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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 17.03.2020 | Sonne und Wolken wechseln sich ab bei max. 15°C. | ||
+ Müller: „Die Stadt wird anders sein – aber es bleibt unser Berlin“ + Vorwahlen im US-Bundesstaat Ohio abgesagt + Hallesches Ufer soll grüne Flaniermeile werden + |
von Felix Hackenbruch |
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Guten Morgen, stellen Sie sich vor, es ist Pandemie und keinen juckt’s. So wirkt es zumindest bei einer Fahrradtour gestern Nachmittag quer durch Berlin: Schöneberger Spielplätze, auf denen vor lauter Kindern die Sandkiste nicht mehr zu sehen war, Schüler, die in Gruppen durch Kreuzberg zogen und ihre unverhofften Ferien feierten, lange Schlangen vor Eisläden in Prenzlauer Berg, gut gefüllte Cafés in Mitte, selbst in Brillengeschäften und Nagelstudios mächtig Betrieb. „Wir haben es in der Hand, ob Solidarität nach innen und nach außen die Oberhand gewinnt – oder der Egoismus des Jeder-für-sich“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft und appellierte weiter: „Ihre Selbstbeschränkung heute wird morgen Leben retten“. Viele Trümpfe hat die Politik in Sachen Coronavirus so langsam nicht mehr in der Hand. Nach Großveranstaltungen, Schulen, Kitas, Fitnessstudios, Bars und Clubs in Berlin, sollen nun deutschlandweit Geschäfte ganztägig geschlossen, Gottesdienste verboten und Aktivitäten in Vereinen, Sportanlagen sowie Musik- und Volkshochschulen eingestellt werden. Offen bleiben sollen: Supermärkte, Apotheken, Drogerien, Banken, Poststellen und Waschsalons. Politik kommt da an ihre Grenzen, wo sich die Gesellschaft versperrt. So bleibt ihr vielleicht bald nur noch ein Mittel, zudem Spanien, Italien und nun auch Frankreich gegriffen haben: Ausgangsperren. Frei nach Goethe: Und bist du nicht willig, so brauch ich Staatsgewalt. | |||
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Wohin die Verantwortungslosigkeit jedes Einzelnen für die Gemeinschaft führen kann, zeigt sich immer deutlicher in Italien. Über 25.000 Infizierte und rund 2000 Tote gibt es dort bereits. Die Krematorien arbeiten rund um die Uhr. Das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps, Schutzmaterial fehlt, zehn Prozent aller Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern haben sich selbst infiziert. „Wir halten nicht mehr lange durch“, sagt ein Arzt. | |||
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In Berlin liegt die Zahl der bestätigten Infizierten aktuell bei 332. Ärzte betreuen 20 Erkrankte, drei davon intensivmedizinisch. Tausende sind in Quarantäne, darunter (als Vorsichtsmaßnahme) auch Xhains Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne). Um weitere soziale und damit virale Kontakte zu verhindern, will sich der Senat nach Tagesspiegel-Informationen heute dazu entscheiden, Shopping-Malls zu schließen, Restaurants nur noch bis 18 Uhr zu öffnen und Kundgebungen mit mehr als 50 Personen unter freiem Himmel zu verbieten. Unterdessen reisen in Schönefeld und Tegel noch immer Menschen aus Corona-Krisenländern ein. Ohne Fieber-Screening, ohne Gesundheits-Check. Und keinen juckt’s. „Die Stadt wird anders sein – aber es bleibt unser Berlin“, sagte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Montagabend in einer Fernsehansprache im RBB. Schon jetzt wirkt alles anders: Keine Schule, keine Kita, keine Schlange bei Mustafas. Innensenator Andreas Geisel (SPD) will derweil – anders als in Bayern – noch nicht den Katastrophenfall ausrufen. „In Berlin funktionieren die Strukturen zur Bewältigung der Krise.“ | |||
