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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 15.10.2020 | Regnerisch und bedeckt mit böigem Nordwind bei max. 12°C. | ||
+ Neuköllner Amtsarzt: „Bei 70 Prozent der Fälle finden wir keinen Infektionsherd mehr“ + Noch eine rechtsextremistische Chatgruppe bei der Berliner Polizei + Konzertlocation SO36 kämpft ums Überleben + |
von Julius Betschka |
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Guten Morgen, diese Stadt überrascht einen immer neu: Im chronisch mürrischen Berlin wird tatsächlich ein Stinkefinger zurückgenommen. Und zwar nicht irgendeiner, sondern der Regierende Stinkefinger, der des Berliner Senats, jener der eigentlich ein „erhobener Zeigefinger für alle ohne Maske” sein sollte. Sie wissen schon (CP von gestern). Irgendjemandem scheint aber aufgegangen zu sein, dass uns in der kritischen zweiten Phase dieser Pandemie weder erhobene Zeige- noch Stinkefinger helfen werden. Lieber mit gesundem Abstand zusammenrücken. Es wird ohnehin ein stürmischer Herbst. | |||
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Mittwochabend, 22.20 Uhr, Kanzlerinnenamt. Seltener Anblick: Merkel wirkt müde, ihre Worte in der Pressekonferenz eher Pflichtübung als eindringlicher Appell – mehr als sechs Stunden hatte sie mit den 16 Länderchefs verbracht. Die Ergebnisse der Sitzfleischorgie sind eher ernüchternd. Während der Sitzung soll die Kanzlerin gesagt haben: „Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden. Dann sitzen wir in zwei Wochen eben wieder hier.“ Michael Müller sprach von „langen und kontroversen Beratungen“. Tatsächlich schafften Bund- und Länderchefs während des Gipfels keine Einigung zum Beherbergungsverbot (bleibt mindestens bis 8. November, Ende der bayerischen Herbstferien). Neu ist: Schon ab einer Inzidenz von 35 soll die Maskenpflicht ausgeweitet werden – zum Beispiel auf Fußgängerzonen und belebten Plätze. Ansonsten wird das Berliner Modell zur Blaupause für Deutschland: Empfohlen werden eine verpflichtende Sperrstunde und Alkoholverkaufsverbote ab 23 Uhr, wenn wöchentlich 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritten werden. In solchen Hot-Spot-Gebieten sollen nur noch Veranstaltungen mit maximal 100 Personen möglich sein, private Feiern (drinnen/draußen) sollen auf zehn Personen begrenzt sein (Alle Details hier). Zeigen die Maßnahmen in zehn Tagen keine Wirkung werden weitere Kontaktbeschränkungen erlassen. Schönen Dank auch, schalt’s jetzt in Richtung Hauptstadt. „So aber ist eine ordentliche Mehrheitsbevölkerung zur Geisel selbstsüchtiger und partysüchtiger Corona-Ignoranten geworden, wie in Berlin“, kommentierte ein Kollege des Hessischen Rundfunks am späten Abend in den Tagesthemen. Neben dem Virus der Unverantwortlichkeit scheint ein weiteres zu wüten: das des Populismus (Eine interaktive Karte der mittlerweile 50 innerdeutschen Risikogebiete finden Sie hier). | |||
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Zoomen wir nach Berlin, nach Neukölln: Dort liegt die Sieben-Tages-Inzidenz mittlerweile bei 173,1 (Berlin: 76,3), es ist die höchste in Deutschland. Die Corona-Fälle an Schulen haben sich seit der Vorwoche verdreifacht. Warum steigen die Zahlen im Bezirk so rasant? Sind die Nord-Neuköllner Hipster schuld? Groß-Hochzeiten? Und: Was tun? Ich habe dazu exklusiv mit Dr. Nicolai Savaskan, dem Neuköllner Amtsarzt, gesprochen. Seine sechs wichtigsten Aussagen lesen Sie hier: 1) „Wir haben nicht mehr einen Brandherd, sondern multiple Glutnester – nicht Dutzende, sondern Hunderte. Die Analyse der Corona-Fälle zeigt keine regelhafte Verteilung mehr, keine Cluster. Bei 70 Prozent der Fälle finden wir keinen Infektionsherd mehr.“ 2) „Wir müssen davon ausgehen, dass wir seit Wochen ein asymptomatisches Infektionsgeschehen hatten, das im Verborgenen lief. Jetzt müssen wir vermeiden, dass die Infektionen auf Risikogruppen übergehen.“ 3) „Die Regeln des Robert-Koch-Instituts sind den Menschen kaum noch präsent, das erschwert unsere Arbeit sehr, weil es den Beratungsaufwand pro Fall enorm erhöht. Wir fangen gerade wieder bei Null an.“ 4) „Steigen die Zahlen weiter, können wir die Eindämmungsstrategie nicht durchhalten, die wir seit Beginn der Pandemie fahren.“ 5) „Wir müssen zu einer risikobasierten Pandemiebekämpfung kommen. Das würde heißen, dass wir empfehlen, dass Risikogruppen gesondert den öffentlichen Raum betreten und mit Schutzausrüstung ausgestattet werden. Auch Test-Slots müssten in Zukunft risikobasiert vergeben werden.“ 6) „Was wir jetzt schon in Neukölln erleben, sind nur die Vorboten von dem, was wir wahrscheinlich in allen Metropolen des Landes erleben werden.“ Das gesamte Interview lesen Sie jetzt auf Tagesspiegel.de. Die Debatte um das beste Vorgehen gegen das Virus jedenfalls geht wieder los. Und wer jetzt noch mit dem Finger auf andere zeigt, sollte es besser dem Berliner Senat gleichtun: schön wieder wegstecken. | |||
