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Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 07.06.2022 | Vereinzelte Schauer möglich, sonst eher freundlich bei bis zu 24°C. | ||
+ Neun-Euro-Ticket legt ÖPNV-Schwächen brutal offen + Das Elefantenhaus ist Berlins neuer BER + Viele neue „Stolpersteine“ in Berlin + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, Russland führt seinen Krieg gegen die Ukraine fort – mit weltweiten Folgen. Hier die Ereignisse der vergangenen Stunden im Überblick: +++ Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj rechnet fest mit einem EU-Kandidatenstatus für sein Land innerhalb der nächsten Wochen. „Ich meine, das wird nicht nur eine Entscheidung für die Ukraine, sondern für das gesamte europäische Projekt sein“, sagte er am Montag. Die EU-Kommission will dazu noch im Juni entscheiden. +++ Die US-Justiz hat die Beschlagnahmung von zwei Flugzeugen des russischen Milliardärs Roman Abramowitsch angeordnet. Gleichzeitig veröffentlichte das US-Handelsministerium einen Brief, in dem Abramowitsch formell beschuldigt wird, US-Restriktionen für den Export von Technologie und Waren nach Russland absichtlich zu verletzen. Diese Anschuldigungen können hohe Geldstrafen zur Folge haben. +++ Kulturstaatsministerin Claudia Roth will der ukrainischen Stadt Odessa bei der Bewerbung zum Unesco-Welterbe helfen. Das sicherte die Grünen-Politikerin am Montag dem ukrainischen Kulturminister Olexandr Tkatschenko und dem Bürgermeister der südwestukrainischen Stadt, Hennadij Truchanow, zu. Sie wolle sich auch bei ihren Kolleginnen und Kollegen anderer Länder für die Bewerbung Odessas stark machen. | |||
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In Friedenszeiten hätte der folgende Aushang an der Tür zum Russischen Visazentrum in der Charlottenstraße vielleicht zu leichter Heiterkeit geführt – so aber wirkt er, wenn auch vermutlich ungewollt, vor allem zynisch: „Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund der Feuertagen in Russische Föderation und Deutschland bleibt unser Visumzentrum am 6. Juni sowie am 13. Juni geschlossen.“ Immerhin: nicht auch noch „beschossen“. Zu den Meldungen aus Berlin: | |||
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Mit dem Neun-Euro-Ticket genossen auch die Berliner Pfingstpilger ihre Regionalbahnreise in vollen Zügen (wenn sie denn überhaupt reinkamen) – und das nicht nur auf dem Weg nach Sylt. Zum Trost (und zur Erinnerung) haben wir für Sie mal ein paar Schlagzeilen der vergangenen Jahre vom Schienenfest des Heiligen Geistes herausgesucht: + „Sylt-Reisenden mit Räumung der Züge gedroht“ (2011) + „S-Bahn-Pfingst-Chaos“ (2012) + „Sylt überfüllt“ (2013) + „Pfingsten: Die Bahn ist komplett überfordert“ (2014) + „Pfingstchaos bei der Bahn“ (2015) + „Zugausfälle und Verspätungen zum Auftakt des Pfingstwochenendes“ (2016) + „Reisen an Pfingsten: Droht das große Chaos?“ (2017) + „Volle Züge und totales Chaos an Pfingsten“ (2018) + „Auch am Pfingstmontag endeten Ausflüge mit der Bahn im Chaos – Radfahrer passten nicht mehr in übervolle Züge“ (2019) + „Die Züge ausgebucht, die Gänge dicht belegt – und die dringenden Appelle des Bahnpersonals, doch bitte nicht mehr zu versuchen, die Waggons zu entern“ (2020) + „Bahn rechnet mit deutlich mehr Reiseverkehr zu Pfingsten“ (2021) | |||
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Auch 2022 war Pfingsten also gefühlt so schlimm wie immer – Quintessenz: Das Neun-Euro-Ticket ist nicht schuld am Chaos, es legt die Schwächen des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs (der in Reihe günstige Reisen durch die ganze Republik ermöglicht, jedenfalls theoretisch) nur noch etwas brutaler offen als sonst. Die versehentliche Botschaft der vermeintlich guten Tat: Wer jetzt noch kein Auto hat, kauft sich am besten schnell eins (die Kombi Fahrrad/Bahn ist jedenfalls erstmal erledigt). Angesichts der entgleisten Schienenpolitik (auch fast jeder dritte Fernzug ist unpünktlich oder fällt gleich ganz aus – das ist der schlechteste Wert seit Jahren) kündigte Bundesbenzinminister Volker Wissing gestern „tiefgreifende Reformen“ an: „Unser ÖPNV-Angebot sollte verständlicher, einheitlicher und damit kundenfreundlicher werden.“ Das einfache Wort „besser“ (mehr Züge, mehr Strecken) fehlt allerdings noch an der Bahnsteigkante – und von „billiger“ nach den Neun-Euro-Wochen ist auch nicht die Rede. | |||
