Newsletter 9/2023
Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der frühere Bundespräsident Roman Herzog ist nicht nur dafür bekannt, die Gründung des cep vor 17 Jahren maßgeblich unterstützt zu haben. In Erinnerung blieb Herzog vor allem wegen seiner sogenannten Ruck-Rede im Berliner Hotel Adlon am 26. April 1997.

Auch damals galt Deutschland als „kranker Mann Europas“. Neben gesellschaftspolitische gesellten sich gewaltige sozioökonomische Defizite. Die Ära Kohl lag wie Mehltau über der wiedervereinten Bundesrepublik. Reformen der späteren rot-grünen Bundesregierung setzten wenige Jahre später bei der schonungslosen Analyse Herzogs an und führten das Land letztlich in eine Phase neuerlicher Prosperität.

Fast zwei Jahrzehnte später ist der Aufholbedarf in vielen Bereichen des öffentlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens erneut enorm. Eine überalterte Gesellschaft, überbordende und lähmende Bürokratie, mangelnde Leistungsbereitschaft, rückständige Digitalisierung, marode Straßen und Brücken, eine gescheiterte Migrationspolitik sowie energiepolitische Totsünden lassen an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands zweifeln.

Herzog kritisierte schon damals schonungslos „die Erosion der Sozialversicherung durch eine auf dem Kopf stehende Alterspyramide“, die „wirtschaftliche, technische und politische Herausforderung der Globalisierung“, den „Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft“ sowie „eine unglaubliche mentale Depression“ – Worte, die nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Dringender denn je muss auch heute wieder ein Ruck durch Deutschland gehen. Die Substanz ist vorhanden. Das Eisen glüht noch. Warum sollte nicht ein weiteres Mal gelingen, was Herzog 1997 anmahnte? Keine Frage: Es wird viel Innovationskraft, Mut und Leidensbereitschaft erfordern, die drohende Deindustrialisierung, das Abwandern der Besten und die Zerstörung der Sozialsysteme zu verhindern. Noch ist es nicht zu spät, wenn die Probleme klar benannt und entschieden angepackt werden. Es gibt keinen anderen Weg.

Bleiben Sie uns gewogen.

Ihr
Dr. Jörg Köpke
„Durch Deutschland muss ein Ruck gehen“: Der frühere Bundespräsident Roman Herzog forderte 1997 einen wirtschaftspolitischen Neuanfang.
Aktuelle EU-Vorhaben im Fokus des cep
Binnenmarkt
Unternehmensbesteuerung: Gewinnberechnung und Gewinnverteilung
 
Die Kommission will am 12. September einen Vorschlag für einen einheitlichen Rahmen für die Unternehmensbesteuerung in der EU vorlegen. Zum einen plant sie, gemeinsame Regeln für die Erstellung der Steuerbemessungsgrundlage vorzuschlagen. Zum anderen will sie Regeln schaffen, nach denen der zu besteuernde Gewinn zwischen den EU-Staaten verteilt wird. Kriterien des Verteilungsschlüssels sollen Mitarbeiter, Umsätze und materielle Vermögenswerte sein, eventuell auch immaterielle Vermögenswerte. Wie diese Faktoren gewichtet werden sollen und welche Unternehmen überhaupt erfasst sein sollen, ist noch nicht bekannt.
 
Umwelt
Kreislaufwirtschaft: Nachhaltige Produkte
 
Nach der Brüsseler Sommerpause beginnen die Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission über die geplante Ökodesign-Verordnung [s. cepAnalyse 10/2022]. Während die noch geltende Ökodesign-Richtlinie [2009/125/EG] nur „energieverbrauchsrelevante“ Produkte – wie etwa Spül- und Waschmaschinen – umfasst, soll der Geltungsbereich der neuen Ökodesign-Verordnung auf nahezu alle physischen Waren ausgeweitet werden. Zudem sollen neben dem Energieverbrauch weitere Produkteigenschaften reguliert werden. So sollen Produkte während ihres gesamten Lebenszyklus haltbarer sein sowie leichter repariert, wiederverwendet und recycelt werden können.
 
Finanzmärkte
Zahlungsverzug: Besserer Schutz für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)

Die EU-Kommission will am 12. September 2023 einen Vorschlag zur Überarbeitung der Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr [2011/7/EU, s. cepAnalyse] vorlegen. Die Kommission will die Richtlinie anpassen, da immer noch mehr als 60% der Rechnungen im Geschäftsverkehr nicht rechtzeitig beglichen werden. Betroffen sind davon vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Die Corona-Pandemie und die Energiekrise haben die Situation nochmals verschärft. Um dem entgegenzuwirken, plant die Kommission insbesondere Maßnahmen zur Förderung des Einsatzes von modernen digitalen Zahlungsinstrumenten, zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung und zur Stärkung der Transparenz über das Zahlungsverhalten der Unternehmen.
 
