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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 10.12.2020 | Stark bewölkt, aber trocken bei 1°C. | ||
+ Merkel mahnt: möglichst keine Kontakte vor Weihnachten + RBB kündigt Sparmaßnahmen an + Steht die Berlinale kurz vor der Absage? + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, wird das noch ein Fest? Viele Menschen sind gestorben, mehr als 600 pro Tag reißt das Virus aus dem Leben, mitten aus unserer Mitte – auch weil die Gesellschaft noch immer irgendeinen Mittelweg sucht inmitten der sich stark verstärkenden Corona-Krise kurz vor Weihnachten. Ja, viele von uns finden es nach einem schwierigen Jahr für ihr Leben lebenswert, auch mal andere Menschen zu treffen, weil Freundinnen und Freunde wichtig für die Seele sind, weil Verwandte Halt geben in haltloser Zeit, weil Kinder und Jugendliche ihresgleichen brauchen und auch Betreuung außerhalb der eigenen, zuweilen zu engen Wände. Und doch empfehlen Virologinnen und Virologen fast schon ultimativ, jetzt vor Weihnachten eine ganze Woche gar niemanden zu treffen; sich vor dem Fest ganz fest zu versprechen, sich gemeinsam an härtere und möglichst klare Regeln zu halten. Ist das wirklich zu viel verlangt von jeder und von jedem? Tun wir es wenigstens für unsere Nächsten. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Bundestag fast flehentlich das aus, was viele denken, aber nicht auszusprechen wagen, wenn sie an die eigene Oma, den eigenen Opa denken: „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben.“ Etwas Wichtiges, das alle Menschen zum Leben brauchen: Mitmenschen, die sich um sie kümmern, die für sie da sind – auch dadurch, sie jetzt nicht zu treffen. Gerade vor einem Fest der Nächstenliebe. | |||
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Und was macht Hoffnung, dass sich die Stadt trotzdem bewegt? Menschen, die anderen Menschen zuhören, ihre Ängste aufnehmen, ihre Hoffnungen ernst nehmen. So wie Elke Schilling, die mit ihrem Team vom Gesundbrunnen aus das „Silbernetz“ über Berlin spannt, ein kostenloses Kontakttelefon für einsame alte Menschen. Seit Ausbruch der Pandemie hat sich das Anrufer-Aufkommen verfünffacht, 50.000 Gespräche sind seitdem eingegangen. Und was erzählen uns die Erzählungen der Leute? „Immer mehr alten Menschen geht es sehr schlecht. Die Hochaltrigen leiden unter der Einsamkeit“, erzählt Schilling (Interview von Julia Weiss hier). Viele Ältere haben nach wie vor kein Internet und nach der ersten Hilfswelle wieder weniger Kontakte in ihrer Nachbarschaft. „Gerade zu Weihnachten können kleine Gesten helfen“, sagt Elke Schilling. Denken wir mal nicht nur darüber nach. Das Silbernetz-Telefon ist täglich von 8 bis 22 Uhr besetzt, über die Feiertage sogar rund um die Uhr. Unter 0800/ 470 80 90 kann jede und jeder um Hilfe anrufen. | |||
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Und die jungen Leute machen einfach weiter Party? Denkste! Sie haben auch wahrhaftige Sorgen, die wahrgenommen werden wollen. So wie Erjon aus Neukölln, der die erste Schließung seiner Schule im März so erlebte: „Der Direktor kam rein und sagte, dass wir jetzt keinen Unterricht mehr haben.“ Zuerst findet der 15-Jährige das Ausnahmeleben gut. Doch je mehr Zeit er zu Hause verbringt, desto eher schleicht sich „ein ganz komisches Gefühl“ ein: das Wissen um einen Alarmzustand ohne absehbares Ende – so wie jetzt wieder mit womöglich verlängerten Weihnachtsferien. Meine Kolleginnen Corinna von Bodisco und Inga Dreyer haben fünf junge Menschen auf vier Kontinenten zwölf Monate lang begleitet – in Sao Paulo und Shanghai, Nigeria und Neukölln. Protokolle aus einer Welt, die für junge Leute eigentlich Träume bereithalten sollte, und in der wir erwachen zwischen Lockdown und Leistungsdruck – mitfühlend nacherzählt für Tagesspiegel Plus. | |||
