| Berliner Ordnungsruf Politik und Ordnung in Zeiten des Wandels Themen: #inflation #ezb #dilemma |
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| Wachsam, aber machtlos? Das Dilemma der EZB |
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| | Die großen Umbrüche der Gegenwart lösen eine Zeitenwende aus. Es ist Zeit für neue Politikansätze und eine progressive Ordnungspolitik: Wie können wir unsere Werte schützen und unsere Zukunft gestalten? Und welche Antworten kann Europa geben? |
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| Liebe Leserinnen und Leser, die Inflation hat im November mit 5,2 Prozent in Deutschland und mit 4,9 Prozent in der Eurozone den höchsten Wert seit Einführung des Euro erreicht. Ist dies ein Grund zur Sorge? Nein und ja. Nein, weil die Inflation im Wesentlichen das Ergebnis von pandemiebedingten Basis- und „Flaschenhals“-Effekten ist. Die Anhebung der Mehrwertsteuer auf den alten Satz von 19 Prozent etwa oder die Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorleistungen haben fast alles gleichzeitig teurer gemacht. Die Basiseffekte werden ab Januar auslaufen und die Inflationsrate sollte dann wieder zurückgehen. So weit, so unproblematisch, denn die Europäische Zentralbank kann diese Effekte geldpolitisch nicht bekämpfen und sollte dies auch nicht tun, solange es sich um temporäre Ursachen handelt, die sich von selbst wieder zurückbilden. Doch zuletzt wurden von den Zentralbanken selbst immer häufiger die Gefahr angesprochen, dass die Inflation sich verfestigen könne. In den USA wird die Federal Reserve Bank aus diesem Grund wohl sehr bald die Zinswende einleiten, nachdem sie die Anleihekäufe bereits stark reduziert hat. Historisch waren Inflationsprozesse nie monokausal, sondern fast immer das Ergebnis von inflationserzeugenden Konstellationen: Sich verschärfende Verteilungskonflikte, geringeres Potenzialwachstum und steigende Verschuldungsquoten bereiten den makroökonomischen Boden für Inflation. In einem solchen Umfeld könnten sich steigende Inflationserwartungen schnell verselbständigen. Und dann wären die Zentralbanken gezwungen, das zu tun, was sie eigentlich gar nicht wollen, nämlich die geldpolitische Wende bereits zu einem Zeitpunkt einzuleiten, in dem sie konjunkturell zu früh bremsen würden, aber die mittelfristigen Inflationserwartungen wieder zurückführen müssten. Momentan gibt es also gute Gründe, wachsam zu sein, denn Inflation tritt zumeist erst dann auf, wenn es schon zu spät ist. Die Ordnungsfrage Doch wie unabhängig, wie frei ist die Europäische Zentralbank (EZB) eigentlich noch, um nicht nur wachsam zu sein, sondern um dann auch entschlossen agieren zu können, wenn es notwendig wird? War die Geldpolitik vor einigen Jahren noch „the only game in town“, hat sich das Blatt inzwischen gedreht. Die „fiskalische Dominanz“ hat Einzug gehalten, nachdem die Geldpolitik zunehmend unwirksam geworden war und die Pandemie der Fiskalpolitik ihren „Whatever it takes“-Moment beschert hat: Rettet die Wirtschaft, ganz gleich, was es kostet. Die fiskalpolitischen Ansprüche werden in Zukunft indesc hoch bleiben, vielleicht sogar noch deutlich steigen angesichts gewaltiger öffentlicher Investitionen, die nicht nur die Ampel in Berlin verspricht, sondern auch in Rom und Paris längst geplant werden. Neben der berechtigten Diskussion um fiskalpolitische Spielräume und eine mögliche „Weiterentwicklung“ (wie es im Koalitionsvertrag heißt) des Stabilitäts- und Wachstumspaktes geht es hier ordnungspolitisch um die grundsätzliche Trennung von Geld- und Fiskalpolitik. Auch wenn die Modern Monetary Theory (MMT), die eigentlich eine New Fiscal Theory ist, diese Trennung aufheben möchte, ist diese politökonomisch und institutionell sehr bedeutsam. Denn schon jetzt scheint das gemeinsame Auftreten von Inflation und gestiegenen Staatsschulden die EZB allmählich in die Bredouille zu bringen. Schon bald könnten die Zielkonflikte sich verschärfen. Was wird dann wichtiger sein, wenn sich aus einer vorübergehenden Inflation ein persistenter Inflationsprozess entwickelt: Die Tragfähigkeit der Staatsschulden durch eine finanzielle Repression zu gewährleisten oder eine mögliche Inflation mit all ihren (un-)sozialen Umverteilungseffekten zu bekämpfen? Sollten sich jetzt noch Verteilungskonflikte und eine Wachstumsschwäche hinzugesellen, wären wir womöglich tatsächlich zurück in der Stagflation der Siebziger. Die Europa-Perspektive Die institutionelle Stabilität und Glaubwürdigkeit sind Europas wichtigstes politisches Kapital. Die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank ist gerade in einem nicht-optimalen Währungsraum wie der Eurozone, in der die Geldpolitik als Folge einer unvollständigen Fiskalunion immer wieder eine quasi-fiskalische Stabilisierungsfunktion ausübt, essenziell. Denn institutionelle Fehlanreize bauen allmählich strukturelle Ungleichgewichte auf, die sich früher oder später immer wieder zu Krisen zuspitzen. Die Pandemie könnte, zumal bei einer vierten und fünften Welle, in Europa asymmetrische Konjunkturverläufe und divergierende Wachstumspfade bewirken und die EZB noch tiefer in ihre faktisch schon bestehende Abhängigkeit treiben. Keine Frage: Christine Lagarde führt die EZB weitaus politischer als ihr eher technokratischer Vorgänger Mario Draghi, der nun, wie in den USA die ehemalige Fed-Chefin Janet Yellen, auf die "Fiskalseite" gewechselt ist. Doch eine zu starke Politisierung der EZB ist mittelfristig wahrscheinlich ihr größtes Risiko. Den fiskalpolitischen Rahmen weiterzuentwickeln, ohne die Unabhängigkeit der EZB in Frage zu stellen, wird daher eine der wichtigsten europapolitischen Aufgaben der nächsten Jahre sein. Die Ampel in Berlin wird dazu schon bald eine konkrete Haltung entwickeln müssen. Der Berliner Ordnungsruf geht an die EZB: Jetzt wachsam zu sein, ist die erste Pflicht der Geldpolitik. Noch gibt es keinen Grund, die Zinsen zu erhöhen (die US-amerikanische Zentralbank Fed wird es hingegen wohl schon bald tun). Aber bei Inflationsprozessen kann der Weg von „noch unbedenklich“ zu „bereits zu spät“ sehr kurz sein. Inflation ist am Ende immer auch ein monetäres Phänomen, wie Milton Friedman betonte, aber sie ist vor allem ein politisches. Die Verlockung der Gegenwart ist immer groß und das Gedächtnis der Politik kurz: „This time is different“, hört man dann, nur um später zu erkennen, dass die Ursachen und Mechanismen von Krisen sich am Ende doch immer stark ähneln. Die wirtschaftspolitischen Spielräume könnten makroökonomisch schon bald deutlich enger werden und die EZB in ein Dilemma stürzen. Es grüßt aus Berlin |
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| Prof. Dr. Henning Vöpel Direktor Centrum für Europäische Politik |
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