Newsletter 2/2023
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
 
nun ist es raus: Die Europäische Kommission hat in der letzten Woche als Antwort auf den Inflation Reduction Act der US-Regierung den Green Deal Industrial Plan veröffentlicht, der mit Spannung erwartet worden war. Denn es geht um viel: Die Weltwirtschaft befindet sich am Beginn einer grünen Transformation und zugleich inmitten einer geopolitischen Neuordnung. Der Wohlstand von morgen wird neu verteilt.

Kein Wunder also, dass die Industriepolitik zurück auf der Agenda ist. Industriepolitik ist Geopolitik mit anderen Mitteln. Für die EU ist das besonders heikel, denn ein aus guten Gründen sehr restriktiv angelegtes Beihilferecht soll den gemeinsamen Binnenmarkt eigentlich vor staatlichen Wettbewerbsverzerrungen schützen. Nun hat die Kommission ein Programm vorgeschlagen, das ausgerechnet das Beihilferecht lockert und großzügige Finanzhilfen verspricht. Im schlechtesten Fall wird der Green Deal Industrial Plan zu neuen strukturellen Divergenzen innerhalb der EU und zu einem teuren Subventionswettlauf mit den USA führen. Umgekehrt kann man nicht einfach zusehen, wie die USA Investitionen umlenken und Unternehmen anwerben. Denn die Wettbewerbsfähigkeit der EU erodiert schon länger. Direktinvestitionen gehen dorthin, wo Energie günstig und sicher ist – und das ist auf absehbare Zeit wohl nicht die EU.

Das Gespenst der Deindustrialisierung geht um in Europa. Fraglos steht die EU an einem kritischen Punkt ihrer wirtschaftlichen Entwicklung. Das cep wird umso genauer für Sie aus ordnungspolitischer Perspektive hingucken.
 
Herzliche Grüße,
Ihr Henning Vöpel
 
Aktuelle EU-Vorhaben im Fokus des cep
Binnenmarkt
Jubiläum: 30 Jahre Binnenmarkt

Die Kommission will am 22. Februar eine Mitteilung zum dreißigjährigen Jubiläum des Binnenmarktes veröffentlichen. Es wird um ein Abwägen zwischen Vorteilen und Erfolgen auf der einen Seite sowie Hemmnissen und daraus abzuleitenden Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Binnenmarktes auf der anderen Seite gehen. Ein funktionierender Binnenmarkt ist Voraussetzung dafür, das Kommissionsziel einer offenen und zugleich strategisch autonomen Europäischen Union zu erreichen.
 
Klima | Verkehr
Lkw und Busse: Schärfere CO2-Emissionsnormen

Die Kommission will am 14. Februar im Rahmen ihrer Strategie „Nachhaltige Mobilität“ [COM(2020) 789; s. cepAnalyse 9/2021] vorschlagen, die EU-Regelungen zu CO2-Emissionsnormen für neue schwere Nutzfahrzeuge (Lkw und Busse) [Verordnung (EU) 2019/1242; s. cepAnalyse 29/2018] zu ändern. Dies soll dazu beitragen, die CO2-Emissionen in der EU bis 2030 um 55% gegenüber 1990 zu senken [Verordnung (EU) 2021/1119, s. cepAnalyse 3/2020]. Die Kommission erwägt, die CO2-Emissionsnormen zu verschärfen und auf weitere Arten schwerer Nutzfahrzeuge anzuwenden sowie Anreize für emissionsfreie Fahrzeuge zu schaffen.
 