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Wie gut Berlin die Krise meistert, wird auch eine finanzielle Frage sein. Mit einer dreistelligen Millionensumme im Monat rechnen Berlins Finanzpolitiker und wollen die gesetzliche Schuldenbremse aussetzen. Für normale Menschen geht das leider nicht. Egal, ob Künstler, Einzelhändler oder Gastronom – das Coronavirus wird für sie auch ohne Infektion existenzbedrohend. Was hilft: Solidarität. Eine Initiative bittet zum Beispiel um den Verzicht von Rückerstattungen bei abgesagten Veranstaltungen. Stattdessen gilt das Motto: „Meine Karte für meine Bühne“. | |||
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Solidarität verdienen auch die heimlichen Helden des Alltags (weiter unten stellen wir stellvertretend eine Heldin vor), wie Supermarkt-Mitarbeiterin Farina Kerekes. Sie berichtet, über den Wahnsinn, der sich seit Tagen zwischen den Regalen abspielt: „Eigentlich liebe ich meinen Beruf. Obwohl es mich schon immer traurig gemacht hat, dass viele weder „Hallo“ noch „Danke“ oder „Bitte“ sagen. Aber seit Kurzem hat es eine neue Dimension: Wenn ich den Kunden erkläre, dass sie bestimmte Waren nur in handelsüblichen Mengen kaufen dürfen, fangen sie an, mich zu beschimpfen.“ Das ganze Protokoll lesen Sie hier. | |||
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Stichwort Supermärkte: Checkpoint-Leserin Britta von Helden bat uns, eine Idee aus Australien vorzustellen. Dort öffnen mehrere Supermärkte ihre Türen für Senioren eine Stunde früher, damit diese möglichst virenfrei einkaufen können. An Lidl, Aldi, Rewe und Co: Das wäre super, Märkte! | |||
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Weil man es gar nicht oft genug empfehlen kann: Unser Service-Stück zur aktuelle Lage in Berlin, mit allen Adressen, allen Telefonnummern und allen Entwicklungen gibt es + auf Deutsch + auf Englisch + auf Arabisch + und auf Türkisch. Außerdem informieren wir Sie weiterhin auf unserer Website über alle Entwicklungen in zwei Liveblogs: + Alle wichtigen Meldungen aus Berlin und Brandenburg + Alle wichtigen Meldungen aus Deutschland und der Welt. | |||
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Eine Meldung aus der Nacht: Wegen der Ausbreitung des Coronavirus sind die für heute geplanten Präsidentschaftsvorwahlen im US-Bundesstaat Ohio kurzfristig abgesagt worden. Das teilte Ohios Gouverneur Mike DeWine am Montagabend (Ortszeit) mit. Wahlen inmitten der Corona-Krise abzuhalten, würde sowohl Wähler als auch Mitarbeiter in den Wahllokalen einem „inakzeptablen Gesundheitsrisiko aussetzen“, schrieb DeWine auf Twitter. Einen Nachholtermin nannte er noch nicht. Alle Infos über die Richtungswahlen in den USA erhalten Sie jeden Donnerstag im Tagesspiegel-Newsletter „twenty/twenty“. | |||
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Die letzte Corona-Meldung macht Mut: Im Standesamt Tempelhof-Schöneberg führt das Virus zum Bürokratieabbau. Zwei Paare entschieden zuletzt beim Anmeldetermin für die Eheschließung direkt vor Ort zu heiraten. Was sonst Monate benötigt, dauerte nur Minuten. „Wir können nicht garantieren, dass die Termine in den kommenden Wochen stattfinden“, sagt der Leiter des Standesamtes, Gordon Holland, dem Checkpoint. Bislang gelten alle Termine, allerdings mit Einschränkungen. Paare dürfen nur noch Trauzeugen und einen Fotografen zur Trauung mitbringen. „Auch zum Schutz meiner Standesbeamten“, sagt Holland. Dass nun Paare direkt heiraten können, sei kein zusätzlicher Service, sondern Flexibilität. „Wir wollen, dass hier alle mit einem Lächeln rausgehen.“ Klarer Fall von Amt, aber glücklich. | |||
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