China-Newsletter 02/2020
 
Hallo zusammen zum zweiten Newsletter des China-Programms der Stiftung Asienhaus im Jahr 2020, der dezentral und im Home Office zusammengestellt wurde. Das neuartige Coronavirus und die Maßnahmen zu dessen Eindämmung haben unsere Arbeitsprozesse grundsätzlich verändert: Terminabsagen, virtuelle Teammeetings und interne Abstimmungen verstärkt per E-Mail und Messenger-Dienste. In diesem Sinne: Digitalisierung sei Dank können wir auch weiterhin an unseren Inhalten arbeiten. Das Eintreten für ein differenzierten China-Bild ist in diesen Zeiten wichtiger denn je!
 
Der März wäre für das China-Programm ein intensiver Veranstaltungsmonat gewesen, mit Themen, die uns sehr wichtig sind: Klimagerechtigkeit vor dem Hintergrund der europäisch-chinesischen Beziehungen, das chinesische Sozialkreditsystem, deutsch-chinesische Schulpartnerschaften, die Neuen Seidenstraßen/BRI und deutsch-chinesische Kommunalpartnerschaften. Wir hoffen, dass diese Veranstaltungen in der zweiten Jahreshälfte nachgeholt werden können. Ganz aktuell versuchen wir zusammen mit unseren Kolleg*innen in der Stiftung, des philippinenbüros und Veranstaltungsorts herauszufinden, ob der 8. Asientag am 9. Mai 2020 durchführbar sein wird.
 
Dieser Newsletter behandelt eine ganze Reihe von Themen: COVID-19, die Neuen Seidenstraßen/BRI, die EU, China und das Klima, US-China Beziehungen, den FrauenKAMPFtag 2020 und Bücher statt Termine. Wir wünschen viel Vergnügen beim Lesen - selbstverständlich zu Hause, nicht im Kollektiv und mit gewaschenen Händen!
 
Joanna Klabisch
Christian Straube
 
Regelmäßig informiert auf unseren China-Seiten:
www.asienhaus.de/china/
www.stimmen-aus-china.de
www.eu-china-twinning.org
 
 
 
Untertitel
 
Nǐ hǎo (你好) im Reichstag COVID-19 bzw. Guānzhuàng bìngdú 冠状病毒
 
"Viren kennen keine Grenzen und keine Nationalitäten," twitterte Außenminister Maas und fügte hinzu: "Das Virus besiegen wir nur gemeinsam." Doch schon lange ist der Kampf gegen COVID-19 kein reiner Kampf um die Gesundheit der Menschen auf der ganzen Welt mehr. In den Fokus gerückt sind das politische System, öffentliche Kommunikation und Propaganda, Verschleierungsaktionen, Selbstprofilierung, Rassismus, intransparente internationale Institutionen und generell ein Übermaß an Innen- und Außenpolitik.
 
Sind tatsächlich Wochen vergangen ehe die Volksrepublik China das Ausmaß der Epidemie in Wuhan kommunizierte? Ignorierte die WHO die Warnung Taiwans zur Übertragbarkeit des Virus durch Menschen aus politischen Gründen? Testen Länder vorsetzlich nicht, um ihre Infektionsraten niedrig zu halten? Reagieren Demokratien zu langsam und Autokratien zu einschneidend? Warum brechen die Gesundheitssysteme wohlhabender Länder so schnell unter dieser Pandemie zusammen? Und wie viele Corona-Infizierte gibt es tatsächlich?
 
Auf einige dieser Fragen werden wir nie Antworten erhalten. Was man in den USA das "Blame-Game" und in China "Naming and Shaming" nennt, zerrütet die globale Ordnung. Gewinner über das Virus zu sein, medizinisch und wirtschaftlich, sowie in den Medien sichtbar zu sein, scheint von oberster Priorität. Dies alles während die Zahlen der Infizierten und Toten steigen, viele Betroffene ihre Lebensgrundlage verlieren und besonders schutzbedürftige Menschen leiden.
 
Auch in dieser Situation gibt es Beispiele von Menschlichkeit, sie gehen leider zu oft in den Negativschlagzeilen unter. Das Virus gemeinsam besiegen, ist für viele ein Motto geworden. Ein "post mortem" der multilateralen Weltordnung muss warten.
 
