|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 14.02.2023 | nebelig und bewölkt bei maximalen 5°C. | ||
+ Letzter CDU-Regierender Eberhard Diepgen im Interview: „Die SPD hat abgewirtschaftet“ + Berlinale-Ticketverkauf nur online + Schoko-Klau in Brandenburg + |
von Robert Ide |
|
Guten Morgen, heute ist Valentinstag. Und vielleicht sollte die Berliner Politik ab heute etwas tun, was man in der Liebe eigentlich nicht machen sollte: sich mit jemandem zusammentun, den man eigentlich nicht mag. Das Wahlergebnis bleibt trotz des klaren Siegers CDU kompliziert – weil die, die wieder zusammenkommen wollen, das nach ihrer klaren Niederlage eigentlich nicht mehr können, und die, die nach ihrem Sieg regieren müssten, bisher nicht so gut mit den anderen können. Berlins Politik ist dazu verdammt, jetzt mal alles anders zu machen. Genau dafür haben die meisten Berlinerinnen und Berliner gestimmt. | |||
|
Und das sind die guten Nachrichten nach einem Wiederholungswahltag, den so keiner wollte, aber der doch überraschend gut gelaufen ist: + Es gab nahezu keine Pannen und Schlangen. Berlin kann sich organisieren, wenn es muss und sich selbst ernst nimmt. + Es gibt kaum noch eine sichtbare Teilung im Wahlverhalten zwischen Ost und West. Eher zwischen Innenstadt und Außenbezirken. + Es gab trotz des Frustes über die Wiederholungswahl, die Landesregierung und generell über die von sich selbst überforderte Stadt immer noch eine Wahlbeteiligung von mehr als 60 Prozent. Die Demokratie haben die meisten Menschen nicht satt. + Berlin wählt die Parteien der demokratischen Mitte, auch, wenn die hier traditionell einen leichten Linksdrall hat. Wenn Wählerinnen und Wähler nach Alternativen suchen, etwa zur 22 Jahre regierenden SPD, finden sie welche. Protestpartei war diesmal die CDU. + Jede Stimme war gewichtig und wird anerkannt. Trotz des historisch hauchdünnen Rückstandes von nur 105 Stimmen auf die SPD fechten die Grünen das Rennen um Platz zwei nicht an. Die Hürden einer Neuauszählung wären auch hoch. Die Legitimität dieser Wahl ist es bereits. + Radikale Parteien konnten von den Krisen im angeblichen „Wutwinter“ nicht profitieren. Die Populisten von der AfD verfehlten ihr Ziel der Zweistelligkeit, die Querdenker-Partei „Die Basis“ kam trotz massiver Werbung auf nur 0,6 Prozent, die rechtsextreme NPD auf 0,1 Prozent. + Der Wahlkampf war bei allen Unterschieden fair geführt, persönliche Angriffe der führenden Köpfe untereinander gab es trotz harter Themen und des knappen Rennens nicht. Vielleicht ein guter Vorlauf für die schwierige Regierungsfindung.Die Demokratie in Berlin funktioniert. Was will man eigentlich mehr? | |||
|
| |||
| |||
|
Okay, eine neue Regierung wäre natürlich nicht schlecht. Wie aber kann es die CDU schaffen, eine in Innenstadt und Außenkieze, in Jung und Alt eingeteilte Stadt zusammenzuführen? Fragen wir einen, der es selbst jahrelang vermocht hat, eine geteilte Stadt zu einen: Eberhard Diepgen, letzter Regierender Bürgermeister der CDU. Der 81-Jährige spricht im exklusiven Checkpoint-Interview über komplizierte Koalitionen und seinen Rat für die Verhandlungen. Herr Diepgen, die CDU ist nach mehr als 20 Jahren wieder klare Nummer eins in der Stadt. Sind Sie die neue Protestpartei? Natürlich war das in erster Linie eine Protestwahl. Aber die CDU hat einen immer besser werdenden Wahlkampf geführt und die Probleme Berlins klar angesprochen. Kai Wegner hat den Ärger der Berlinerinnen und Berliner auf den Punkt gebracht – mit einem bemerkenswerten Ergebnis. Ich selbst hatte mit 25 Prozent für uns gerechnet. Dass es 28 werden, ist phänomenal. Die CDU hat viele Direktmandate gewonnen. Daraus ergibt sich ein klarer Auftrag. Die bisherige rot-grün-rote Koalition hat immer noch eine Mehrheit. Halten Sie eine Regierung unter Führung der CDU für wahrscheinlich? Richtig wäre für Berlin, dass es einen wirklichen Wechsel gibt. Ich rechne aber nicht mit einer schnellen Regierungsbildung, denn das Ergebnis ist kompliziert und die Parteien müssen sich erst einmal durchschütteln. Die Diskussion innerhalb der SPD ist jetzt die entscheidend schwierige. Die Mehrheit der SPD ist in der Seele bei der bisherigen Koalition verhaftet. Die Vernunft der SPD wird sich damit auseinandersetzen