Informationstechnologien
Breitbandausbau: Kommission will Zugang zu physischen Infrastrukturen erleichtern

Die Kommission will voraussichtlich am 10. Februar ein Gigabit-Infrastrukturgesetz („Gigabit Infrastructure Act“) vorlegen. Der Rechtsakt soll die bestehende Richtlinie über Maßnahmen zur Reduzierung der Kosten des Ausbaus von Hochgeschwindigkeitsnetzen für die elektronische Kommunikation [2014/61/EU, s. cepAnalyse 44/2013] ersetzen. Laut Kommission wird der Netzausbau insbesondere durch hohe Ineffizienzen beim Infrastrukturausbau im Zusammenhang mit der Nutzung von passiver Infrastruktur, also etwa Leitungsrohre, Verteilerkästen und Antennenanlagen, gebremst. Zudem findet keine zufriedenstellende Koordinierung von Bauarbeiten statt, Genehmigungsverfahren sind zu aufwändig, und es gibt Probleme beim Ausbau von gebäudeinterner physischer Infrastruktur. Um die Netzausbaukosten zu senken, will die Kommission daher unter anderem Zugangsrechte von Netzbetreibern auf weitere passive Infrastrukturen ausdehnen. Zudem soll der Zugang zu Informationen über bestehende physische Infrastrukturen verbessert werden, sofern nicht Sicherheits- oder Gesundheitsbedenken dagegensprechen oder es sich um eine kritische Infrastruktur handelt. Außerdem soll der Informationsfluss über anstehende Bauarbeiten verbessert werden, indem eine zentrale Informationsstelle etabliert wird. Vorschriften zur Ausstattung und zum Zugang zu gebäudeinternen physischen Infrastrukturen sollen verschärft werden.
OTT fair share: Konsultation zur Beteiligung von Tech-Konzernen an Netzausbaukosten

Die Kommission will voraussichtlich Mitte Februar – nach mehrmaligem Verschieben – eine Konsultation über eine mögliche finanzielle Beteiligung von Tech-Unternehmen an den Netzausbaukosten starten. Die Debatte darüber läuft schon seit mehreren Monaten. Letztlich steht die Frage im Raum, ob sich die Netzgiganten, die für einen Großteil des Datenverkehrs im Internet verantwortlich sind, also etwa Netflix und Google, stärker als bisher für die Kosten des Ausbaus der Telekommunikationsinfrastruktur beteiligen sollen. Dies könnte etwa durch eine Abgabe erfolgen, die die Tech-Konzerne an die Telekommunikationsunternehmen zahlen oder durch die Etablierung eines Fonds, an den sie Beiträge abführen müssten. Im Rahmen der Konsultation will die Kommission zudem wohl auch Fragen rund um die europäische Funkfrequenzpolitik, die EU-Vorgaben zu Universaldiensten und zu aktuellen Marktentwicklungen stellen.
 
Konsultationen
Die EU-Kommission bittet Entscheidungsträger und Interessierte in der Zivilgesellschaft um Stellungnahmen zu europäischen Politikvorhaben. Wir haben für Sie die wichtigsten Konsultationen zusammengestellt:
Gesundheit
Psychische Gesundheit: Kommission will einen umfassenden Ansatz vorlegen

Die Kommission will psychische Gesundheit in den Fokus politischen Handelns rücken. Die stark zunehmende Zahl psychischer Erkrankungen nicht zuletzt seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und dem Beginn des Ukraine-Krieges stellt ein Problem für die Betroffenen und die Gesellschaft insgesamt dar. Die Kommission sieht Handlungsbedarf in verschiedenen Politikbereichen und will daher einen umfassenden Ansatz vorlegen. Geplant sind EU-weite Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit der Bürger. So sollen bestehende Probleme effektiver angegangen werden, etwa durch einen besseren Zugang zu Behandlung und Pflege. Zudem sollen präventive Maßnahmen unterstützt werden, zum Beispiel Maßnahmen zur Vermeidung von übermäßigem Stress am Arbeitsplatz sowie zur Vermittlung von Bewältigungsstrategien.
 