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Um den Corona-Stau vor den Berliner Konzertbühnen etwas schneller aufzulösen, wurden in diesem Sommer mehr Veranstaltungen in der Waldbühne und der Parkbühne Wuhlheide als sonst genehmigt – denn erstaunlicherweise gibt es dort, anders als von der Kulturverwaltung angenommen, gar keine Obergrenze, wie ein Sprecher der Umweltverwaltung im Checkpoint-Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ erklärt, sondern: „je Ort eine gewisse Tradition“. Also alles eine Frage der Gewöhnung. | |||
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Ersatztermine für Herbert Grönemeyer fanden sich allerdings trotzdem nicht. An seinem Song „Musik nur, wenn sie laut ist“ wird es nicht gelegen haben, denn die Genehmigungsbehörde beurteilt den Musiker als „nicht störend/wenig störend“. Sarah Connor dagegen, die wie Grönemeyer auf 94 db kommt, wird dort als „störend“ geführt – klingt ein wenig geschmäcklerisch, ist dennoch angeblich „eine rein emissionstechnische Bewertung“, wie die Verwaltung versichert – frei nach dem Motto von Wilhelm Busch: „Musik wird störend oft empfunden, weil sie mit Geräusch verbunden.“ Schauen wir uns die Liste für die Waldbühne mal an: Als genehmigt, aber „störend“ gelten Pearl Jam, Iron Maiden, Sarah Connor, Trailerpark, Marteria und Seeed. Als „weniger störend/ nicht störend“ gelten Mario Barth, Ludovico Einaudi, Eric Clapton, die Schlagernacht des Jahres, Björk, die Berliner Philharmoniker, Nick Cave, Udo Lindenberg, Imagine Dragons, Roland Kaiser, Andreas Gabalier, Die drei ???, Broilers, West-Eastern Divan Orchestra, Jonas Kaufmann, 25 Jahre Radioeins, das Taschenlampenkonzert und Andrea Berg. Na dann. Ich hätte da zwar den einen oder anderen Einwand… aber das mag auch an meinen Ohren liegen. | |||
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Sie erinnern sich an die Affäre Stölpchensee (CP v.16.5.)? Die Familie Wolffsohn hatte sich nach dem Krieg ihr von den Nazis geraubtes Villengrundstück vor Gericht zurückerkämpft, musste es aber in den achtziger Jahren für einen lächerlich niedrigen Preis an den Bezirk Zehlendorf verkaufen – die Rathausoberen behaupteten, dort einen öffentlichen Park anlegen zu wollen. Aber seitdem verwildert das Gelände: Weder ist hier der beschlossene „informative Naherholungspunkt“ zu finden noch die versprochene Aussichtplattform, und auch von der angekündigten Gedenkstele ist nichts zu sehen – die beteiligten Stellen (BVV, BA, Senat, Umweltverwaltung, Berliner Forsten…) spielen hier seit 40 Jahren Behördenpingpong. Michael Wolffsohn, Enkel des einstigen Eigentümers Karl Wolffsohn (der Filmpionier hatte das Grundstück vor 100 Jahren gekauft), nennt das „einen Betrug“ – an seiner Familie, vor allem aber an der Berliner Gesellschaft. Jetzt stellt sich heraus: Beim fliegenden Plattenwechsel von Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU) zu Maren Schellberg (Grüne) ist der Ball auf den Boden gefallen – aber die neue Amtsträgerin behauptet, in ihrem Zimmer liege er nicht: Auf ein Schreiben ihrer Vorgängerin an den Senat zum früheren Wolffsohn-Grundstück habe es nie eine Antwort gegeben, sagte uns Schellberg Mitte Mai. Tja, vielleicht sollten sie im Rathaus einfach mal aufräumen – der Checkpoint konnte das Rückschreiben der Umweltverwaltung jedenfalls finden: Abgeschickt und per Hand unterzeichnet hat es am 10.11.21 die damalige Senatorin Regine Günther, bei der Bezirksbürgermeisterin kam es zwei Tage später an. Falls Sie den zweiseitigen Brief in ihren Akten mal selbst suchen wollen, liebe Maren Schellberg: Er trägt den grünen Eingangsstempel Ihres Büros mit dem Datum „12. Nov. 2021“. Dann kann es auch endlich weitergehen mit dem Behördenpingpong in dieser Sache. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz erklärt sich in dem Schreiben nämlich für unzuständig, was die Verkehrssicherheit auf dem Grundstück und die Kosten für eine Gedenkstele betrifft, verweist an die ihr untergeordneten „Berliner Forsten“ (die zwar das zwangsverkaufte Grundstück in ihrem „Fachvermögen“ führen, aber „einen anderen Fokus mit dem Schwerpunkt Walderhalt haben“) – und nominiert eine neue Mitspielerin: „Über das Anliegen (…) sollte (…) auch mit der Kulturverwaltung gesprochen werden.“ Sollte (Ping), könnte (Pong), müsste (Ping)… Aus. | |||
