Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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7. April 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
neulich habe ich eine Rede zur Eröffnung des renovierten Rathauses in Dortmund halten dürfen. Die Dortmunder haben ihr „Haus der Demokratie“ in jahrelanger Arbeit barrierefrei gemacht, sie haben das Haus auch klimatechnisch saniert und sie haben es für die digitale Zeitenwende präpariert. In meiner Rede ging es dann um die „Demokratie an der Basis“. Und natürlich ist mir dabei die berühmte Geschichte vom Rathausbau in Schilda eingefallen. Die Schildbürger hatten bekanntlich ihr Rathaus ohne Fenster gebaut. Als sie feststellten, dass es dort nun stockfinster war, da versuchten sie mit der Hilfe von Eimern und Säcken, Kästen und Körben, auch Kannen und Schüsseln, das Sonnenlicht einzufangen und ins Innere zu tragen. Das Vorhaben gilt als Beleg und Beweis für die Narrheit der Schildbürger. Das stimmt gewiss, wenn es um das Sonnenlicht geht.

Von der angeblichen Selbstverwaltung zur echten Selbstgestaltung

Wenn es um die Demokratie geht, ist das anders. Die muss man immer und immer wieder ins Rathaus hineintragen. Nicht in Schüsseln, Säcken und Kisten, aber in Eingaben, Vorschlägen, Bürgerinitiativen, in Wahlen und Abstimmungen. Die Leute im Rathaus, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an der Spitze, müssen das Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern suchen. Der immerwährende Dialog macht aus einem Rathaus ein Bürgerhaus. Dann gelingt es auch, den Rechtsradikalismus und den Neonazismus zur rechten Zeit so in die Schranken zu weisen, wie Dortmund das geschafft hat – unter anderem mit dem großen Bündnis „Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus“; es arbeitet unter dem Motto „Dortmund bunt statt braun“ seit vielen Jahren und mit sichtbarem Erfolg.

Mit Braun, also mit Rechtsextremisten und Neonazis, haben zahllose Kommunen und ihre Politikerinnen und Politiker Probleme. Es gehört zur braunen Strategie, mit Anfeindungen, Hassmails und mit provozierenden Attacken Angst und Schrecken zu verbreiten. Es gibt einige Bürgermeister und Mandatsträger, die deswegen zurückgetreten sind; sie wollen sich und ihre Familien („Wir wissen, wo Du wohnst!“) nicht mehr den Anfeindungen und Gefahren aussetzen. Darüber schreibe ich in meinem heutigen SZ-Plus-Text: „Bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat von Kommunalpolitikern.“

In neun Bundesländern stehen Kommunalwahlen bevor. Es geht dabei auch darum, den weiteren Aufstieg von Parteien zu stoppen, die die Rüpelei, die Pöbelei und die Verachtung zum Prinzip ihrer Politik erhoben haben – nicht nur die Verachtung des Anstands, sondern auch des politischen Gegners, der rechtsstaatlichen Regeln und der Grundrechte. Wenn die Kommunalpolitik das Fundament der Demokratie ist (und das ist so) - dann besteht die Gefahr, dass dieses Fundament erodiert.

Der Bundespräsident diskutiert am kommenden Donnerstag im Schloss Bellevue mit ehrenamtlichen Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern über die Demokratie „vor Ort“. Frank-Walter Steinmeier wird dabei, zum fünfundsiebzigsten Jubiläum des Grundgesetzes, die kommunale Selbstverwaltung als die Schule unserer Demokratie loben und preisen.

Aber das gängige Wort Selbstverwaltung ist eine Übertreibung, weil die Städte und Gemeinden zu eng begrenzte Zuständigkeiten haben, weil sie größtenteils nur die unteren staatlichen Instanzen zum Vollzug von Gesetzen sind; diese Auftrags- und Pflichtarbeiten machen gut vier Fünftel der kommunalen Tätigkeit aus. Nur beim restlichen Fünftel – Sport und Kultur vor allem - handelt es sich um echte Selbstverwaltung der Gemeinden.

