Liebe Leserin, Lieber Leser,
wozu braucht Deutschland einen Bundespräsidenten? Ich frage nicht ohne Grund: Der Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier bricht heute zu einer dreitägigen Dienstreise auf. Es geht nicht in die Mongolei, nach Vietnam oder Namibia, wo er dieses Jahr u.a. schon war. Nein, er fährt nach Nordhorn. Kreisstadt im westlichsten Niedersachsen. Das Projekt nennt sich „Ortszeit“ und findet in wechselnden Städtchen zum 13. Mal statt, seit Steinmeier 2017 gewählt wurde. Drei Tage Präsident zum Anfassen. Das heißt für ihn: neugierig bis betroffen schauen, Hände schütteln, Kerzchen anzünden und Dialog wagen mit der „Zivilgesellschaft“. Das Problem ist: Das Projekt und übrigens auch das Staatsoberhaupt nimmt kaum noch jemand zur Kenntnis. Erst als er dieses Jahr zu einem Besuch in der Türkei einen Berliner Imbissbetreiber samt 60-Kilo-Dönerspieß mit in der Delegation hatte, war ihm Aufmerksamkeit sicher. Na ja, zumindest wochenlange Empörung.
Noch lauter als rund um sein Buch, das er kurz davor veröffentlicht hatte: Das Werk mit dem Titel „Wir“ provozierte Deutschlands komplettes Feuilleton zu Hohn bis Hass. Dabei war’s einfach nur langweilig. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass Steinmeier nicht einfach in Fettnäpfchen tappt. Er stellt sie selbst auf und tariert sie mit Wasserwaage aus, bevor er Anlauf nimmt. Mir tut das sehr leid. Um das Amt und auch um Steinmeier. Er war ja mal ein mächtiger Sozialdemokrat und Außenminister, dessen frühere Putin-Nähe allerdings wie ein unsichtbares Gewitterwölkchen über seinem schlohweißen Haar grummelt. |