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Damit die Drangsalierung, Enteignung, Verfolgung und Ermordung jüdischer Bürgerinnen und Bürger nicht unter den Tisch fällt oder Gras darüber wächst (oder der wilde Wald der Berliner Forsten), gibt’s die Stolpersteine auf Berlins Straßen– und jeden Tag auch einen im Checkpoint (unter „Berliner Gesellschaft“). In Tempelhof-Schöneberg kamen allein im Mai 31 neue dazu, gesetzt vom Künstler Gunter Demnig und seinem Helfer Hans-Peter Frank, weitere 32 sollen in den Sommermonaten folgen. Sigrid Kneist beschreibt hier einige der ergreifenden Schicksale, die sich hinter den Namen und Daten auf den Steinen verbergen. | |||
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Auch das Abgeordnetenhaus nimmt den Koalitionsvertrag ernst – und zwar in Sachen „Vielfalt“. 32-mal hatten die rot-grün-roten Verhandler diesen Begriff auf den insgesamt 149 Seiten untergebracht, am Ende wurde für „Vielfalt“ sogar eine neue Senatsverwaltung geschaffen („Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung“, früher „Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung“). Demnach ist das Ziel des Senats „eine vielfältige Gesellschaft“ in der „Stadt der Vielfalt“ („Vielfalt ist Stärke und Markenzeichen Berlins“), die von „ihrer vielfältigen Zivilgesellschaft“ lebt und „als demokratische, vielfältige und weltoffene Stadt zu repräsentieren“ ist, weshalb „an einem vielfältigen Berlin“ gearbeitet wird. In der Stadtentwicklung wird „vielfältige Nutzung“ angestrebt, in der Umweltpolitik eine „biologische Vielfalt“, im Öffentlichen Dienst „Vielfalt sowie Teilhabe“ und in den Schulen gilt „Vielfalt als Chance“. „Sexuelle Vielfalt“ gehört dazu und „in allen pädagogischen Ausbildungen“ natürlich auch „queere Vielfalt“. Ausgebaut werden soll das „Landesprogramm Demokratie, Vielfalt, Respekt“, der Preis „Vielfalt unternimmt“ wird dauerhaft verankert, die Erinnerungskultur hat „kulturell und religiös vielfältig“ zu sein und „das wachsende jüdischen Leben unserer Stadt wird in seiner Vielfalt weiter gefördert“. Der Sport soll „die gesellschaftliche Vielfalt abbilden“ (mit „modernen und vielfältigen Sportstätten“), und für die Kultur will der Senat Maßnahmen ergreifen, damit sich „die gesellschaftliche Vielfalt stärker abbildet“. Der RBB wiederum soll sich „an der Vielfalt der Gesellschaft orientieren“. Die Koalition will „die vielfältige Kinolandschaft erhalten“ und, nochmal, „das Themenfeld der sexuellen Vielfalt und Identität“ stärken. Sie bekennt sich zu Berlin als Wissenschaftsstandort und „wird ihn in seiner Vielfalt und Strahlkraft weiterentwickeln“, denn „die Stärke der Wissenschaftslandschaft liegt in ihrer Vielfalt“, und deshalb wird die Koalition „weiterhin in die Vielfalt der Wissenschaftshauptstadt investieren“ sowie Kooperationen schließen, „um die Synergien und Potenziale dieser Vielfalt noch besser zu heben“ (was natürlich auch für „die verschiedenen Akteursgruppen in der vielfältigen Berliner Forschungslandschaft“ gilt). Nicht zu vergessen: „Die gemeinsame Wissenschafts- und Forschungslandschaft in der Metropolregion ist breit, vielfältig und exzellent aufgestellt“ (gilt auch ganz grundsätzlich für die „Erweiterung der vielfältigen Zusammenarbeit“ mit Brandenburg). Hm, wie kamen wir da jetzt drauf… ach ja, das Abgeordnetenhaus! Also, die Verwaltung des Berliner Parlaments nimmt diese vielfältigen Vorhaben der Koalition offenbar ernst, will bei der Umsetzung helfen – und sucht deshalb jetzt per Ausschreibung (Kennzahl: 543) „eine/einen Mitarbeiterin/Mitarbeiter für die Vervielfältigungsstelle (m/w/d)“. Geboten wird ein Gehalt nach E4 sowie „eine interessante, abwechslungsreiche und anspruchsvolle Tätigkeit“. Team Checkpoint wünscht viel Vergnügen (aber bitte nicht einfach nur kopieren, das kommt in Berlin nicht mehr gut an). | |||
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