|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 15.03.2021 | Schauer und Böen bei bis zu 8°C. | ||
+ CDU tritt in die Anarchosphäre ein + Giffey zum Konflikt um die Identitätspolitik + Mehr als 4000 unbearbeitete Akten bei der Staatsanwaltschaft + |
von Lorenz Maroldt |
|
Guten Morgen, gestern Abend war live im TV der Eintritt der CDU in die Anarchosphäre zu sehen – scheinbar führungslos trudelt das Parteiraumschiff dem Aufprall mit der Wirklichkeit entgegen. Und die beschrieb SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz kurz vor Mitternacht so: „Eine Regierungsbildung ohne die CDU ist möglich“ – nicht nur in Baden-Württemberg (-2,9% auf 24,1%) und in Rheinland-Pfalz (-4,1% auf 27,7%), sondern auch im Bund. Denn da blinkt auf einmal ein Modell am politischen Horizont, dass sogar für die Berliner Abgeordnetenhauswahl neue Spannung verspricht: die Ampel, bestehend aus Rot, Grün und Gelb (Reihenfolge offen). Doch der CDU-Vorsitzende Armin Laschet hielt sich an die Konvention, als wäre dies eine Nacht wie jede andere – und das bedeutet: Er hielt sich zurück und schickte lieber den Oldtimer und Ex-Minister Thomas de Maizière ins Studio von Anne Will, wo neben dem fröhlichen Scholz der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck feixte. Anstatt mutig wie aufsehenerregend dem Desaster – und damit den Wählerinnen und Wählern – ins Auge zu blicken, versteckte er sich hinter der gemächlichen Gewohnheit, erst am Morgen danach, also heute, im Anschluss an die heilige Gremiensitzung zu erklären, was er im Grunde selbst nicht versteht: Wie kam er dahin – und wie kommt er da raus? Nicht einmal ein Tweet waren Laschet die Landtagswahlen wert – der letzte Eintrag ist vom 11.3., er lautet: „Hervorragender Austausch mit dem Außenminister von Jordanien Ayman Safadi zu den Herausforderungen eines sich dynamisch verändernden Nahen Ostens“. Das wirkt reichlich abgehoben, wenn nicht gar hilflos entrückt. Doch auch international ist die Analyse der beiden Landtagswahlen klar: „Der Schlag der Wähler war brutal“, schreibt der Economist, und weiter: „Die Regierungspartei musste einen ernsten Treffer hinnehmen.“ Und schon schwebt der ewige Friedrich Merz als Wiedergänger durchs verlassen wirkende Raumschiff: Die „Werte Union“ fordert für ihn eine wichtige Rolle – obwohl die Wanderungsanalysen zeigen, dass es der CDU auch ohne rechtskonservativen Krawall noch gelang, in erheblichem Maß Stimmen von der AfD zurückzuholen. In beiden Ländern gewannen echte Persönlichkeiten die Wahl: Winfried Kretschmann und Malu Dreyer. Für die CDU mühten sich dagegen Susanne Eisenmann und Christian Baldauf ab. Die Lobby-Affären in der Unionsfraktion mögen ein wenig geschadet haben (für die vielen Briefwähler kamen sie ohnehin zu spät), und auch das Corona-Chaos, entstanden aus der üblen Kombination von Sprunghaftigkeit und Überbürokratisierung, versehen mit dem Bild von Jens Spahn, hat sicher zum Verdruss beigetragen. Aber entscheidend war der Eindruck, dass bei der Union hinter den Türen entweder keiner mehr ist (Merkel) oder noch keiner ist (Kanzlerkandidat), und der neue Vorsitzende durch den Spalt ruft: „Jetzt nicht!“ Nur – wann dann? Es ist höchste Zeit für ein gemeinsames Frühstück von Laschet und Söder - und wenn der Tee alle ist, muss einer der beiden in die verwaiste Kommandozentrale, für die Schubumkehr: Raus aus der Anarchosphäre. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Die Angst, von der Impfbürokratie vergessen worden zu sein, teilen in Berlin immer mehr Menschen – darunter auch die 96-jährige Frau des verstorbenen früheren Bürgermeisters von Neukölln, Heinz Stücklen. Sie ist munter, aber transportunfähig, heißt es in einer Mail einer befreundeten Familie an den Checkpoint. Seit Wochen wartete sie jetzt schon vergeblich auf das versprochene mobile Impfteam: Anrufe laufen ins Leere, niemand weiß Bescheid, auf Briefe kommen nur allgemein gehaltene Formschreiben zurück. Ähnlich lautende Mails kommen täglich bei uns an – die Betroffenen werden zwischen Impf-Hotline, Krisenstab in der Senatsverwaltung und Impf-Einladungszentrum hin- und her verwiesen, vulgo: abgewimmelt. Mal heißt es: „Warten Sie eine Woche“, dann „Warten Sie drei Wochen“, oder auch mal „Da scheint aber etwas schief gelaufen zu sein, ich werde mich persönlich darum kümmern“ (was dann aber nicht geschieht). Einen Tipp für verzweifelte Privatpatient mit Attest (auch hier läuft es nach Wochen noch nicht rund) hat Checkpoint-Leserin Julia Müller aus Steglitz: Nachdem Sie es aufgegeben hatte, bei der „Impf-Hotline“ anzurufen, versuchte sie es einfach mal unter der allgemeinen Behördennummer 115, um sich registrieren zu lassen – und hatte Erfolg („super schnell, sehr freundlich“). Bitte weitersagen! | |||
