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Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 29.03.2021 | Leichter Wind bei milden 19°C. | ||
+ Merkel kritisiert Berliner Corona-Beschlüsse + Staatsoper bestreitet Rassismus-Vorwürfe + Was das Land Berlin für kulturelle Zwischennutzung tut + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, „ein hartes Test-Regime“ (Ramona Pop) übernimmt in Berlin die Macht – für Michael Müller ist das „eine Notbremse“, für Klaus Lederer sogar „eine absolute Notbremse“: In Büros dürfen zeitgleich nur noch 50 % der Plätze besetzt sein, die Unternehmen müssen ihren Beschäftigten zwei Tests pro Woche anbieten, in Innenräumen gilt eine FFP2-Maskenpflicht, der Eintritt bei Friseuren, Massagesalons, Baumärkten und Modeläden ist nur noch mit Negativ-Nachweis gestattet. Ansonsten bleibt alles beim Alten: Was auf ist, bleibt auf, und wer raus will, geht raus. Es kommentiert Angela Merkel: „Ich weiß jetzt wirklich nicht, ob testen und bummeln, wie es jetzt in Berlin heißt, die richtige Antwort auf das ist, was sich zurzeit abspielt.“ Und das ist es, was sich abspielt: Berlin rast ungebremst der 200er-Inzidenz entgegen, hält sich aber nicht an die Beschlüsse der Merkel-Runde – denn die sehen bereits ab 100 Neuinfektionen auf 100.000 Menschen pro Woche eine Zurücknahme der Lockerungen vor. Wenn das eine Notbremse sein soll, was der Senat da hinlegt, dann ist entweder die Karre kaputt, oder der Fahrer weiß nicht mehr, was er tut. „Ich habe mir die Notbremse nicht so gedacht“, sagte Merkel gestern Abend bei Anne Will – einen „Ermessensspielraum“ gebe es nicht: Ab einer Inzidenz von 100 müssten die Länder zurück in den Lockdown von Anfang März. Die Kanzlerin kündigte an, nicht tatenlos zuzusehen – und direkt nach ihrem Auftritt konkretisierte Bayerns MP Markus Söder, was das bedeutet: Die Union strebt eine Machtkonzentration beim Bund durch ein neues Infektionsschutzgesetz an. „Weniger Flickenteppich“ lautet das Motto – Deutschland steht vor einem harten Lockdown mit Ausgangssperren. Merkel und Söder blieben nicht allein mit ihrer Kritik an den Berliner Beschlüssen: „Das geht in die Hose!!!“, twitterte Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts der TU Berlin und Experte für Gesundheit in Gebäuden: „An der Wissenschaft vorbei!“ Nur zweimal sei er im vergangenen Jahr vom Senat angehört worden – offenbar folgenlos. „Gegen die Wissenschaft und die Mehrheitsmeinung machen 16 MP’s Lockerungsübungen“, schimpfte am Sonntag auch Ex-Charité-Direktor Ulrich Frei: „Nach der 3. Welle müssen sich Staatsanwälte dann fragen, ob dies nicht Beihilfe zu Körperverletzung mit Todesfolge war.“ Und am Abend radelte dann noch Mitte-Bürgermeister Stephan von Dassel durchs Dorf und stellte fest: „So viele Menschen stehen oder sitzen in großen Gruppen zusammen, mit Alkohol statt Maske. Genau die Altersgruppen, bei denen die Inzidenzzahlen explodieren. Brauchen wie viele andere Länder auch eine abendliche Ausgangssperre. Breaking the waves!“ | |||
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Wenn es wenigstens mit dem Impfen vorangehen würde – doch ausgerechnet jetzt mehren sich die Fehlermeldungen – einige Beispiele: + Während noch immer vorerkrankte 80-jährige auf eine Impfeinladung warten, obwohl sich die Angehörigen seit Januar um einen Termin bemühen, berichten andere, dass sie bis zu drei Aufforderungen bekommen haben (von denen sie natürlich nur eine in Anspruch nahmen). + Die von der Gesundheitsverwaltung für die Impfzentren eingesetzte Terminsoftware „Doctolib“ (eigentlich entwickelt für Arztpraxen) ist offenbar mit dem Management