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Stimme
des Westens

Moritz Döbler

04. März 2020

Liebe Frau Do,

gegen das Ich habe ich beruflich eigentlich Vorbehalte: Journalisten sind am besten Beobachter, nicht Akteure, deswegen halte ich die erste Person in den meisten Artikeln für keine gute Wahl. Ein Newsletter wie dieser, in dem ich mich quasi mit Ihnen unterhalte, ist eine der wenigen Ausnahmen. Und auch der Erfahrungsbericht eines Kollegen, der unter Corona-Verdacht stand und seine Eindrücke auf dem Weg zum gottlob negativen Testergebnis schildert, lebt von der ersten Person. Es zeigt sich: So einfach ist es nicht, sich Gewissheit zu verschaffen, ob man an dem neuartigen Virus oder einer gewöhnlichen Grippe erkrankt ist.

Weiterhin halten wir Sie in unserem Live-Blog ständig über die Entwicklung auf dem Laufenden. Alle wichtigen Nachrichten über die Ausbreitung des Virus finden Sie fortlaufend dort. Uns ist bewusst, dass wir mit dieser hohen Aufmerksamkeit zur allgemeinen Nervosität beitragen könnten, aber das hohe Leserinteresse an sachlicher, substanzieller Berichterstattung bei diesem Thema ist ungebrochen und bestärkt uns darin, noch nicht zur Tagesordnung überzugehen.

Und es zeigt sich auch, dass uns das Virus helfen kann, uns selbst besser zu erkennen. Die verbreiteten Hamsterkäufe haben meinen Kollegen Jörg Isringhaus inspiriert, in einem Essay eine kleine Kulturgeschichte der Vorratshaltung aufzuschreiben. Es ist schließlich gar nicht so lange her, dass zu einem Haushalt eine gut gefüllte Speisekammer gehörte. Und die Jäger und Sammler von einst hätten ohne Vorräte keinen Winter überlebt.

Ums Überleben geht es auch an den Grenzen Griechenlands. Zehntausende Flüchtlinge, die von der Türkei aus in die EU einreisen wollen, sind dort gestrandet und leben unter prekärsten Bedingungen. Solche Bilder, so zynisch das klingen mag, kennen wir schon. Dass aber vermummte Männer Straßensperren gegen Flüchtlinge errichten und Jagd auf ausländische Helfer und auch Journalisten machen, ist eine neue Qualität. Unser Griechenland-Korrespondent Gerd Höhler hat die aktuelle Lage zusammengefasst. Seit Jahren findet die EU weder eine gemeinsame Linie im Umgang mit den Flüchtlingen noch mit der Türkei und ihrem Präsident Recep Tayyip Erdogan. Christliche Werte wie die Nächstenliebe bleiben auf der Strecke, sozialer Unfrieden breitet sich aus.

Da sind auch die Kirchen gefragt. Wenn Sie sich für deren Rolle in der Gesellschaft auch nur ansatzweise interessieren, sollten Sie sich mit dem Namen Georg Bätzing vertraut machen. Denn der Limburger Bischof, der noch gar nicht so lange im Amt ist, folgt Reinhard Marx als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz nach. Und ob dieses Gremium sich eher konservativ oder eher fortschrittlich ausrichtet, hat Folgen für politische Debatten weit jenseits der unmittelbaren Glaubensfragen. "Ich bin froh. Mehr kann ich nicht sagen", gab Marx nach der Wahl seines Nachfolgers zu Protokoll. Wofür Bätzing steht, hat mein Kollege Clemens Boisserée aufgeschrieben.

Froh kann einen dieser Newsletter heute wohl nicht machen: Weder bei der Corona-Epidemie noch bei der anhaltenden Flüchtlingskrise sind wirkliche Lösungen in Sicht. Vielleicht gibt Ihnen Ihr Glaube Halt; Liebe und Hoffnung tun es auf jeden Fall. Kommen Sie gut durch den Tag!

Herzlich

Ihr

Moritz Döbler

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