwirtschaft in ein Jahrzehnt tiefer Depression zu reißen drohte, nun aber selbst zur größten Gefahr für die nächste Banken- und Finanzkrise geworden sind. Der Weg, der damals eingeschlagen worden war, wurde seitdem nie mehr verlassen und führte immer tiefer in die wechselseitige Abhängigkeit. Nun, da die Abhängigkeit schon systemisch ist, wird die Loslösung von ihr selbst zu einem veritablen Krisenrisiko.  
 
Die Zukunft: Die großen Ungleichgewichte 
Der gegenwärtige Zustand der internationalen Finanzmärkte bleibt über die kurzfristige „Lösung“ mit der Credit Suisse hinaus angespannt. Die Weltwirtschaft hat sich geo- und industriepolitisch stark und abrupt verändert. Wir stehen am Beginn eines neuen geopolitischen Regimes der Weltwirtschaft, aber auch in den nationalen Volkswirtschaften vor großen industriepolitischen Veränderungen. Es werden sich unabwendbar sektorale Ungleichgewichte zwischen Konsum und Investition, zwischen außenwirtschaftlichen Überschüssen und Defiziten, zwischen Gegenwart und Zukunft bilden, was wiederum zu fundamentalen, aber auch zu monetären Anpassungen wird führen müssen. 
Es ist interessant und kein Zufall, dass in den letzten Jahren sowohl die Österreichische Konjunkturtheorie, die sich wesentlich auf die Idee von Ungleichgewichten stützt, und die Postkeynesianische Finanztheorie in Gestalt der Modern Monetary Theory, die behauptet, der Staat könne in fast beliebiger Höhe ihre selbst geschaffene Nachfrage durch eine Ausweitung des Güterangebots automatisch refinanzieren, nahezu zeitgleich eine Renaissance erlebt haben. Beide Theorien werden in ihren Erklärungen und Limitationen in der politischen Debatte eine wichtige Rolle spielen, wahrscheinlich sogar aufeinanderprallen in der politischen Absicht, den hohen bestehenden Investitionsbedarf zu finanzieren, und der ökonomischen Realität, dass die Finanzierungsspielräume strukturell erheblich kleiner werden, weil das Potenzialwachstum sinkt (in Deutschland nur noch etwas mehr als 0,5%) und gleichzeitig die Verteilungskonflikte zunehmen. Häufig wird argumentiert, die grüne Transformation der Wirtschaft könne einen neuen Boom auslösen. Richtig ist, dass sie durch den Schutz der Lebens- und Produktionsbedingungen unsere langfristigen Konsummöglichkeiten erhält. Grüne Investitionen haben jedoch keinen Kapazitätseffekt: Wir können zwar zukünftig klimaneutral, aber nicht unbedingt mehr produzieren. Die Transformation geht also makroökonomisch mit einem Entzug an heutigen Konsummöglichkeiten einher, ohne dass dem ein Mehrkonsum in Zukunft gegenübersteht, was der Grund dafür ist, dass grüne Investitionen heute nach wie vor nur bedingt kapitalmarktfähig sind.  
Die makroökonomischen Konsumansprüche werden indes eher steigen, denn die lange Phase des volkswirtschaftlichen Sparens geht zu Ende, das demografische Entsparen hat bereits begonnen, ein langer realer Kreditzyklus befindet sich damit am Wendepunkt. Alles das, was die Politik heute schon an Investitionen für die Transformation versprochen hat, von Windrädern über Wärmepumpen bis hin zur Gebäudesanierung, wird in der Summe so hoch sein, dass diese Rechnung nicht aufgehen wird, ohne dass die Politik die Illusion fallen lässt, dies alles sei zum Nulltarif zu haben. Hinzu kommen die Tendenzen einer Deglobalisierung, die die Produktion massiv verteuern und die Konsummöglichkeiten beschränken werden.

Die immergleiche (triviale) ordnungspolitische Lehre aus der Vergangenheit und für die Zukunft ist also diese: Politik, Finanzierung und Realität lassen sich nicht unabhängig voneinander denken. Banken und Finanzmärkte sollen helfen, durch Fristen- und Risikotransformation die realwirtschaftlichen Prozesse effizienter zu machen. Dafür müssen sie aber mit der Realität konfrontiert und dürfen nicht von ihr ferngehalten werden. Letztlich führt fast immer eine politische Überforderung der ökonomischen Realität zu Finanzkrisen.   
Prof. Dr. Henning Vöpel
Vorstand Stiftung Ordnungspolitik
Direktor Centrum für Europäische Politik
  
cepAnalyse: Produkthaftung
 
Mehr Rechte im Schadensfall: Die Kommission hat eine Neufassung der Produkthaftungsrichtlinie vorgelegt. Das Centrum für Europäische Politik (cep) sieht Rechte von Geschädigten gestärkt, warnt jedoch im Detail vor Rechtsunsicherheit und Unschärfen.
cepAnalyse
Pier Virgilio Dastoli:
The Battle of Europe
 
Europe is facing troubling times. The upcoming European Elections will take place on 9th of May 2024. For the first time, an alliance of conservatives and right-wing populists is imminent. Pier Virgilio Dastoli, president of the European Movement in Italy, outlines possible solutions.
Common Ground of Europe
 Ihr europapolitischer 
 ThinkTank 
Zur Website
© 2022 cep | Centrum für Europäische Politik
Kaiser-Joseph-Straße 266 | 79098 Freiburg i. Br. 
Telefon +49 761 38693-0 | Fax +49 761 38693-111
Email:
newsletter@cep.eu