 
 
Neue Seidenstraßen/BRI
 
Unser Partner, das Transnational Institute (TNI) in Amsterdam, hat im Auftrag des Asia Europe People's Forum (AEPF) ein Papier erarbeitet, um die Neuen Seidenstraßen/BRI theoretisch zu reflektieren. Das "Framing Paper" nimmt seinen Ausgangspunkt nicht in der Geopolitik der weitreichenden Infrastrukturmaßnahmen, sondern betrachtet die chinesische Initiative aus einer makroökonomischen Perspektive unter Zuhilfenahme der Arbeit von David Harvey. Die Neuen Seidenstraßen/BRI sind Produkt einer "kapitalistischen Krise chinesischer Prägung," so das Papier, welches Tom Baxter von chinadialogue im Interview mit den Autor*innen von TNI erörtert.
 
Ein Kurzartikel von Amit Bhandari und Aashna Agarwal für Gateway House beschäftigt sich mit chinesischen Investitionen in Indien. Das Land ist bisher nicht offiziell Teil der Neuen Seidenstraßen/BRI im Gegensatz zu all seinen Nachbarländern (siehe dazu Kapitel 8 von Uwe Hoerings Buch Der Lange Marsch 2.0). Chinesisches Kapital in Indien, so Bhandari und Agarwal, fließt vor allem in Start-Ups aus dem IT-Bereich, die zu wenig Kapital im Land akquirieren können. Der Artikel zeigt, dass "Indien womöglich den physischen Korridor [der Neuen Seidenstraßen/BRI] umgangen hat, jedoch unwissentlich so zum Teil des virtuellen Korridors geworden ist."
 
Wer sich weiter zu den Neuen Seidenstraßen/BRI belesen möchte, der sei auf ein Angebot von Routledge Taylor & Francis hingewiesen: bis 31. Juli 2020 sind ausgewählte Forschungsartikel zum Thema frei zugänglich.
 
 
 
Die EU, China und das Klima
 
Seit 2005 arbeiten die EU und China gemeinsam an der Klimawandel-Thematik. Die EU-China Partnership on Climate Change bietet umfassende politische Rahmenbedingungen für Dialog und Kooperation. Über zehn Jahre ist es her, dass man China als größtes Hindernis bei der Verschriftlichung globaler Klimaziele im Rahmen der Kopenhagener Klimakonferenz (COP) sah. Inzwischen ist das Land auf dem besten Weg seine 2015 Paris Agreement Ziele zu erfüllen. China implementiert ein umfassendes Klimaschutzprogramm auf nationaler Ebene und war führend daran beteiligt, Ergebnisse in den schwierigen Verhandlungen der COP 2018 in Kattowitz zu erzielen.
 
COP 2019 in Madrid wird von Klimaschützer*innen als eine der weniger erfolgreichen Klimakonferenzen angesehen: langwierige Verhandlungen mit wenigen zielführenden Entscheidungen zum Klimaschutz. Umso wichtiger werden bindende Abkommen im Rahmen der COP 2020 in Glasgow. Kurz zuvor wurde überraschend ein EU-China Treffen auf höchster politischer Ebene in Leipzig angesetzt. Eines der zu besprechenden Themen dieses Jahr im September: Klimawandel.
 
Wird China gemeinsame, ambitionierte Ziele mit der EU formulieren können? Oder hält die Rolle der Volksrepublik als "Entwicklungsland" sie davon ab, global ein Maß, das für alle Nationen unabhängig ihres Entwicklungsstatus anwendbar sein soll, zu unterstützen? 
 
 
 
US-China Beziehungen: gegenseitige Ausweisungen
 
Die Beziehungen zwischen den USA und der Volksrepublik China konnten in den letzten Jahren nie als besonders stabil bezeichnet werden. Aktuell beschreiben selbst renommierte Medien das Verhältnis als eine Art "Neuen Kalten Krieg". Nachdem bereits der Handelskrieg permanente steuerliche und visatechnische Änderungen einleitete, wurden nun auch die Medien, deren Position in China nie eine gesicherte war, Opfer der Außenpolitik der beiden Großmächte.
 
Ausgehend von Unterschieden in der Vergabe und Begrenzung von Visa für Journalist*innen in beiden Ländern, fielen in den letzten Wochen die Eskalationsstufen wie ein Kartenhaus zusammen: die Einstufung chinesischer Medien in den USA als "foreign government functionaries" und die Beschränkung der Anzahl chinesischer Journalist*innen im Land, die Ausweisung dreier Wall Street Journal Journalisten durch China, die Ausweisung von 60 Mitarbeiter*innen chinesischer Medien aus den USA und schließlich, am 17. März 2020, die Ausweisung mehrerer US-Journalist*innen der Washington Post, New York Times und des Wall Street Journals.
 