Wer die Demokratisierung der Kommunen verlangt, muss ihnen daher mehr originäre Zuständigkeiten geben und eine erheblich verbesserte Finanzausstattung. Aus dem, was heute verhüllend und beschönigend „kommunale Selbstverwaltung“ genannt wird, muss wirkliche kommunale Selbstgestaltung werden. Wenn der Bundespräsident das anregt und anschiebt, beginnen die Feiern zum Grundgesetzjubiläum nicht nur feierlich, sondern alltagspraktisch.
SZPlus Prantls Blick
Bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat von Kommunalpolitikern
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Ich wünsche Ihnen, dass Sie spüren, wie es mit aller Kraft Frühling wird. Es ist eine Lust zu sehen, wie es grünt und blüht.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Hundert Jahre, hundert Bücher
Einer der ganz großen Reise- und Abenteuerromane stammt von Jules Verne und ist aus dem Jahr 1873. Man kann zwar heute sehr viel schneller reisen als damals. Aber „Eine Reise um die Welt in 80 Tagen“ ist für mich immer noch das Maß der Dinge. Wie der Held des Buches, der exzentrische englische Gentleman Phileas Fogg, zusammen mit seinem Diener Passepartout eine indische Schönheit vor der Witwenverbrennung rettet – das hat auf mich noch mehr Eindruck gemacht als die Auferstehung des Lazarus in der Bibel.

Das nagelneue Abenteuer-Buch, das ich Ihnen heute heiß empfehle, ist eine Mischung aus Bibel und Roman. Es ist eine abenteuerliche und höchst vergnügliche Reise durch die Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts – hundert Jahre, hundert Bücher, jedes Buch vom Autorenduo Bernd Eilert und Klaus Modick beschrieben auf einer Seite. Die Auswahl ist natürlich höchst subjektiv. Sie beginnt mit Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ für das Jahr 1900 bis hin zu Stephen King, „Das Mädchen“ aus dem Jahr 1999. Dazwischen Robert Musil, Jorge Luis Borges, Nathanael West, Lampedusa, Rühmkorf, Thomas Bernhard und so weiter und so fort. „Ein Buch, das uns gefiel, als wir jung waren, und uns auch noch im Alter am Herzen liegt – das muss wohl ein gutes Buch sein“, schreiben die beiden Autoren im Vorwort.

Über die Qualifizierung als Jahrhundertbuch kann man sich natürlich da und dort streiten, aber mit solchem Streit beginnt das Vergnügen. Bei Jules Verne wird eine schöne Witwe vor dem Verbrennen gerettet, bei Eilert und Modick das eine oder andere Buch vor dem Vergessen. Phileas Fogg verliebt sich in die gerettete Frau. Sie werden sich in das eine oder andere Buch verlieben, das sie noch nicht gelesen haben, das Eilert und Modick in aller Kürze und mit aller Kraft vorstellen. Zuallererst aber verlieben Sie sich in Eilerts und Modicks „Nachlese“ mit Grafiken von Simone Frieling.

Bernd Eilert, Klaus Modick: Nachlese. Hundert Bücher. Ein Jahrhundert. Das Buch ist soeben im Onomato Verlag erschienen. Es hat 224 Seiten und kostet 24 Euro und enthält auch einen Code zum Abruf der Audio-Lesung.
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SZPlus
Eine Atommacht, die ihr eigenes Volk im Stich lässt
Das Leben in Pakistan ist ein Drama in Dauerschleife: 242 Millionen Einwohner sind zum Mitspielen und zum Mitleiden verdammt. Der Kollege Tobias Matern beschreibt diese Leiden in einer ebenso grandiosen wie bedrückenden Reportage auf drei Seiten im Buch Zwei der SZ-Wochenendausgabe. Friedrich Bungert hat die Fotos dazu gemacht.

Mohammed Hanif, einer der bekanntesten Schriftsteller des Landes, hat einmal gesagt: „In Pakistan müsste das Trinkwasser eigentlich Antidepressiva enthalten, damit die Leute nicht den Verstand verlieren“. Matern hat mit den Leuten geredet; mit dem Dorfschullehrer, dem TV-Moderator, dem Chef des Nationalen Gesundheitsdienstes, dem Satiriker, mit dem Religionsgelehrten und dem Ex-General eines Landes, das ein deutscher Wissenschaftler eine „Kasernenhofdemokratie“ genannt hat.

Matern ist der Frage nachgegangen, warum das Land, ein Atomwaffenstaat, so im Elend feststeckt. Vierzig Prozent der Männer und Frauen können weder lesen noch schreiben, reiche Clans und eine mächtige Armee betrachten das Land als ihres. Matern berichtet aber auch von einer pakistanischen Stiftung, deren Arbeit ein Lichtstreif ist in der Düsternis.
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