müssen, dass das nach diesen Verlusten eigentlich nicht mehr geht. Wenn die Partei jetzt die bisherige Koalition fortsetzt, kann das ihren Abstieg in den nächsten Jahren bedeuten. Die Außenbezirke haben mehrheitlich CDU gewählt, die Innenstadt die Grünen. Muss es jetzt nicht einen Anlauf zu Schwarz-Grün geben, um die Stadt zusammenzuführen? Ich persönlich sehe das Problem darin, dass die Kreuzberger Grünen die Berliner Partei bestimmen und sich stark re-ideologisiert haben. Das Hauptproblem erkenne ich nicht mal in der Verkehrspolitik, da gibt es in den nächsten zehn Jahren so viel zu tun, dabei hat jeder die Chance zur Profilierung. Die Grünen demonstrieren aber immer wieder Probleme im Umgang mit dem Rechtsstaat. Und es gibt große Unterschiede in gesellschaftspolitischen Fragen. Wie meinen Sie das? Zwischen den Grünen in Hessen, Baden-Württemberg und Berlin-Kreuzberg liegen – sieht man vom Bekenntnis zum Klimaschutz ab – Welten. Übrigens fallen mir immer wieder bemerkenswerte Widersprüche bei vielen klassischen Grünen-Wählern in Berlin auf. Sie wollen modern sein, um Himmels willen nicht in die Nähe von vermeintlich konservativen Parteien geraten, stellen Umweltschutz und Klima nach vorne, haben aber gleichzeitig zwei Autos vor der Haustür. Von der Schulpolitik der Grünen halten sie gar nichts, das interessiert sie aber nicht, denn viele schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Es gelingt seit langem nicht, diese Widersprüche ausreichend zu thematisieren. Ich bin gar nicht dafür, die alten Farbenlehren aus dem vergangenen Jahrhundert aufzumischen. Aber beim Weiterbau der A100, bei den Enteignungen von Wohnungskonzernen und auch in der Schulpolitik gibt es große Differenzen. Bei dieser Konstellation auf Schwarz-Grün zu setzen – dem neige ich persönlich nicht zu. Damit bliebe der CDU aber nur noch die SPD. Inhaltlich gibt es die größeren Schnittmengen zwischen diesen beiden Parteien – etwa in der Wohnungspolitik und der Enteignungsfrage. Das Problem aber ist: Die SPD hat stärker abgewirtschaftet als die Grünen. Eigentlich spricht vieles dafür: Die SPD muss nach mehr als 20 Jahren an der Regierung mal eine Pause machen und sich erneuern. Inhaltlich würden aber CDU und SPD besser zusammenpassen. Das macht es so schwierig. Die SPD scheint zerrissen in ihrem Kurs. Grüne und CDU haben im Wahlkampf polarisiert, um jeweils die eigene Klientel zu motivieren. Liegt es an den Parteien selbst, dass eine Regierungsbildung so schwierig ist? Der Wahlkampf entwickelte sich zu einer immer stärkeren Polarisierung. Insbesondere von Grün wurde vorrangig die eigene Klientel angesprochen. Nach meiner Einschätzung hat das der CDU sehr geholfen. Vor einer Regierungsbildung müssen SPD und auch die Grünen den Schock der Abstrafung durch die Wähler verkraften. Inhaltlich sind diese Parteien durch unterschiedliche Flügel bestimmt. In Berlin macht sich außerdem der starke Einfluss der Kreise in den Parteien bemerkbar. Bei den Grünen ist es das zahlenmäßige Übergewicht aus Kreuzberg und Mitte und bei der SPD der Umstand, dass es bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus keine Landesliste gibt. Es fehlt in der Partei die Balance zwischen Landes- und Bezirksinteressen. Gehen Sie davon aus, dass Kai Wegner der nächste Regierende Bürgermeister wird? Als Parteisoldat muss ich natürlich sagen: Ja. (lacht) Ganz klar, das ist die Logik des Wahlergebnisses. Aber nicht unbedingt die Logik der Stimmenverteilung im Abgeordnetenhaus. Als ehemaliger Regierender Bürgermeister: Was würden Sie den Verhandlerinnen und Verhandlern jetzt raten? Erst einmal müssen alle anfangen, mit „Nie, Nie, Nie“ aufzuhören. Kai Wegner hat da am Wahlabend einen guten Anfang gemacht. Mein Rat wäre: Lasst mal ein bisschen Wasser die Spree runterlaufen. Die enttäuschten Leute in den Parteien müssen sich erst mal abreagieren. Und das Bundesverfassungsgericht will ja auch noch über die Wahl selbst entscheiden. Bis dahin kann man schon Vertrauen bilden. Keiner sollte jetzt in falsche Hektik verfallen. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
