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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 25.03.2021 | Sonnige 14°C, wenige Wolken mit leichter Brise. | ||
+ Konfuse Corona-Politik + Berlin lässt 100.000 Dosen Astrazeneca liegen + Videokonferenz mit allen 1000 Schulleitungen + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, wir beginnen den Tag heute nicht wie alle anderen Medien mit der uneidlichen Falschaussage der Bundeskanzlerin („Das ist einzig und allein mein Fehler“), sondern mit dem derzeitigen MPK-Mann an ihrer Seite, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller – seine Videobotschaft ans Berliner Volk zur gestörten „Osterruhe“, veröffentlicht gestern Abend um 18:11 Uhr, beginnt mit einer Vermutung: „Liebe Berlinerinnen und Berliner, wahrscheinlich haben Sie in den letzten Tagen interessiert und vielleicht auch mit Kopfschütteln die einen oder anderen Beschlüsse der Politik wahrgenommen und sich dazu eine Meinung gebildet.“ Nun, das ist stark untertrieben – zu den häufigsten Nebenwirkungen der Corona-Politik gehört inzwischen definitiv das Schleudertrauma. Noch am Dienstagmittag, nach einer offenbar transzendenten Nachtsitzung mit Merkel, hatte Müller erklärt: „Es ist richtig, jetzt noch einmal Zeit zu gewinnen und zu den drei Ruhetagen noch zwei hinzuzufügen, sodass wir über einen längeren Zeitraum Infektionsketten durchbrechen können.“ Da begannen die Leute damit, ihre Dosenvorräte zu überprüfen und sich zu wundern: Wäre es nicht sinnvoller, die Lebensmittelgeschäfte 24/7 zu öffnen, um die Kundschaft besser zu verteilen, anstatt kurz vor und kurz nach Ostern Superspreadermärkte aus ihnen zu machen? Und so sprach der Regierende Bürgermeister kaum 30 Stunden später als Merkel-Echo: „Es ist ein Fehler gewesen, nicht sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen, was diese Entscheidung an Einschnitten für Sie, für die Berlinerinnen und Berliner, und alle anderen Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, bedeuten kann.“ Aus dem „Paradigmenwechsel“ (Müller am Dienstag) wurde so „fast ein Paradigmenwechsel“ (Merkel am Mittwoch). Aber das allein („ein Fehler“) konnte so natürlich nicht stehen bleiben, und so fuhr Michael Müller in seiner kurzen Ansprache gestern Abend fort: „Insofern ist es richtig, auch so eine Entscheidung, wenn sie auf Widerstand stößt, zu korrigieren.“ Ach, der Widerstand war also schuld, einer muss es ja sein – Merkel hatte die Verantwortung ja auch nicht persönlich übernommen, sondern gesagt: „Qua Amt ist das so.“ Doch wirklich erschütternd war nicht mal die Entscheidung an sich, sondern die Begründung ihrer Revision: Ein Jahr nach dem Beginn der Pandemie, mit der Erfahrung dutzender Krisensitzungen und zahlloser Verordnungen, die binnen Stunden in Kraft traten, und vor dem Hintergrund von Milliardenhilfen, gab es diesmal, mit der Perspektive einer vollen Woche vor dem Tag X, „zu viele Fragen“, so Merkel – u.a. die nach „der Lohnfortzahlung durch die ausgefallenen Arbeitsstunden“. Darauf sollte so ein Virus schon Rücksicht nehmen. Oder, in der Erkenntnis des Regierenden Bürgermeisters: „Dass wir offensichtlich nicht alle Folgen bedacht haben.“ Nicht alle Folgen… Das allerdings hat in so einer Situation auch niemand erwartet. Viel schlimmer als eine falsche Entscheidung ist die Erosion des Vertrauens. Bisher herrschte der Eindruck vor, die Politik wolle ihr Handeln nur nicht richtig erklären – weil alles zu schnell geht, zu kompliziert ist oder die Zeit dafür fehlt. Appelle wie der des Regierenden Bürgermeisters, auch gestern wieder („Ich bitte Sie auch weiterhin um Ihre Unterstützung“), mussten reichen. Doch jetzt wird klar: Die Politik kann ihr Handeln gar nicht erklären – weil sie es schon am nächsten Tag selbst nicht versteht. Und sie kann es nicht einmal nachvollziehen: Nach Auskunft der Senatskanzlei, die Berlin als derzeitiges Vorsitzland vertritt, werden keine Verlaufsprotokolle der Konferenzen verfasst. (Q: „Frage den Staat“). Quintessenz: Die Krise, die wir erleben, ist nicht mehr nur eine biologische, sondern auch eine administrative – die Institutionen geraten an ihre Grenzen. | |||
