wie sähe es wohl mit den mittelfristigen Machtperspektiven von Sozialdemokraten und Grünen aus, ganz zu schweigen von derjenigen des Linke-Ministerpräsidenten Bodo Ramelow in Thüringen, wenn es nicht die „Brandmauer“ gäbe? Die Aufregung um das gestrige Abstimmungsergebnis im Erfurter Landtag macht es noch deutlicher als je zuvor: Das absurde Gebot, dass nichts in deutschen Parlamenten oder sonstwo geschehen dürfe, dem die AfD zustimme, ist nach dem voranschreitenden Wählerverlust dieser Parteien das letzte Herrschaftsinstrument. Entsprechend hysterisch wird auf dessen Bestand beharrt. Was klingt, als wären in Thüringen Abgeordnete der AfD und der CDU gemeinsam in Richtung der Erfurter Staatskanzlei marschiert, um den ohne Mehrheit regierenden Ministerpräsidenten Ramelow (Die Linke) zu stürzen, war tatsächlich nicht mehr und nicht weniger als ein zunächst völlig normaler demokratischer Vorgang: Die CDU hatte einen Antrag auf Senkung der Grunderwerbssteuer eingebracht und damit am Donnerstag mit den Stimmen von Abgeordneten der AfD und der FDP eine Mehrheit errungen. Dass die Brandmauer nun zerbröckelt, ist gut so, schreibt Cicero-Chefredakteur Alexander Marguier. Es geht nämlich nicht darum, der AfD nachzueifern, mit ihr ein Oppositionsbündnis einzugehen oder gar eine Regierung zu bilden. Sondern um Autorität. Es ist nicht nur ein Gebot der Vernunft, sondern auch der politischen Kultur, wenn die Union sich künftig über ihre eigenen Inhalte definiert, anstatt sich von der politischen Konkurrenz die Agenda vorgeben zu lassen. Was einer bürgerlichen Partei mittelfristig blüht, die sich an die Agenda und Diskurshoheit von Sozialdemokraten und vor allem Grünen bindet, erleben die Freien Demokraten. Nicht nur, aber auch in Bayern, wo sie nicht mit diesen, sondern lieber mit der CSU koalieren wollen. Doch den Umfragen zufolge müssten sie schon sehr froh sein, bei der Wahl am 8. Oktober überhaupt in den Landtag zu kommen. Im Cicero Podcast Politik gibt sich FDP-Landeschef Martin Hagen dennoch kämpferisch und bläst zur Aufholjagd auf den letzten Metern. Apropos Bayern: Die These, Bayern rücke nach rechts, hält der Realität nicht stand. Im Gegenteil gelingt es CSU und Freien Wählern, die AfD einzuhegen, schreibt der frühere Chef des Bayrischen Fernsehens, Sigmund Gottlieb. Und auf jene Bayern-Basher, die derzeit Hochkonjunktur zu haben glauben, reagiert er mit Karl Valentin: „Net amol ignoriern“. Ignorieren konnte mein (bayerischer) Kollege Ben Krischke bei seinem heutigen Berlin-Aufenthalt die Aktionen der selbsterklärten Klimaretter nicht. Mehrere tausend Menschen kamen am Freitag am Brandenburger Tor zusammen, um für mehr Klimapolitik zu demonstrieren und einer Rede Luisa Neubauers zu lauschen. Doch Fridays for Future selbst wirkt fast schon aus der Zeit gefallen. Mehr Nostalgie statt Revolution. Ben Krischke über die imperfekte Welle. Ihr Ferdinand Knauß, Redakteur |