|
Die Pressestelle der Gesundheitsverwaltung ist die satirische Speerspitze des Senats – unter der künstlerischen Leitung von Moritz Quiske verbreitet sie zuverlässig mehr Lach- als Sachgeschichten. Bis jetzt hielten wir sie deshalb für die beste Pressestelle der Welt – doch jetzt erschüttert eine RBB-Rezension unseren Glauben. Waren wir etwa zu naiv? Lesen wir mal rein in die Story von Sabine Müller: + „In Krisenzeiten muss Politik zuverlässig und zeitnah informieren, um glaubwürdig zu sein. Bei der Berliner Gesundheitsverwaltung fließen Informationen allerdings zäh und äußerst spärlich – egal ob an die Presse oder an Mitarbeiter, die gegen die Pandemie kämpfen.“ + „Wenn der Gesundheitsverwaltung Fragen von Journalist*innen zu einem Thema nicht passen, mauert sie gerne erstmal komplett. Ausführliche Fragenkataloge werden manchmal mit einem einzigen Satz beantwortet und kritische Nachfragen verbittet die Behörde sich.“ + „Wenn Gesundheitssprecher Quiske über die Impfzahlen redet, sprechen Kritiker von ‚Moritz' Märchenstunde‘.“ + „Aus den Reihen der Gesundheitsämter kommt scharfe Kritik an der Kommunikations- und Informationspolitik. Der Umgangston sei oft arrogant, respektlos und unhöflich.“ + „Ein Amtsarzt zieht das bittere Fazit: ‚Es gibt einfach niemanden in der Senatsverwaltung, der weiß, wie man professionell kommuniziert‘.“ Aber das lässt sich ja sicher alles mal heilen. | |||
|
Checkpoint-Leser Matz Wietheger hat in der Tradition unserer Ereignis-Charts eine Impf-Playlist zusammengestellt – hier seine Top 10: 1. I‘ve got you under my skin (Cole Porter) 2. Fever (Peggy Lee) 3. The End (The Doors) 4. Needles and Pins (Smokie) 5. Alltogether Now (Beatles) 6. Soul Vaccination (Tower of Power) 7. Ain‘t Got No, I Got Life (Nina Simon) 8. In my Blood (Shawn Mendes) 9. In my Veins (Andrew Belle) 10. Vaccine Daddy (Richard Cheese) Weitere Vorschläge nehmen wir gerne unter checkpoint@tagesspiegel.de entgegen. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Was sagt eigentlich Franziska Giffey als SPD-Landesvorsitzende zum Konflikt zwischen u.a. den Berliner Sozialdemokraten Wolfgang Thierse (Ex-Bundestagspräsidet) und Kevin Kühnert (stv. Bundesvorsitzender) über die Bewertung von „Identitätspolitik“ und „Cancel Culture“? Wir haben hier die Aufzeichnung einer Antwort, sie besteht mehr oder weniger aus einem einzigen, atemlosen Satz von 5:25 Minuten (zur Sicherheit haben wir das Ganze abgeschrieben, es sind 4350 Zeichen). Hier einige Auszüge (bei Bedarf schicken wir Ihnen die komplette Abschrift gerne zu): + „Das ist ja einfach eine Frage von Bewertung einer Situation die, hm, erstmal… man hat ja gemerkt anhand dieser Diskussion, wie doch vielen Menschen dieses Thema am Herzen liegt, wie wir eigentlich umgehen mit Minderheiten, mit Identität, wie wir über bestimmte Gruppen sprechen, wie wir, hm, auch wie unsere Sprache sich verändert hat, offensichtlich gibt’s dazu Redebedarf…“ + „Und die Frage ist, wie geht man damit um, und ich glaube, dass Wolfgang Thierse einen ganz wichtigen Punkt gemacht hat, er hat nämlich in dem, was er dort gesagt hat, auch einen Schwerpunkt auf das Gemeinsame gelegt…“ + „Häufig gehen solche Diskussionen dann sehr in die Emotionalisierung, und dann wird daraus gleich eine Gesamtkritik, und das finde ich einfach schade, denn am Ende des Tages leben wir in einer vielfältigen Gesellschaft…“ „So, jetzt kann man sagen‚ ‚die Gruppe und die Gruppe und die Gruppe‘, aber am Ende hab ich immer gesagt, die Kinder in der Schule sind doch alles meine Neuköllner Kinder, das sind alles Berliner Kinder, wir wollen doch, dass Sie vorankommen, dass sie ihren Weg machen können, egal, wo die Wiege ihrer Eltern stand, egal woran sie glauben, egal welche Sprache zuhause gesprochen wird…“ + „Und ich glaube, dass wir als Gesellschaft insgesamt nur weiterkommen, wenn wir uns nicht darauf fokussieren, den Unterschied zu betonen, sondern das Gemeinsame zu suchen...“ + „Ich glaube, dass wir bei allem Bemühen und bei aller berechtigten Diskussion um Menschen die Diskriminierung klar benennen, die Notwendigkeit, dass wir dagegen vorgehen, das will ich gar nicht in Abrede stellen, aber, die Frage, wie wir insgesamt als Gesellschaft weiterkommen, die ist damit verbunden, wie wir es schaffen, eine gemeinsame Identität zu entwickeln.“ | |||
|
|
|
|
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
| |||
| |||
|
| |||
| |||
| |||
|
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
| |||
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|