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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 04.11.2022 | Regenschauer und Wolken bei 12 °C. | ||
+ Ganz ohne neue Gegenmaßnahmen: Corona-Herbstwelle bricht auch in Berlin + Senat hält Prüfung der Wahlwiederholung durch Karlsruher Richter für nötig + Berlins Landesbibliothek soll wohl wieder nach Tempelhof + |
von Julius Betschka |
Guten Morgen, eine 44 Jahre alte Radfahrerin ist tot. Sie wurde am Montag in Wilmersdorf von einem Betonmischer überrollt. Die Ursachen des Unfalls sind nicht aufgeklärt, die Schuldfrage erst recht nicht. Für viele stand Minuten nach der Meldung über den Tod der Frau fest: Die Klima-Demonstranten der „Letzen Generation“ sind mindestens mitschuldig. Waren die Retter wegen der Blockaden der Klima-Aktivisten zu spät zum Einsatzort gekommen? Hätte die Frau ohne den Protest gerettet werden können? Was war wirklich? Mein Kollege Henning Onken und ich haben die Fahrt des Einsatzwagens rekonstruiert (Abo). Fakt ist: Die Aktivisten haben nicht bewusst einen Rettungswagen blockiert. Sie saßen seit über einer Stunde auf einem Autobahnschild, als ein Wagen der Feuerwehr über die Stadtautobahn fuhr und wohl durch den Stau einige Minuten ausgebremst wurde. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Klima-Aktivisten nehmen mit der Blockade kritischer Infrastruktur – nichts anderes sind Straßen – in Kauf, dass Menschen zu Schaden kommen. Die Haltung der Demonstranten: Es gibt ein größeres Gut als Leid oder Unmut in der Gegenwart. Wer die Zukunft verbessert, rettet die Menschheit. Denkt man diese Haltung zu Ende, landet man bei einer Gesellschaftsform, die mit einer Demokratie nicht mehr viel zu tun hätte: Im Angesicht einer imaginierten unausweichlichen Vernichtung aller erlischt der Wert des Einzelnen. Diese Ideologie kann für die Demokratie so brandgefährlich werden wie die Klima-Katastrophe selbst. Sie lässt, in ihrer Absolutheit, keinen Raum mehr für Gespräche über das Wie. Trotzdem: Bislang gibt es in diesem Fall keinen Beleg für eine Mitschuld der Klima-Aktivisten am Tod der Frau. Sie saßen auf dem Schild einer Autobahnbrücke ganz woanders in der Stadt. Müsste nicht jeder Rettungswege blockierende Falschparker sonst einen Aufschrei nach sich ziehen? Die wie vielte Ableitung eines Unglücks wäre das? Es wäre doch insgesamt schön, würde sich nicht nur die Bundesinnenministerin wegen der Aktivisten berufen fühlen, zu einem Verkehrsunfall zu sprechen. Auch der Bundesverkehrsminister könnte den Anlass nutzen, gemeinsam mit den Landesverkehrsministern für mehr Verkehrssicherheit zu werben: sichere Radwege, Abbiegeassistenten oder Tempo 30 für Lkw in der Innenstadt. Falschparker müssten, wendet man den gleichen Maßstab an, rigoros bestraft werden. Die Aktionen der Letzten Generation mögen kontraproduktiv und falsch sein. Aber das Abarbeiten an Aktivisten, deren Methoden man ablehnt, verhindert keinen Unfall. Ihnen die Schuld für einen Tod einer Frau in die Schuhe zu schieben, die mutmaßlich von dem Verkehr überrollt wurde, gegen den die Aktivisten selbst protestieren, das ist unlauter. Die 44-Jährige war die achte tote Radfahrerin dies Jahr in Berlin. | |||
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Themenwechsel, Zeitreise. Wir schreiben den 28. April 2014. Ein Mann namens Klaus Wowereit kämpft eisern (aber ohne Union) für eine Zentrale Landesbibliothek (ZLB) auf dem Tempelhofer Feld. „Die Standortfrage ist für den Senat entschieden“, sagte der damals Regierende. Nicht einmal zwei Monate später macht der Tempelhof-Volksentscheid diese (und viele andere) Pläne zunichte. 2018 beschloss dann sein Nachfolger Michael Müller: Der Kreuzberger Blücherplatz soll das Bibliotheken-Prunkstück beherbergen. Vor einiger Zeit sollte es 2026, dann erst 2027 mit dem Bau losgehen, zuletzt ging aber kaum noch etwas voran im künftigen Berliner Bücherparadies. Der angebliche Grund: Bausenator Andreas Geisel will vorwärts in die Vergangenheit! In Koalition und Senat wird über neue Planungen für die ZLB in den Hangars des Flughafens debattiert. Kurz nachgeschlagen … wer war noch einmal damals Bausenator unter Klaus Wowereit? Vielleicht hat Andreas Geisel sich ja bei seinem Vorgänger schlau gemacht? Ach, das war ja … Moment … Hab’s gleich … da! … Andreas Geisel. Na, so eine Überraschung. Alle Details zum Ringen um die ZLB hat mein Kollege Robert Kiesel hier (Abo) aufgeschrieben. Hauptsache, uns bleibt noch ein Volksentscheid erspart. | |||