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Eine Folge, die auch nicht bedacht wurde: Wegen der Ereignisse vom Vormittag musste der Senat seine angekündigte Selbstgefälligkeits-PK kurzfristig absagen (geplantes Motto: „Bilanz und Ausblick“). Stattdessen versuchte der Regierende Bürgermeister in seiner Videorede, der Lage noch etwas Positives abzugewinnen: „Und gerade wir in Berlin sehen, dass auch das Einladungsmanagement gut funktioniert.“ Ach ja? Was wir tatsächlich sehen: Viele Mails jeden Tag, in denen mal glückliche Impfgeschichten erzählt werden, mal kuriose, oft aber auch verzweifelte. Niemand kann z.B. erklären, warum in einem Haushalt die 94-jährige Mutter noch immer keine Einladung bekommen hat und auch nicht der Sohn nach zweimaliger Lungenentzündung, dafür aber die topfitte, 45 Jahre alte Schwiegertochter. Und was wir auch sehen: Beim Verbrauch der Astrazeneca-Lieferungen liegt Berlin mit 44% bundesweit auf dem drittletzten Platz – 100.000 Dosen stehen herum, es gibt freie Termine ohne Ende, aber die werden nicht genutzt und auch nicht anderweitig vergeben. (Q: „Zeit Online“). Dabei hatte der Regierende Bürgermeister, der sein Einladungsmanagement soeben lobte, vor mehr als einer Woche versprochen: „Ich habe die Gesundheitssenatorin beauftragt, ein gutes und unkompliziertes Angebot jenseits der Priorisierung zu erarbeiten.“ | |||
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Manche meinen ja, da helfe nur noch der Glaube und ein Gebet – Markus Söder z.B.: „Gott hat uns bislang gut beschützt“, teilte der Ministerpräsident gestern mit, und: „Ich bitte ihn auch weiterhin um den Schutz für unser Land.“ Söder wird allerdings womöglich nicht mehr erhört: „Katholische Kirche erteilt der Politik eine Absage“, lautete eine Schlagzeile von gestern – es ging um die Bitte der MPK-Merkel-Runde, auf Präsenzgottesdienste zu verzichten. Und dann ging gestern Abend im Abgeordnetenhaus auch noch ein „Dringlicher Antrag der AfD“ für die heute Sitzung ein (DS 18/3535), der Titel: „Nicht Angela Merkel, Jesus Christus besiegt den Tod. Erlösung und Heil findet der Mensch durch Gottes Gnaden, nicht durch Merkels Gnaden!“ Da kann man dann schon mal den Glauben verlieren. Die aktuellen Zahlen: Deutschlandweit wurden gestern 20.703 neue Fälle gemeldet. Die Inzidenz in Berlin liegt deutlich steigend über der „Notbremsen“-Grenze von 100. | |||
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Wir schauen schnell in der Schule vorbei – und sehen draußen davor wie immer Dutzende Jugendliche, die sich zur Begrüßung umarmen und küssen, Zigaretten, Becher und Flaschen kreisen lassen. Dann holen sie ihre Masken heraus, gehen rein und setzen sich an die zentimetergenau ausgerichteten Tische. Die Infektionszahlen steigen derzeit übrigens in den jüngeren Altersgruppen am stärksten. | |||
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Und da wir schon mal hier sind: Die Bildungsverwaltung hat gestern sehr kurzfristig alle 1000 SchulleiterInnen „vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen des Pandemiegeschehens und der resultierenden Herausforderungen für den Schulalltag“ zu einer Videokonferenz eingeladen – heute um 12:30 Uhr geht’s los, Staatssekretärin Beate Stoffers macht den Auftakt. Im Einladungsschreiben heißt es: „Die Videokonferenz soll (…) als Gelegenheit dienen, offene Fragen im gemeinsamen Gespräch mit Mitgliedern des Hygienebeirats, Herrn Prof. Mockenhaupt und Herrn Dr. Larscheid, sowie Vertreter_innen der Senatsverwaltung zu besprechen.“ Themen u.a.: „Berliner Schule als Infektionsort?“ und „Wie wirken sich die Einschränkungen des schulischen Alltags auf die psychische Verfasstheit der Berliner Schülerinnen und Schüler aus?“ Falls Sie zuschauen wollen – wir verlosen 10 Zugangsdaten unter checkpoint@tagesspiegel.de. | |||
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Es sind harte Zeiten für Georg Friedrich Prinz von Preußen: Sein Ur-Opa Wilhelm II ließ die „Presse“ noch schlicht maßregeln, wenn sie Äußerungen nicht wortgetreu druckte – Ihro Gnaden verbat sich gefälligst, vom Pöbel kritisiert zu werden. Georgie-Boy aber muss heute mühsam vor Gericht ziehen: 80 Verfahren strengte der kleine Prinz seit 2019 gegen Journalisten und Wissenschaftler an. Stets geht es dabei um die Latifundien, welche die Hohenzollern mit freundlicher Genehmigung der Nazis bewirtschafteten – und die sie heute zurückerobern wollen. Der Rechtsanwalt Marcellus Puhlemann beschreibt hier exemplarisch, wie „SKH“ (Seine Königliche Hoheit) gegen seinen Mandanten, den Historiker Stephan Malinowski, zu Felde zieht. Es kommentiert der Kaiser persönlich: „Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht.“ | |||
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