Diese Eskalation bedeutet vor allem, dass wir weniger über China in Erfahrung bringen können - eine fatale Entwicklung. Zudem entzieht sie uns die Möglichkeit, das China-Bild der Regierung kritisch zu hinterfragen. Die deutsche China-Berichterstattung im Blick, möchten wir an dieser Stelle auf Yang Xifan (ZEIT) aufmerksam machen, die soeben zurück nach China geflogen ist und aus der Quarantäne twittert.
 
 
 
FrauenKAMPFtag: Sozialismus kein Ersatz für Feminismus
 
Am 8. März 2020 war Internationaler Frauentag. Für ihren Newsletter China Neican haben Jiang Yun und Adam Ni vom China Policy Centre in Canberra die Entwicklung der Stellung der Frau in der Volksrepublik China sehr treffend zusammengefasst. Mit ihrer Erlaubnis bieten wir unseren Leser*innen hier eine deutsche Übersetzung der Ausgabe vom 8. März 2020 an:
 
Mao sagte einmal: "Frauen können den halben Himmel tragen (妇女能顶半边天)." Frauen haben jedoch nie volle Gleichberechtigung unter Mao erfahren, trotz ihrem hohen Beitrag zur Arbeiterschaft. Während seiner Zeit grassierten sexuelle Übergriffe in China. Dies schließt die Zeit der "Hinunter ins Dorf, hinauf in die Berge"-Kampagne (上山下乡) ein. Frauen waren zudem nahezu abwesend vom politischen Leben. Eine Ausnahme ist die berüchtigte Jiang Qing 江青, der die meiste Schuld an der Kulturrevolution zugeschoben wurde und die zum Sinnbild für eine Frau, die einen Mann auf Abwege führt, wurde.
 
Schauen wir auf das Heute: die sieben Mitglieder des ständigen Ausschusses des Politbüros sind alle Männer. Unter den 25 Mitgliedern des Politbüros ist lediglich eine Frau. Im größeren Zentralkommittee sind unter 204 Mitgliedern nur zehn Frauen.
 
Am Arbeitsplatz sind Frauen nach wie vor offenkundiger Diskriminierung ausgesetzt. Dies beginnt bei der Einstellung. Aus vielen Ausschreibungen geht hervor, dass Mann zu sein Bedingung oder Präferenz ist. Eine übliche Frage in Bewerbungsgesprächen mit Frauen ist die Frage nach dem Kinderwunsch.
 
In Bezug auf Heirat und persönliches Leben wird von Frauen immer noch erwartet, dass sie früh heiraten oder Gefahr laufen als "Übrig-Gebliebene" abgestempelt zu werden. Frauen sind nach wie vor rechtlichen Beschränkungen (Zwei-Kind-Politik) und familiären Druck über die Anzahl der Kinder ausgesetzt. Häusliche Gewalt wird immernoch als Familienangelegenheit angesehen, in die sich andere nicht einzumischen haben (清官难断家务事). Dennoch ändern sich die Ansichten, insbesondere in den Städten.
 
Das Leben von Frauen ethnischer Minderheiten ist noch schwieriger. Es gibt Berichte wonach uigurische Frauen gezwungen werden, Han-Chinesische Männer zu heiraten.
 
Feministische Bewegungen kommen in Fahrt in China. Jedoch sind sie auch mit einem harten Durchgreifen der Regierung konfrontiert. Am Vorabend des Internationalen Frauentages 2015 verhafteten die Behörden fünf Aktivistinnen. Mittlerweile sind sie als "Feministische Fünf" bekannt. Wer mehr über die feministische Bewegung lesen möchte, dem empfehlen wir Leta Hong Finchers Buch Betraying Big Brother: The Feminist Awakening in China.
 
 
Bücher statt Termine
 
Wir empfehlen Ihnen von öffentlichen Veranstaltungen abzusehen und zu Hause ein Buch über China zu lesen. Zum Beispiel:
 
Anders Gleich: 45 Perspektiven auf Leben und Alltag in China
von Miriam Leitner und Theresia Romberg-Frede
Drachenhaus Verlag
 
Das Rote Kornfeld
von Mo Yan
 
Die Fetten Jahre: Roman aus der chinesischen Zukunft
von Chan Koonchung
Fischer Taschenbuch
 
Wilde Schwäne: Die Frauen meiner Familie
von Jung Chang
Droemer Knaur
 
 
Bildquellen: Johns Hopkins Coronavirus Resource Center, AEPF, Adobe Stock, outlookindia.com, chineseposters.net
 
 
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