überfordert – so werden deutlich früher verfügbare Termine nach undurchschaubaren Kriterien mal angezeigt und mal nicht. (Q: algorithmwatch.org) + In einzelnen Fällen stehen Impfberechtigte trotz eines Termins 45 Minuten vor den Impfzentrum Tempelhof an – und werden am Ende wieder weggeschickt, weil sie nicht auf der Liste gefunden werden. + Oberstufenlehrer bekamen zwar am letzten Schultag Impfeinladungen, konnten allerdings keine Termine buchen – es wurden (wie auch oft beim Bürgeramt) online erst gar keine freien angezeigt. Aber es gibt auch gute Rückmeldungen, wie diese von CP-Leser Rolf Schumann: „Ich hatte heute meinen Impftermin in Tempelhof und entgegen meinen Befürchtungen geschah Folgendes: Die bestellte Taxe kam pünktlich, auf dem Impfgelände habe ich nur freundliche Mitarbeiter angetroffen. Ich wurde völlig problemlos geimpft, die Prüfung meiner Unterlagen ging ohne Wartezeit, der Taxischein wurde ausgestellt, im Ruheraum gab es ein Glas kaltes Wasser, bis zum Taxi wurde ich wieder betreut. Also alles perfekt organisiert. Danke.“ Und was pragmatisches Impfmanagement bedeutet, erlebten am Wochenende Testwillige am Krankenhaus Havelhöhe. Die Schlange reicht um die alte, morsche Villa herum, getestet wird aus dem Fenster, aus den Boxen erklingt coole Musik. Da kommt ein Mediziner heraus: „Bei mir haben eben ein paar Leute ihre Termine nicht wahrgenommen“, sagt er, „will hier jemand? Bei uns verfällt nix.“ Nachfrage: „Jetzt?!“ Antwort: „Haben Sie Wichtigeres vor?“ Also rein, Ärmel hoch, Spritze rein. „Glückwunsch“, sagt der Arzt, „bis in zwölf Wochen dann“. | |||
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So, und wir schauen jetzt mal in den Schriftsatz, mit dem die Kanzlei Knauthe für das Staatsballett die Klage von Chloé Lopes Gomes abwehren will (Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 7. April) – die Tänzerin hatte leitenden Mitarbeiterinnen Rassismus vorgeworfen, ihr Vertrag war nicht verlängert worden. Laut Rechtsanwältin Marion Ruhl war Chloé Lopes Gomes, die am Bolshoi ausgebildet wurde und in Berlin seit 2018 u.a. bei „Schwanensee“ zu sehen war, „nicht stark genug für die Anforderungen“ – sie habe eine „schwache klassische Technik“ und „tanzt aus der Reihe“. Rassismus habe keine Rolle gespielt, schreibt die Anwältin. Das behauptete „Weiß-Schminken“ habe es nicht gegeben, und sowieso: „Dahinstehen kann, dass eine weiße Körperbemalung in der Rolle des Schwans auch keine Ungleichbehandlung wäre.“ Dass bei einer Probe zu „La Bayadère“ ausgerechnet Chloé Lopes Gomes keinen weißen Schleier bekommen hatte, ist offenbar die Schuld der Sparpolitik von Sarrazin: Angeblich stand „nicht immer eine hinreichende Zahl von Schleiern zur Verfügung“, also – Pech gehabt („first come, first serve“, heißt es im Schriftsatz). Aber: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass von Tänzer/innen, aber auch von Frau Sch. (die Ballettmeisterin) scherzhafte Bemerkungen in Verbindung mit dem Tragen von Schleiern gemacht wurden.“ Im Zusammenhang mit einer zweifelhaften Fotosession „bedauert“ die Beklagte, also das Staatsballett, wenn die Klägerin sich „an kolonialistische ‚Freakshows‘ erinnert fühlt“ – es war angeblich alles ein Missverständnis, die Fremdsprachenkenntnisse der Ballettmeisterin seien eben leider „sehr mangelhaft“. Fazit der Staatsballett-Anwältin: „Nach den Ermittlungen der Beklagten haben sich die Vorwürfe der Klägerin nicht in der Weise bestätigt, dass die Ballettmeisterin die Klägerin wegen ihrer Hautfarbe benachteiligt hat.“ Rechtsanwalt Christoph Partsch, der Chloé Lopes Gomes vertritt, spricht dagegen von einer „wiederholt rassistisch motivierten und ehrverletzende Behandlung“ von Beginn des Arbeitsverhältnisses an, die nach dem Ende der Intendanz von Sascha Waltz und Johannes Öhmann eskalierte und „in einer Nichtverlängerung kulminierte“. Partsch benennt etliche Zeuginnen für eine entwürdigende Behandlung sowie abfällige Äußerungen – und verlangt, neben der Wiedereinstellung, wegen der „Nonchalance“, mit der die Ballettmeisterin die Tänzerin „jahrelang unbekümmert anfeinden konnte“, eine Entschädigung von mindestens 20.000 Euro. | |||