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Berlins Gerichte bleiben stabil: Ein erstes Eilverfahren vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen die Maskenpflicht ihres Kindes in der Schule ging schlecht für die Eltern aus. Das Urteil liegt uns exklusiv vor. Die Richter entschieden, dass das Attest einer Mailänder Ärztin „für Ganzheitliche Medizin und Homöopathie“ sowie „Expertin für Biologische Medizin“ ohne jede Angabe von medizinischen Gründen nicht ausreiche, um von der Maskenpflicht befreit zu werden. Die Familie hatte zu argumentieren versucht, dass die Weitergabe von Diagnosen der „Ärztin“ gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht verstoße. Wie meine Kollegin Susanne Vieth-Entus schreibt, professionalisiert sich auf Online-Plattformen wie „Eltern stehen auf“ (hinsetzen, bitte!) der Widerstand gegen Maskenpflicht und Abstandsregeln in Schulen. Eine Schulleiterin aus Steglitz-Zehlendorf erhielt in den Herbstferien einen Drohbrief: Darin steht, „dass Ihr sadistisches Verhalten, das so scheinbesorgt daherkommt, bis ins Detail dokumentiert wird“. Es werde „eine Zeit danach geben und dann gnade Ihnen Gott“. Kurz zuvor hatte sie auch Plakate von „Eltern stehen auf“ an ihrer Schule entdeckt. Laut Berliner Bildungsverwaltung seien das Einzelfälle. Sie zeigen aber, welches Gedankengut hinter der angeblichen Suche nach „Frieden“, „Freiheit“ oder „Licht“ steckt: Mit Gott hat es jedenfalls nichts zu tun. | |||
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Unseren täglichen Einzelfall gib uns heute: In einer Chat-Gruppe von 26 Studienanfängern (gehobener Dienst) der Berliner Polizei wurden Hakenkreuze verschickt, die Shoah verharmlost und gegen Flüchtlinge gehetzt. Auch tierpornografisches Material soll laut Generalstaatsanwaltschaft verschickt worden sein. Es handelt sich nicht um dieselbe Chat-Gruppe mit rassistischen Inhalten, über die das ARD-Magazin Monitor schon Anfang Oktober berichtet hatte. Es ist noch eine. Die gute Nachricht: Wieder wurde die Gruppe aus der Polizei heraus gemeldet. In der Behörde scheint sich etwas zu lösen, Beamte finden den Mut, um gegen politischen Extremismus in den eigenen Reihen vorzugehen. Wie groß das Problem in deutschen Sicherheitsbehörden ist, weiß aber nach wie vor niemand. Auch der Plan gegen rechtsextreme Tendenzen in der Polizei von Innensenator Andreas Geisel (CP von gestern) ist ja eher work in progress. Auf Checkpoint-Anfrage teilte die Innenverwaltung nun außerdem mit, man finde die Idee einer Extremismus-Studie sinnvoll und beteilige sich deshalb „gemeinsam mit Niedersachsen und anderen SPD-geführten Ländern an dieser Studie“. Genaueres soll auf der A-IMK (der Innenministerkonferenz der SPD-geführten Bundesländer) in zwei Wochen besprochen werden. Es ist Zeit. | |||
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Gute Nachrichten sind ja – liegt’s am Herbst? – zurzeit rar gesät. Überraschung: Berliner sollen künftig schon an der Eingangstür von Restaurants, Cafés oder Bäckereien erkennen können, wie es um die Sauberkeit steht. Ein Transparenzbarometer (grün/gelb/rot) soll über die hygienischen Verhältnisse in den Läden informieren – das geht aus einem Gesetzesentwurf von Verbraucherschutzsenator Dirk Behrendt (Grüne) hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt. „Die Menschen sollen wissen, was sie erwartet. Sie können ja nicht selber in der Küche nachschauen“, sagt Behrendt – was so richtig wie offensichtlich ist. Bislang versteckten die Berliner Gesundheitsämter die Ergebnisse von Hygienekontrollen aber gern mal im Keller des Rathauses, wo garantiert niemand irgendwessen Suppe auslöffelte. Der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) trägt Behrendts Vorstoß übrigens mit, auch weil der Senator verspricht: Während der Pandemie tritt das Gesetz nicht mehr in Kraft. Danach dann aber bitte reinen Wein einschenken. Santé! | |||
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