Corona-Politik setzt auf Hoffnung statt Wirklichkeit
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Rheinische Post

Morgenausgabe

Stimme
des Westens

Dorothee Krings

16. März 2022

Liebe Frau Do,

in Zeiten bedrohlicher Umwälzungen oder nationaler Krisen wächst das Bedürfnis nach Helden, sagen Soziologen. Das kann man kritisch sehen, weil dahinter auch ein Bedürfnis nach Eindeutigkeit steckt, die es in Wahrheit oft nicht gibt. Doch verhalten sich manche Menschen nun mal heldenhaft. Sie wachsen in einem historischen Moment über sich hinaus, riskieren alles, weil sie sich plötzlich in der Verantwortung sehen – und handeln. So wie Marina Owsjannikowa, jene Mitarbeiterin des russischen Staatsfernsehens, die es gewagt hat, zur besten Sendezeit ein Plakat gegen den Krieg hochzuhalten. Und ihre Landsleute vor den Lügen des Propagandaapparats zu warnen. Dass diese Frau als Heldin gefeiert werden könnte – und zwar auch in Russland, scheint die russische Führung vermeiden zu wollen. Jedenfalls wäre es eine Erklärung dafür, dass gegen die Journalistin eine Geldstrafe verhängt und bisher nicht das neue Zensurgesetz mit seinen drakonischen Strafen an ihr vollstreckt wurde. Man scheint den Fall herunterspielen zu wollen. Zugleich wird spekuliert, ob sie tatsächlich allein gehandelt hat oder ein erstes Signal gesendet hat für eine breitere Abwendung von Präsident Putin. Was auch immer die Hintergründe sind: Marina Owsjannikowa hat viel riskiert. Für die Meinungsfreiheit und gegen den Krieg.

Heute wichtig:

Verhandlungen: Die Verhandlungen zwischen Vertretern Russlands und der Ukraine über ein Ende des Krieges wurden auch gestern wieder vertagt, sie sollen heute fortgesetzt werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich jedoch vorsichtig optimistisch geäußert: Die Verhandlungspositionen hörten sich realistischer an, sagte er. Ein Ende der Kämpfe ist aber weiter nicht in Sicht. In unserem Liveblog informieren wir Sie rund um die Uhr.

Autobahn-Blockade: Aus Protest gegen die Rekordpreise für Benzin und Diesel wollen Lastwagen-Fahrer offenbar heute Autobahnen in ganz NRW blockieren und damit ein großes Verkehrschaos auslösen. Hier gibt es die Details. Auf RP ONLINE halten wir Sie über die Lage auf dem Laufenden.

Maskenpflicht: Angesichts von Rekord-Inzidenzen wollen viele Bundesländer die Corona-Regeln nun doch bis zum 2. April verlängern. Auch Nordrhein-Westfalen will an der Maskenpflicht festhalten. Eigentlich sollten am 20. März fast alle Beschränkungen fallen. Antje Höning, Kerstin Münstermann und Sina Zehrfeld berichten.

Meinung am Morgen:

Corona: Weil die Verantwortung für neue Corona-Verordnungen bald auf die Länder übergeht, befürchtet Kerstin Münstermann einen Regelflickenteppich – gerade, wenn zu Ostern viele Menschen reisen. Die Politik setze auf Hoffnung statt Wirklichkeit, vor allem mit Blick auf den Herbst, schreibt sie in ihrem Kommentar.

Ukraine: Drei Regierungschefs – aus Polen, Tschechien und Slowenien – haben sich gestern in die Ukraine gewagt, um sich an der Front mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu treffen. Unser Korrespondent Ulrich Krökel sieht darin ein weiteres Zeichen dafür, dass die Länder aus dem Osten der EU ein genaueres Gespür dafür haben, was im Ukraine-Krieg gerade auf dem Spiel steht. Der „weiche Westen“ reagiere zu zögerlich auf den Aggressor Putin – und zwar seit Jahren.

Atomkrieg: Wie wahrscheinlich ist es, dass Putin sogar den Einsatz von Atomwaffen anordnen wird, um den Krieg in der Ukraine für sich zu entscheiden? In seiner Analyse wägt Helmut Michelis die taktischen Argumente ab und erklärt, welche Waffen Putin zur Verfügung stehen – und was sie anrichten würden. Eine beunruhigende Lektüre.

So gesehen:

Das Fahrrad ist das Glücksvehikel unserer Zeit. Schon während der Pandemie schwangen sich immer mehr Leute begeistert aufs Rad, um sich nach Homeoffice oder gar Quarantäne an der frischen Luft freizustrampeln. Und weil für die Fahrt ins entferntere Blaue das Rad auch schon mal aufs Auto geschnallt werden soll, hat sich mein Kollege Jörg Isringhaus mit Vor- und Nachteilen diverser Trägersysteme befasst. Welches Verkehrsmittel man wählt, ist natürlich auch eine politische Frage. Gerade sorgen steigende Benzinpreise zum Umsatteln. Manche Menschen entscheiden sich auch fürs Auto-Fasten – als winziges Zeichen des Widerstands gegen den Öllieferanten Putin. Kein Grund, müde zu lächeln. Kriegsentscheidend sind solche Aktionen nicht, aber eines der vielen Mittel, Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Und das macht einen Unterschied. Kommen Sie gut in den Tag!

Herzlich,

Ihre

Dorothee Krings

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