Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
 ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ ‌ 
szmtagiomb_np
Zur optimalen Darstellung empfehlen wir Ihnen die Browserversion
19. Februar 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
früher war Österreich eine k. und k. Monarchie. Heute ist es eine M. und M. Republik. Das k. und k. von damals stand für „kaiserlich“ und „königlich“. Das M. und M. von heute steht für Mörtel und Mauer. „Mörtel“ wird ein Mann namens Richard Lugner genannt, der ein sehr alter und sehr reicher Bauunternehmer ist. Seine Berühmtheit verdankt er der Tatsache, dass er alljährlich weiblichen Weltstars viel Geld dafür bezahlt, dass sie mit ihm auf den Wiener Opernball gehen; soeben war das die Schauspielerin und Klima-Aktivistin Jane Fonda. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer ist nicht so reich und nicht so alt wie Richard Lugner, aber neuerdings fast so bekannt wie dieser. Nehammer verdankt seinen Nimbus einem Projekt, das viel mit dem Mörtel-Gewerbe zu tun hat: Er will gewaltige Mauern in und um Europa bauen lassen, um so Migranten abzuwehren.

Als ich von Nehammers Tabu-Bruch hörte, ist mir ein großer Vorgänger von ihm in den Sinn gekommen: Bruno Kreisky. In seiner Totenrede auf Kreisky, der von 1970 bis 1983 Bundeskanzler der Republik Österreich war, hat Willy Brandt gesagt: „Seine Weltsicht und sein Mut zum Unvollendeten werden uns fehlen. Seine Welt war größer als sein Land.“ Bei Nehammer ist es umgekehrt: Seine Welt ist kleiner als sein Land.
 
Die Trumpisierung Europas 

Sein Mauer-Projekt ist eine Art Trumpisierung Europas. Zuletzt hat bekanntlich Donald Trump so eine Mauer an der Grenze zwischen den USA und Mexiko propagiert und gebaut. Er hat für sein rigid-brutales Abwehrregime in Europa viel Empörung geerntet. Kanzler Nehammer stieß auf so viel Empörung nicht. Im Gegenteil: In Brüssel, beim EU-Sondergipfel, stieß Nehammer auf Verständnis. Im Jahr 2021 hatte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch erklärt, es werde „weder Stacheldraht noch Mauer“ in der Europäischen Union geben. Jetzt aber wird der Mörtel angerührt. 

Manfred Weber, CSU, der Chef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, erklärt: „Wenn es technisch nicht anders möglich ist, illegale Migranten zu verhindern, dann müssen Zäune denkbar sein.“  Und Ursula von der Leyen verkleidet das Mauer-Projekt terminologisch:  Sie spricht von einem „Paket mit mobiler und stationärer Infrastruktur“. Diese schwiemelige Aussage kaschiert nur notdürftig die Bereitschaft der EU, erstmals Grenzanlagen an den Außengrenzen zu finanzieren. So entlarvt sich die Empörung über Trump als Heuchelei. Es ist offensichtlich so: Flüchtlingsabwehranlagen sind schlecht, wenn Trump sie in den USA baut. Flüchtlingsabwehranlagen sind gut, wenn sie in Europa gebaut und von der EU finanziert werden. Das darf nicht sein: Symbol für das neue Europa ist der Fall der Mauer – und dabei muss es bleiben.
SZPlus Prantls Blick
Der neue Mauerbau
Zum Artikel Pfeil
In der kommenden Woche beginnt die Fastenzeit. Sie soll eine Zeit der Besinnung sein. Wie findet man den Weg zum Frieden in der Ukraine? Wie sieht ein humaner Umgang mit Flüchtlingen aus? Ich wünsche uns ein respektvolles Ringen um die richtigen Antworten.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
Folgen Sie mir.
Jahresabo ab 99 € + SZ Mütze geschenkt
Beim Kauf eines Jahresabos erhalten Sie eine SZ Mütze gratis dazu.
Jetzt bestellen
Prantls Leseempfehlungen
Gott ist ein leerer Teller für die Hungernden
Seine Mutter war eine Zigarettenverkäuferin in München, sein Vater ein ambulanter Buchhändler. Er kam im Eisenbahnzug zur Welt - kurz vor Dresden. Seine ersten Kindheitsjahre verbrachte er in München; sein späteres Schicksal war die Landstraße. Er war ein Vagant, ein bayerisches Villon, ein Chansonnier, ein Schandmaul, der seinen katholischen Glauben pries und verfluchte. Die Behörden registrierten nur sein Fluchen und verfolgten ihn quer durch Deutschland wegen Gotteslästerung und Beleidigung. In München hatte er sich 1919 den Führern der Räterepublik angeschlossen; verhaftet und eingesperrt wurde er deswegen, in Stadelheim und der Festung Ingolstadt. Er hieß Jakob Haringer.  