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In der Krise, in der gerade viele Menschen auf sich zurückfallen, lohnt es sich, aus dem Fenster der eigenen Wahrnehmung hinauszugucken. In die Stadt und ihre reichhaltige Geschichte. Sie zeigt, dass Berlin in Ausnahmesituationen immer stark war. Weil die Menschen hier findig genug sind, sich wie die Stadt ständig neu zu erfinden. Und sich so gegenseitig zu finden. „Berliner Taxifahrer müssen jetzt mächtig Straßennamen büffeln“, berichtete der Tagesspiegel vor 30 Jahren im Dezember des Wiedervereinigungsjahres 1990. „Die Ost-Taxifahrer müssen gut 6000 Straßen, Plätze und einschlägige Adressen im ehemaligen West-Berlin, die Westler rund 2000 im ihnen recht unbekannten anderen Teil lernen.“ Allerdings fiel unserem Reporter Ekkehard Schwerk auf, dass „Ost-Berliner Fahrern die ganze Stadt geläufiger ist als manchem Westler. Warum? Wahrscheinlich gibt es im Ostteil verhältnismäßig mehr ‚echte‘ Berliner als im Westen – was auch am Dialekt zu hören ist, nicht nur im Taxi.“ Nich’ zu glooben, aber wahr. | |||
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Wo wir gerade gen Osten schauen, bleiben wir mit dem Blick noch kurz in Sachsen-Anhalt, wo Ministerpräsident Reiner Haseloff seine Kenia-Koalition als Bollwerk gegen die AfD nur mit der Zurückziehung einer Erhöhung der Rundfunkgebühr retten konnte. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk, bislang in Deutschland jährlich mit acht Milliarden Euro ausgestattet, zieht nun vors Bundesverfassungsgericht, um jährlich weitere 400 Millionen Euro für all seine Programme zu bekommen. „Wir haben eine harte Sparperiode vor uns“, klagte RBB-Intendantin Patricia Schlesinger in der hauseigenen „Abendschau“. Der Sender spare schon 30 Millionen Euro im Jahr; nun kämen zusätzlich 15 Millionen Euro hinzu. Dies werde „sicht- und hörbare Folgen im Programm“ haben, warnt Schlesinger. Laut dem eigenen Wirtschaftsplan gibt der RBB in diesem Jahr 88,8 Millionen Euro für den Posten „Intendanz, Justiziariat, Verwaltung und allgemeine Aufwendungen“ aus. Die Intendantin verdiente 2018 laut RBB-Angaben ein durchschnittliches Bruttogehalt von 21.750 Euro im Monat. Bundeskanzlerin Angela Merkel kommt laut Gesetz auf ein etwas höheres Grundgehalt von monatlich 25.582 Euro; hinzu kommt bei ihr noch eine halbe Abgeordnetendiät und ein Ortszuschlag. Dies immerhin gibt es beim RBB nicht. | |||
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Mut, die eigene Welt zu verändern, bringen die Menschen in Belarus seit Monaten auf – derzeit legen sie die Fahnen der Opposition in vereisende Seen, um sie sichtbar zu halten bis zu einem Tauwetter (Fotos hier). Mit ihnen kämpft in Berlin Ina Rumiantseva vom Verein „Razam“ gegen die offensichtlich gefälschten Präsidentenwahlen im Sommer in Minsk – mit wöchentlichen Friedensandachten in der traditionsreichen Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Mit Blick auf die verqueren Querdenker-Demos hierzulande sagt Ina Rumiantseva im Checkpoint-Interview: „Wenn hier in Deutschland Worte gebraucht werden wie Diktatur und Unterdrückung, dann wird uns einfach nur übel, weil wir sehen, was das in der Realität bedeutet.“ (Interview von Thomas Lippold hier) Bei den Fürbitten für die Inhaftierten spüren Ina Rumiantseva und ihr Mann Andrej, der aus Minsk stammt, in Berlins Kirche der Friedlichen Revolution „eine Stimmung wie zum Ende der DDR“. Hochdramatisch und hoffnungsvoll. | |||