In den Parteien ging das Abreagieren aneinander schon am Montag los. In der SPD hob ein interner Sturm gegen Franziska Giffey an, die von mehreren Funktionären zur Schuldigen der schlechtesten Parteiergebnisses seit dem Zweiten Weltkrieg erkoren worden ist. Gerade der linke Parteiflügel missbilligt ihr permanentes Blinken ins bürgerliche Lager (was ihr allerdings bei der Wahl vor der Wiederholungswahl erst den Sieg eingebracht hatte). Im Landesvorstand der Partei war gestern Abend der Ton dann etwas aufgeräumter, einen Rücktritt forderte nach Teilnehmer-Angaben niemand. Giffey hat einen schweren Stand in ihrer Partei, hält aber zunächst stand. Denn wer stattdessen die SPD in die eigentlich abgewatschte Koalition mit Grünen und Linken führen soll, die Parteipatriarch Raed Saleh offenbar weiterhin bevorzugt, ist völlig unklar – wie so vieles noch in dieser Woche ungeklärt bleiben wird. | |||
|
Vielleicht können Sie der Berliner Politik ja etwas auf die Sprünge helfen vor den ersten Sondierungsgesprächen, die Ende der Woche starten sollen – zunächst zwischen CDU und SPD sowie zwischen CDU und Grünen. Welche der konkreten Koalitionskonstellationen würden Ihnen denn am besten gefallen? Stimmen Sie ab! | |||
|
|
Immerhin manches ist schon klarer als die Berliner Nebelsuppe: + Die FDP hat nach dem Aus im Abgeordnetenhaus einen neuen Grund gefunden, sich als Opposition in der Bundesregierung aufzuführen. „Da kann sich der Robert gehackt legen“, sagte Wolfgang, der mit Nachnamen Kubicki heißt und offenbar von Wirtschaftsminister Habeck sprach. Fürs Hacke fehlt allerdings noch der Peter. + Berlins schönstes Dorf wurde gekürt – vom Kfz-Meister Olaf Schenk. Der CDU-Bezirksverordnete knöpfte Franziska Giffey in Rudow das Direktmandat ab. Den Machtwechsel im südlichen Neukölln erklärt er so: „Die Leute haben gesehen, da ist jemand für sie da.“ Für die Politik gilt weiter Berlins Lebensmotto: Ortsteile und herrsche! + Bayerische Verhältnisse herrschen dagegen in Lichtenrade: Der CDU-Abgeordnete Christian Zander holte hier mit sagenhaften 49,6 Prozent das beste Wahlkreis-Ergebnis in Berlin. Verheiratet ist er mit der Grünen-Bezirkspolitikerin Martina Zander-Rade, die seit 1992 in der örtlichen Bezirksverordnetenversammlung sitzt und hier Schulpolitik macht. Vielleicht macht ihre private Koalition ja auch noch Schule. + An Erfahrung gewonnen haben Prominente aus der Landespolitik, die den Einzug ins Parlament verpasst haben, darunter die Innenpolitiker Tom Schreiber (SPD) und Benedikt Lux (Grüne), der Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf Gordon Lemm (SPD) und die frühere Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg Monika Herrmann (Grüne) sowie die Dragqueen Gloria Viagra (Linke). Jedes neue Parlament ist eine Bereicherung. Und trotzdem fehlt was. Auch die FDP, die nun zur APO wird. In Berlin können eben alle alles sein. | |||
|
Und hier halten wir Sie auf dem Laufenden über die Berlin-Wahl und alles, was Sie sonst noch darüber wissen sollten, wollten und könnten: + Alle Ergebnisse und Konstellationen bis hinunter in jeden einzelnen Wahlkreis finden Sie in den interaktiven Karten unseres Innovation Labs – zu finden hier. + Alle möglichen und unmöglichen Koalitionen, ihre Widersprüche und Gemeinsamkeiten, finden Sie in einer Übersicht von Anna Thewalt und Julius Betschka hier. +Fortlaufend informiert sie unser Liveblog über das Ringen der Parteien um der Wählerinnen und Wähler Wille – hier rund um die Uhr aktualisiert von unserer landespolitischen Redaktion. + Über die verschobenenen Machtverhältnisse in den Kiezen informieren Sie unserer lokalen Reporterinnen und Reporter in ihren Newslettern – kostenlos zu bestellen hier. +Über die gescheiterte „Zusammen Berlin”-Kampagne der SPD und die angestrebte „Berlin-Koalition“ von Kai Wegner diskutieren Lorenz Maroldt, Anke Myrrhe und Ann-Kathrin Hipp im Checkpoint-Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ – nachzuhören hier. +Und wollen Sie schon mal durch mögliche Regierungsviertel wandern? Dann machen Sie mit André Görke einen Abstecher nach Kladow, der Heimat von Wahlgewinner Kai Wegner. Da gibt’s Wasser, Wildschweine und ganz viel Ruhe. Darin liegt vielleicht Berlins neue Kraft. | |||
|
|
|
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
| |||
|
| |||
|
| |||
| |||
| |||
| |||
|
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|