Trilog-Einigungen
Die Kommission, der Rat und das Europäische Parlament verhandeln regelmäßig im sogenannten Trilog über EU-Gesetzesvorhaben, um eine gemeinsame Position zu finden. Wir haben für Sie die wichtigsten Trilog-Einigungen seit dem Newsletter im vergangenen Monat zusammenstellt:
Umwelt
Triologeinigung: Batterien-Verordnung
 
Am 17. August 2023 trat die neue Batterie-Verordnung in Kraft. Sie gilt für alle Batterien wie etwa Geräte-, Industrie- und Starterbatterien sowie Batterien für leichte Verkehrsmittel. Künftig sollen diese langlebiger und nachhaltiger gestaltet werden sowie leichter austauschbar sein. Der gesamte Lebenszyklus einer Batterie wird reguliert. Dies umfasst Vorgaben für einen verpflichtenden Mindestgehalt an recycelten Materialien (Rezyklate) unter anderem bei Industriebatterien und Starterbatterien. Zudem sollen Endnutzer Gerätebatterien etwa von Smartphones oder Tablets entfernen und ersetzen können. Unternehmen haben nach Inkrafttreten der Verordnung 42 Monate lang Zeit, ihre Produkte an diese Anforderung anzupassen. Darüber hinaus gibt es Vorgaben zur Batterieentsorgung wie zum Beispiel Sammelziele für Gerätealtbatterien für die Hersteller.
 
Konsultationen
Die EU-Kommission bittet Entscheidungsträger und Interessierte in der Zivilgesellschaft um Stellungnahmen zu europäischen Politikvorhaben. Wir haben für Sie die wichtigsten Konsultationen zusammengestellt:
Verbraucher
Lebensmittelverschwendung: Kommission präsentiert rechtsverbindliche Zielvorgaben
 
Vor allem angesichts knapper Ressourcen stellt die Lebensmittelverschwendung ein zum Teil vermeidbares gesellschaftliches Problem dar. So führt etwa ein falsches Verständnis des Mindesthaltbarkeitsdatums dazu, dass Lebensmittel zu früh entsorgt werden (s. cepInput 13/2021). Die Kommission hat im Zusammenhang mit ihrem Vorschlag zur Überarbeitung der sogenannten Abfallrahmenrichtlinie [COM(2023) 420 final] Maßnahmen vorgestellt, um die Lebensmittelverschwendung EU-weit zu reduzieren.  Der Vorschlag setzt dahingehend auch die „Vom Hof auf den Tisch“-Strategie um (s. cepAnalyse).  Konkret beinhaltet der Kommissionsvorschlag rechtsverbindliche Zielvorgaben an die Mitgliedstaaten. So sollen Lebensmittelabfälle unter anderem im Einzel- und Großhandel, in Restaurants und in privaten Haushalten um 30 Prozent pro Kopf verringert werden. Weiterhin soll die Lebensmittelverschwendung vor allem auch bei der Verarbeitung und Herstellung um 10 Prozent reduziert werden. Das Referenzjahr ist 2020, und die Ziele sind bis Ende 2030 umzusetzen. Interessenträger können nun ihre Meinung zum Kommissionsvorschlag abgeben.
 
Die Einreichungsfrist für Stellungnahmen endet am 18. Oktober 2023.
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Informationstechnologien
Normung: EU will einschlägige EU-Verordnung überprüfen
 
Die Kommission hat am 1. September 2023 eine Konsultation zur Überprüfung der Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 zur europäischen Normung eingeleitet. Sie will damit eine Debatte darüber anstoßen, inwiefern die Verordnung auch heute – also über 10 Jahre nach Beginn ihrer Anwendung – noch wirksam, effizient, kohärent und relevant ist. Dabei will sie insbesondere prüfen, ob das europäische Normungssystem noch in der Lage ist, Normen für einen „grünen, digitalen und resilienten Binnenmarkt“ bereitzustellen, die auch von globaler Relevanz sind. Dabei soll auch untersucht werden, ob der europäische Normungsprozess dem raschen technologischen Wandel und dem globalen Wettbewerb noch gewachsen ist, wie eine Beteiligung möglichst vieler Interessenträger aus der Gesellschaft gelingen kann und wie die Finanzierung des EU-Normungssystems ausgestaltet sein sollte.
 
Die Einreichungsfrist für Stellungnahmen endet am 29. September 2023.
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Termine
11.-14. September 2023
Straßburg
Sitzung des Europäischen Parlaments: Es geht unter anderem um den Schutz geografischer Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse und das Notfallinstrument für den Binnenmarkt sowie eine neue Verordnung über körpereigene Substanzen wie Blut und Plasma (s. cepAnalyse 15/2022).
 
13. September 2023
Straßburg
Europaparlament: Am 13. September wird Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre Rede zur Lage der Union halten. Zudem soll in der Plenumswoche unter anderem die finale Abstimmung über die überarbeitete Verbraucherkreditrichtlinie (s. cepAnalyse 4/2022) stattfinden.
 
15.-16. September 2023
Santiago de Compostela
Informelles Treffen der Minister für Wirtschaft und Finanzen. Es geht unter anderem um die Neubesetzung der Präsidentenstelle der Europäischen Investitionsbank.
 