Er war 27, als er mit dem Gerhard Hauptmann-Preis ausgezeichnet wurde. Döblin schätzte ihn über alles. Die Nazis nannten ihn einen „üblen Vertreter des jüdischen Kulturbolschewismus“. Er floh erst nach Prag, dann nach Frankreich, dann in die Schweiz. Er starb mit 50 Jahren in der Emigration. Kaum einer kennt ihn noch. Jakob Haringer war immer reich an Liebschaften, aber arm an Geld.  Und glücklich war er nicht. In der Schlusszeile seines Gedichts „Stündlich warten wir auf unser Todesurteil“ findet sich sein radikales Hadern mit Gott: „Gott ist ein leerer Teller für die Hungernden.“ Einer seiner wunderbaren Gedichtbände heißt „Das Schnarchen Gottes“. Er schimpft sich darin in den Himmel. Nicht nur von Alfred Döblin, auch von Hermann Hesse wurde Jakob Haringer hoch geschätzt. Arnold Schönberg hat Haringers Gedichte vertont. 

In den folgenden Zeilen kristallisiert sich die Existenz Jakob Haringers: „Ist alles eins / Was liegt daran, / Der hat sein Glück, / Der seinen Wahn. / Was liegt daran! / Ist alles eins, / Der fand sein Glück! / Und ich fand keins.“

18 Bücher sind von ihm erschienen, viele im Selbstverlag, fast alle vergessen. In seiner Dachkammer in Köniz bei Bern fanden sich nach seinem Tod Berge von Zetteln. Auf einem stand der Satz „Ich muß doch warten auf das Kamel, das mich durchs Nadelöhr führt“. 

In vier Wochen, am 16. März, ist der 125. Geburtstag von Jakob Haringer. Ich empfehle Ihnen sein Werk schon heute – dann haben Sie Zeit, sich eines seiner Bücher antiquarisch zu besorgen. Es lohnt sich. Zum Beispiel diese: 

Jakob Haringer: Aber des Herzens verbrannte Mühle tröstet ein Vers. Ausgewählte Lyrik, Prosa und Briefe, 206 Seiten. Erschienen 1988 im Residenz Verlag, 
Oder:
Lieder eines Lumpen. Aus dem Gebetbuch des armen Jakob Haringer. Erschienen 1962 im Werner Classen Verlag.
SZPlus
Wenn Zahnärzte lieber Brücken bauen, obwohl eine Füllung reichen würde
Es gibt Gegenden in Deutschland, in denen findet man kaum noch einen Arzt, der Herr seiner eigenen Praxis ist. Viele niedergelassene Ärzte haben ihre Praxen an Investoren verkauft. Die Kollegin Christina Berndt schildert auf Seite 3 der SZ-Ausgabe vom Freitag, warum das so ist, was das für das Gesundheitswesen bedeutet und was Gesundheitsminister Karl Lauterbach dagegen tun will.
Zum Artikel Pfeil
ANZEIGE
Meinung
Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge und Leserdiskussionen im Überblick
Zu den Meinungs-Artikeln
Empfehlung Empfehlen Sie diesen Newsletter weiter
Kontakt Schreiben Sie uns, falls Sie Anregungen haben
Zur Startseite von SZ.de

Zur Übersichtsseite der SZ-Newsletter
Ihre Newsletter verwalten

Entdecken Sie unsere Apps:
as
gp
Folgen Sie uns hier:
tw
ig
fb
in
Impressum: Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München
Tel.: +49 89 2183-0, Fax: +49 89 2183 9777
Registergericht: AG München HRB 73315
Ust-Ident-Nr.: DE 811158310
Geschäftsführer: Dr. Karl Ulrich, Dr. Christian Wegner
Copyright © Süddeutsche Zeitung GmbH / Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH.
Hinweise zum Copyright
Sie erhalten den Newsletter an die E-Mail-Adresse newsletter@newslettercollector.com.
Wenn Sie den „Prantls Blick“-Newsletter nicht mehr erhalten möchten, können Sie sich hier abmelden.
Datenschutz | Kontakt