Die Einreichungsfrist für Stellungnahmen endet am 15. Februar 2023.
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Energie | Klima
Strompreise: Reform des EU-Strommarktdesigns

Die Kommission will bis Ende März 2023 eine Reform des EU-Strommarktdesigns vorschlagen. In ihrer Konsultation stellt sie Optionen für dessen künftige Ausgestaltung vor. Durch die Reform will die Kommission (1) die Abhängigkeit des Strompreises von fossilen Brennstoffen verringern sowie erneuerbare Energien weiter ausbauen; (2) die Funktionsweise des Strommarktes verbessern; (3) den Verbraucherschutz stärken sowie (4) die Markttransparenz, -überwachung und -integrität verbessern.

Die Einreichungsfrist für Stellungnahmen endet am 13. Februar 2023.
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Umwelt
Ökodesign: Neue Produkte

Der Anwendungsbereich der neuen Ökodesign-Verordnung [COM(2022) 142; s. cepAnalyse 10/2022] soll auf fast alle physischen Waren ausgeweitet werden und weitere Produkteigenschaften – wie Haltbarkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit – umfassen. Die Kommission will Produkte identifizieren, die zuerst reguliert werden sollten. Sie schlägt insgesamt zwölf End- und sieben Zwischenprodukte vor. Dazu zählen Textilien, Reifen, Farben, Stahl, Chemikalien und Kunststoffe.

Die Einreichungsfrist für Stellungnahmen endet am 25. April 2023.
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Finanzmärkte
Zahlungsverzug: Besserer Schutz für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Die EU-Kommission will die Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr [2011/7/EU, s. cepAnalyse vom 2. Juni 2009] überarbeiten. Dafür will sie bis zum Sommer 2023 einen Gesetzentwurf vorlegen. Am 20. Januar 2023 hat sie eine entsprechende Konsultation gestartet. Die Kommission will die Richtlinie anpassen, da immer noch mehr als 60% der Rechnungen im Geschäftsverkehr nicht rechtzeitig beglichen werden. Betroffen sind davon insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die Corona-Pandemie und die Energiekrise haben die Situation nochmals verschärft. Die Kommission plant Gegenmaßnahmen, etwa durch den Einsatz von modernen digitalen Zahlungsinstrumenten, eine verbesserte Rechtsdurchsetzung und eine Stärkung der Transparenz über das Zahlungsverhalten der Unternehmen.

Die Einreichungsfrist für Stellungnahmen endet am 17. März 2023.
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Termine
9.-10. Februar
Brüssel

Treffen des Europäischen Rates.*
 
9. Februar
Brüssel

Treffen des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE): Es geht unter anderem um Abstimmungen über die Berichte zum Kommissionsvorschlag zum Datengesetz (Data Act, s. cepAnalyse 11/2022) und zur Etablierung EU-weiter digitaler Brieftaschen (EUid wallets, s. cepAnalyse 25/2021).
 
13. Februar
Brüssel

Treffen der Euro-Gruppe. Es geht unter anderem um die Entwicklung des Energiemarktes.

13.-16. Februar
Straßburg

Treffen des Europäischen Parlaments. Es geht unter anderem um die Bestätigung des Trilog-Ergebnisses zur Verordnung zur Änderung der Verordnung über europäische langfristige Investmentfonds (ELTIF) (s. cepDossier 2/2022).
 
13.-14. Februar
Stockholm

Expertentreffen. Das Treffen wird von der schwedischen Ratspräsidentschaft organisiert und soll das aktive und autonome Altern vor dem Hintergrund des demographischen Wandels thematisieren. Es geht unter anderem um die Frage, wie älteren Menschen eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Pflege in den Mitgliedstaaten angeboten werden kann (s. dazu auch cepInput 12/2022).

14. Februar
Brüssel

Treffen des Rates für Wirtschaft und Finanzen (Ecofin). Es geht unter anderem um die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen der Aggression Russlands gegen die Ukraine und die Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung.

21. Februar
Brüssel

Treffen des Rates für allgemeine Angelegenheiten.*

2. März
Brüssel

Treffen des Rates für Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt und Industrie).*

* Die genaue Agenda stand bei Redaktionsschluss jeweils noch nicht fest.
 