19. September 2023
Brüssel

Treffen des Rates für allgemeine Angelegenheiten.
 
25. September 2023
Brüssel

Treffen des Rates für Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt und Industrie).
 
27.-28. September 2023
Murcia

Informelles Ministertreffen des Rates für allgemeine Angelegenheiten.
 
2.-5. Oktober 2023
Straßburg

Sitzung des Europäischen Parlaments: Es geht unter anderem um die Produkthaftung.
 
2. Oktober 2023
Straßburg
Sitzung des Europäischen Parlaments: Es geht unter anderem um den Europäischen Gesundheitsdatenraum (s. cepAnalyse 13/2022) und die Produkthaftung (s. cepAnalyse 2/2023).
 
Ausgewählte cepPublikationen
cepAnalyse: Luftqualität
cepInput: Alkohol gefährdet die Gesundheit: cep fordert EU-einheitliches Label nach irischem Vorbild
Saubere Luft ist für Mensch und Umwelt existenziell wichtig. Die EU will deshalb die Luftverschmutzung in Europa weiter reduzieren. Während das Parlament die strengen Richtwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eins zu eins in die neue Luftqualitätsrichtlinie übernehmen will, hält das Centrum für Europäische Politik (cep) den moderateren Kommissionsvorschlag für angemessen und realitätsnah.

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cepInput: Alkohol gefährdet die Gesundheit: cep fordert EU-einheitliches Label nach irischem Vorbild
cepInput: Alkohol gefährdet die Gesundheit: cep fordert EU-einheitliches Label nach irischem Vorbild
In der EU sterben jedes Jahr Zehntausende an den Folgen von übermäßigem Alkoholkonsum. Irland will deshalb ab 2026 mit Zustimmung der Kommission als erster Mitgliedstaat einen Warnhinweis wie auf Zigarettenschachteln auch für alkoholische Getränke vorschreiben. Das Centres for European Policy Network (cep) hält dieses sogenannte Whiskey-Label für sinnvoll, plädiert aber für eine einheitliche Einführung in der EU.

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cepAnalyse: Recht auf Reparatur wird zur Pflicht zur Reparatur
Smartphones, Laptops, Kühlschränke: Insbesondere Elektrogeräte sollen der Umwelt zuliebe leichter instandgesetzt werden können. Die EU-Kommission will deshalb mit einer neuen Reparaturförderrichtlinie ein sogenanntes Recht auf Reparatur einführen. Nach Einschätzung des Centrums für Europäische Politik (cep) schießt sie mit ihrem Vorschlag teilweise übers Ziel hinaus.

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cepStudie: Quo vadis, Europa?
Klimakatastrophen, fehlende Rohstoffe, mangelhafte Digitalisierung: Europa steht vor einer schweren Zukunft. Politischer Einfluss, wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und äußere Sicherheit sind bedroht. Während die Zeit drängt, antwortet Brüssel mit bürokratischer Regulierung. Das Centrum für Europäische Politik (cep) fordert eine strategische und pragmatische Industriepolitik, um nicht gegenüber den USA und China zurückzufallen.

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Common Ground of Europe
Die internationale Webseite „Common Ground of Europe” geht auf eine Initiative des Centres for European Policy Network (cep) zurück. Auf commongroundeurope.eu sammelt das cep vor allem englischsprachige Beiträge, Artikel und Interviews von Entscheidungsträgern und Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Wir laden Sie herzlich dazu ein, durch unser Schaufenster nach Europa zu blicken. Im Folgenden finden Sie Beispiele aus dem vergangenen Monat.
Das europäische Erbe der deutschen Hyperinflation
 
Soziale Medien offenbaren den öffentlichen Diskurs in einer nie dagewesenen Tiefe. Wenn man alle Tweets zum Thema Hyperinflation in Deutschland, Frankreich und Italien zusammenfasst, zeigen sich deutliche Unterschiede in der europäischen Einstellung zu steigenden Kosten. Die politischen Entscheidungsträger der EU müssen diese Unterschiede berücksichtigen.
 
Die Selbstzerstörung der Mitte
 
Die Mitte der Gesellschaft droht sich selbst zu zerstören, indem sie ihre Diskursfähigkeit aufs Spiel setzt. Die einzige Haltung, die in einer freiheitlich-pluralistischen Ordnungspolitik Bestand hat, ist die der gemeinsamen Verantwortung für einen konstruktiven Diskurs.
 
Zum Schluss
Roman Herzogs Analyse besitzt beinahe zeitlose Gültigkeit: „Was sehe ich dagegen in Deutschland? Hier herrscht ganz überwiegend Mutlosigkeit, Krisenszenarien werden gepflegt. Ein Gefühl der Lähmung liegt über unserer Gesellschaft.“ Sorgen wir dafür, diese Lähmung ein weiteres Mal zu überwinden.
 
Ihr
Dr. Jörg Köpke
Centrum für Europäische Politik
 
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