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Gute Nachrichten für die Schleimhäute: Auch in Berlin bricht die Corona-Herbstwelle. Die Inzidenz ist laut Gesundheitsverwaltung binnen einer Woche um 25 Prozent gesunken. Die Rate der positiven PCR-Tests wie im Bundestrend genauso. Und: Auch die Hospitalisierungen von Corona-Patienten sind deutlich rückläufig. Noch vor 14 Tagen hatte Berlins Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) auf Berechnungen ihres Hauses verwiesen, wonach sich die Zahl der Corona-Patienten innerhalb von zwei Wochen verdoppeln würde. Passiert ist das Gegenteil. Dabei wollte Gote vor allem wegen dieser Prognose in Berlin als einzigem Bundesland eine Maskenpflicht in Innenräumen einführen. SPD und Linke weigerten sich. Gote fügte sich widerwillig. Die Grünen dürften angesichts der sinkenden Zahlen inzwischen ganz froh über den verloren gegangenen Maskenkampf sein. Schließlich wollen Freiheitseinschränkungen nach zwei Jahren Pandemie gut begründet sein. Das Virus lehrt auch diesmal, wie verdammt schwer das ist. Hatschi, Gesundheit! | |||
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Nun ja, Berlin will eben Team Vorsicht sein: Als einziges Bundesland soll hier noch an der FFP2-Maskenpflicht in Gemeinschaftsräumen von Pflegeheimen festgehalten werden. Das hat eine Umfrage meines Kollegen Thomas Trappe für unseren Background-Newsletter Gesundheit ergeben. „Derzeit gibt es keine Planungen oder Initiativen des Landes Berlin, an diesen Vorgaben etwas zu ändern“, schreibt die Verwaltung von Senatorin Gote. In den meisten Bundesländern, unter anderem im Nachbarland Brandenburg, dürfen die Heime inzwischen wieder auf die FFP2-Masken verzichten – oder haben das geplant. Stadt der Freiheit? Stadt der Pflicht. | |||
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Wahlwiederholung I. Die Senatsinnenverwaltung möchte das Landesverfassungsgericht von einer Überprüfung einer möglichen Entscheidung zur Wahlwiederholung durch das Bundesverfassungsgericht überzeugen. Das geht aus einer 52-seitigen Stellungnahme der Innenverwaltung an das Gericht hervor, die dem Checkpoint vorliegt. Grund sind „diametral abweichende Annahmen“ zu bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und anderer Landesverfassungsgerichte. Die Verwaltung weist auch darauf hin, dass die Karlsruher Richter das Berliner Wahlgeschehen durch die Überprüfung der Bundestagswahl wohl ohnehin auf den Tisch bekommen. In der Stellungnahme heißt es: „Eine divergierende verfassungsrechtliche Bewertung desselben Wahlgeschehens hätte – nicht nur in Berlin – unumkehrbare Schäden für die Demokratie und den Rechtsstaat zur Folge.“ Die Verwaltung warnt eindringlich davor, dass die Wahl im Februar 2023 möglicherweise auf Wunsch des Landesverfassungsgerichts wiederholt wird und wenig später das Bundesverfassungsgericht eine gegensätzliche Entscheidung bei der Prüfung der Bundestagswahl trifft. Die schon durchgeführte Wiederholungswahl wäre später womöglich verfassungswidrig. Das Gericht könnte jedoch seine eigene Entscheidung selbstständig beim Bundesverfassungsgericht vorlegen. In der ersten Anhörung hatten die Richter aber deutlich gemacht, dies nicht für nötig zu halten. Die Innenverwaltung wirbt nun erneut dafür: So „könnte ein Verfassungskonflikt leicht vermieden werden“, heißt es in der Stellungnahme. Der Senat hatte zwar schon angekündigt, nicht gegen ein Urteil am 16. November vorgehen zu wollen. Aber nach Einschätzung von Juristen könnte jeder einzelne Abgeordnete des Parlaments das tun – falls das Gericht seine Entscheidung nicht selbst in Karlsruhe vorlegt. Ob die Wiederholungswahl dann wirklich im Februar stattfinden kann? Drei Juristen, fünf Meinungen. | |||
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Wahlwiederholung II. Trotz juristischer Unsicherheit bereitet sich auch das Parlament auf die erneute Abstimmung vor: Bloß keine Plakataktionen an Weihnachten oder Silvester! Alle Parteien (außer der AfD) wollen deshalb jetzt das Straßengesetz ändern. Der dringliche Antrag dafür liegt dem Checkpoint vor. Die Plakate für Neu- und Wiederholungswahlen sollen demnach künftig erst sechs (nicht wie bisher sieben) Wochen vorher aufgehängt werden dürfen. Fällt der Start auf einen Feiertag, dann gilt der nächste Werktag. Die Plakate würden diesmal also ab dem 2. Januar gehängt. Die offizielle Begründung liest sich so: „Bei Wahlen, die außerhalb des normalen Turnus stattfinden, ist die unmittelbare Wahlkampfzeit, ist auch die unmittelbare Wahlvorbereitung kürzer.“ Die Lösung soll angeblich auch der Chancengleichheit zwischen kleinen und großen Parteien dienen. Vor allem ist der Grund aber: Niemand will an Weihnachten plakatieren, niemand will die Wahlplakate Silvester in Flammen aufgehen sehen. Wobei die Gesichter ja eh alle bekannt sind. | |||
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