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Rassismusvorwürfe betreffen auch das Humboldt-Forum – frühere Beschäftigte einer Tochterfirma berichten von Schikanen, verbalen „Mikroaggressionen“, gesonderten Kontrollen und Entlassungen aufgrund ihrer Hautfarbe. Ein Sprecher des Humboldt-Forums kündigte eine interne Untersuchung an, bedauerte, dass sich Menschen diskriminiert gefühlt hätten – und wies darauf hin, dass „zwei Mitabeiter:innen ohne deutsche Staatsangehörigkeit“ gekündigt worden sei, „weil sie andere Personen rassistisch diskriminiert oder ihnen Gewalt angedroht haben“. (Q: Tagesspiegel). | |||
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Die kulturelle Zwischennutzung leerstehender Räume oder Gebäude gehört zum Mythos Berlins – in den vergangenen Jahren waren es u.a. „The Haus“, „Wandelism“ und „The Shelf“, die zur Freude des Senats auch international Aufmerksamkeit erregten. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Sebastian Czaja wollte jetzt wissen, welche Rolle die landeseigenen Wohnungsgesellschaften dabei spielen – hier die Antworten: „keine“ (Degewo), „für künstlerische Zwischennutzung ungeeignet“ (Gesobau), „keine pauschale Aussage möglich“ (Gewobag): „keine Leerstände zur temporären Nutzung zur Verfügung“ (Stadt und Land), „ist denkbar, aber…“ (WBM). Nur die Howoge nannte „eine leerstehende Gewerbefläche“, die (es folgen drei Einschränkungen) „ggf“ bzw. „potenziell“ für kulturelle Zwecke genutzt werden „könnte“. Aus den Antworten „könnten“ UdK-Studierende sicher ein Kunstwerk gestalten (aufhängen müssen sie es in ihrer WG). Aber was sagt der Senat dazu? Wie steht’s eigentlich um die Agentur für Zwischennutzung, die im Koalitionsvertrag vereinbart wurde? Und wie wäre es mal mit einem Kulturkataster? Hier die Antworten: 1) Es ist der Kulturverwaltung „nicht möglich, einen Gesamtüberblick über alle kulturellen Zwischennutzungen zu geben“, und 2) „ist derzeit die systematische Sondierung und Bearbeitung dieser Themen mangels verfügbarer Ressourcen nicht leistbar“. Solche Antworten sind für sich genommen allerdings keine Kunst. Die Kulturverwaltung verweist im Übrigen auf „private Initiativen wie z.B. Transiträume“ – falls Sie also in Ihrem Immobilienportfolio eine Nutzungslücke haben: lassen Sie für ein paar Wochen ruhig mal ein bisschen Farbe rein. | |||
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Und hier noch ein Hinweis in eigener Sache: Pünktlich zu Ostern haben wir ganz viele unserer tollen Checkpoint-Beutel versteckt – aber Sie können Sie ganz leicht finden (und dann natürlich auch behalten): Sie müssen sich dafür nur für ein „Tagesspiegel Plus“-Abo entscheiden, und das gibt’s in dieser Woche auch noch zum Sonderpreis: zwei Monate für nur 5 Euro (danach 14,99, jederzeit kündbar). Dafür bekommen Sie alle Plus-Inhalte und die Checkpoint-Vollversion – und natürlich den Beutel (ohne Haken, mit Henkel). Wir würden uns sehr freuen, Sie hier demnächst als Abonnentin oder Abonnenten begrüßen zu dürfen! Zur Anmeldungen geht’s hier. | |||
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