Ausgewählte cepPublikationen
cepInput: Aufbau von Wasserstoff-Hubs in Europa
Ob als Erdgasersatz zum Heizen, zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe oder als Rohstoff für die chemische Industrie: Der durch Elektrolyse mithilfe erneuerbarer Energien hergestellte grüne Wasserstoff gilt als Triebfeder der Energiewende. Da Produktion und Nutzung für einen zügigen Markthochlauf möglichst nah beieinander liegen sollten, sieht das Centrum für Europäische Politik (cep) die Nordseeanrainer Niederlande und Deutschland als zukünftig gemeinsames Wasserstoffzentrum der EU – sollte Brüssels Bürokratie nicht zum Bremsklotz werden.

Zum cepInput 1/2023
 
cepAnalyse: Cyberresilienzgesetz
Cyberattacken auf Soft- und Hardwareprodukte verursachen weltweit enorme finanzielle Schäden, allein 2021 mehr als 5,5 Billionen Euro. Mit dem Cyberresilienzgesetz will die Kommission einheitliche Cybersicherheitsvorschriften für Hersteller, Importeure und Händler von Produkten mit digitalen Elementen (PmdE) etablieren. Das cep bewertet den Entwurf positiv. Ausnahme: die intransparente Differenzierung zwischen kritischen Produkten.

Zur cepAnalyse 1/2023
 
cepAdhoc: ChatGPT erfordert mehr digitale Mündigkeit
Ob Journalisten, Texter oder Wissenschaftler: Generative Künstliche Intelligenz (KI) wird zunehmend die Arbeit klassischer Berufe erleichtern oder diese vielleicht sogar vollständig verdrängen. Beispiel: das populäre Sprachwerkzeug ChatGPT. Das cep sagt dem KI-Wunder-Tool eine verheißungsvolle Zukunft voraus. Allerdings leide die Anwendung immer noch unter vielen Fehlfunktionen.

Zum cepAdhoc 1/2023
 
cepAdhoc: Die neuen EU-Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit
Bei vielen Unternehmen schrillen derzeit die Alarmglocken. Denn im Januar 2023 ist eine neue EU-Richtlinie in Kraft getreten, die zahlreiche Unternehmen erstmals einer Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung unterwirft und sie vor enorme Herausforderungen stellt. Derzeit werden die genauen Berichtsstandards von der EU-Kommission erarbeitet. Das cep gibt einen Überblick über den aktuellen Sachstand und liefert Leitplanken für die laufende Diskussion.

Zum cepAdhoc 2/2023
 
cepInput: Antibiotics: A Multi-Perspective Challenge
Mitte März will die Kommission ein Reformpaket zum Europäischen Arzneimittelrecht vorlegen. Ein Kernpunkt sind Antibiotika. Der Fehlgebrauch dieser Medikamente führt zu antimikrobiellen Resistenzen, so dass tödliche Infektionen teilweise nicht mehr mit verfügbaren Antibiotika bekämpft werden können. Auch die akute Mangellage bestimmter Antibiotika verdeutlicht den Handlungsdruck. Das cep hat den bislang umfangreichsten Maßnahmenkatalog vorgelegt.

Zum cepInput 2/2023
 
Zum Schluss
…alle Texte dieses Newsletters sind übrigens von den Kolleginnen und Kollegen selbst geschrieben worden. So können Sie sicher sein, dass wir inhaltlich alles mit unserer hohen und langjährigen Expertise geprüft haben. ChatGPT, die generative Sprach-KI, die gerade in aller Munde ist, schreibt bereits jetzt schon erstaunlich gute Texte. Sie wird ohne Frage die Arbeitswelt einmal revolutionieren. Noch aber bürgen wir persönlich für unsere Arbeit. Sie können uns also weiterhin voll vertrauen.

Ihr
Henning Vöpel
 
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