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Ein heißes Eisen, aber ohne Ketten, wird in Reinickendorf geschmiedet: ein Zweckbündnis der örtlichen CDU mit der AfD – aber zu welchem Zweck? Im Bezirksparlament wollen die Christdemokraten einen Antrag mit Hilfe von Rechtsaußen durchboxen: Sie lehnen – im Gegensatz zu ihren Bündnispartnern SPD und Grüne – einen Offenen Vollzug der Sicherungsverwahrung in Tegel ab. Der CDU-Bezirksverordnete Felix Schönebeck soll laut eines Teilnehmers während der digitalen Sitzung am Mittwochabend erklärt haben, dass die CDU genau beobachte, wie die anderen Parteien abstimmen würden und die Anwohner darauf aufmerksam machen. Auch die AfD erklärte vor dem nun startenden schriftlichen Votum, für den Antrag zu stimmen. Was die CDU allerdings verdrängt hat: Grundlage eines Offenen Vollzugs in Tegel ist das Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung, 2013 erarbeitet und beschlossen unter Federführung der CDU-Senatoren Frank Henkel und Thomas Heilmann. Der FDP-Verordnete David Jahn sagte dazu dem Checkpoint: „Den Antrag der CDU halte ich für Populismus, weil sie keinen konkreten Alternativvorschlag unterbreitet.“ Schon heute befänden sich die betroffenen Personen im offenen Vollzug, das derzeit ungenutzte Gebäude direkt neben der JVA Tegel biete sich gut an. Gestern Abend bot sich die CDU dann noch an, einem AfD-Antrag zuzustimmen, in dem es um die Handynutzung in Fahrzeugen der Müllabfuhr geht. Zum Wegwerfen, aber nicht lustig. | |||
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Hinterm Lockdown geht’s weiter. Und immer wieder geht der Vorhang auf, auch irgendwann wieder im glänzenden Kino „International“ an der Karl-Marx-Allee. Hier verfolgte einst Erich Honecker in einer extra breiten Sitzreihe der SED-Führung genehme Filmpremieren, am geschichtsträchtigen Abend des Mauerfalls erblickte der selbst schon geschichtsträchtige Streifen „Coming Out“ als erster Schwulenfilm der DDR das Filmlicht der Welt, später feierte hier die Berlinale glänzende Abende am silbern glitzernden Vorhang. Nun wird das International national gefördert – nach Checkpoint-Informationen soll es mit 4,3 Millionen Euro aus Bundesmitteln saniert werden. „Gerade in der aktuell schwierigen Situation freut es mich, dass wir einen so wichtigen und geschichtsträchtigen Spielort nicht vergessen“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordnete Cansel Kizlitepe, die an den Haushaltsverhandlungen beteiligt ist, dem Checkpoint. Vom aufgestockten Zukunftsprogramm Kino „werden auch die vielen Programmkinos in unserer Stadt profitieren“. Ein Lichtkegel vorm Vorhang. | |||
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Aufscheinende Hoffnung hat Berlins Kinolandschaft bitter nötig, zumal schon heute oder morgen eine folgenreiche Entscheidung anstehen könnte: die mögliche Absage der Berlinale. „Wir werden zeitnah eine Entscheidung bekannt geben“, sagt Berlinale-Sprecherin Frauke Greiner gestern auf Checkpoint-Nachfrage. Ein reines Online-Event hatten die Programmchefs Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian eigentlich ausgeschlossen und wollten lange noch ein „physisches Festival“ ermöglichen – zunächst im Februar, nun womöglich im April oder vielleicht auch erst im Sommer open air. Wie sich dies aber ohne hohe finanzielle Risiken planen lässt, liegt im Dunkeln der Berliner Kinosäle. „Derzeit prüfen wir noch mehrere Optionen für das Festival“, sagt Greiner. So ganz will es auch die Berlinale noch nicht wahrhaben: das „Sad End“ zu Beginn des nächsten Jahres. | |||
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