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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Freitag, 27.03.2020 | Sonnig bei bis zu 12°C. | ||
+ Knapp 2000 Coronavirus-Infizierte in Berlin + Wie Unternehmen jetzt geholfen werden kann + Die Zahl der Straftaten sinkt + |
von Stefan Jacobs |
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Guten Morgen, „Wir brauchen in diesen Zeiten nicht mehr, sondern weniger Ängste“, hat Regiermeister Michael Müller gestern im Abgeordnetenhaus gesagt. Ausweislich seiner Regierungserklärung scheint die Koalition nach anfänglichem Gerumpel inzwischen den Ton und Takt gefunden zu haben, der der Lage und der ins künstliche Koma versetzten Fast-Viermillionenstadt Berlin angemessen ist. Also keine Kriegsrhetorik und kein Aktionismus etwa in Gestalt von Ausgangssperren, die zwar erleichtern würden, die wenigen Unbelehrbaren zu bestrafen, aber neben dem wirtschaftlichen auch das soziale Drama noch vergrößern würden. Stattdessen so viel Freiheit wie noch möglich – und demonstrative Wertschätzung für die vielen, die helfend zur Stelle sind. | |||
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1937 Menschen in Berlin sind – Stand Donnerstagabend – nachweislich infiziert, also fast 300 mehr als tags zuvor. 235 liegen im Krankenhaus, 46 auf Intensivstationen. Damit wächst die Zahl der Betroffenen zwar momentan nicht mehr exponentiell, aber weiter in bedrohlichem Tempo, während zugleich mehr als 100 Hausarztpraxen geschlossen sind. Die Zahl derer, die in Berlin an Covid-19 gestorben sind, stieg auf acht. Aber: Fast 400 Infizierte sind laut Gesundheitsverwaltung bereits genesen und dürfen ihre häusliche Quarantäne wieder verlassen. Der Anteil der Infizierten ist unter den 25- bis 39-Jährigen am höchsten und die City ist stärker betroffen als die Außenbezirke. | |||
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Der mit dem Coronavirus infizierte AfD-Abgeordnete Martin Trefzer widerspricht der Darstellung im CP von gestern, wonach er leichtfertig an einer Ausschusssitzung teilgenommen und dadurch andere Abgeordnete gefährdet habe, statt in häuslicher Quarantäne auf sein (letztlich positives) Testergebnis zu warten: Nachdem er an einer Veranstaltung mit dem (coronainfizierten) israelischen Botschafter teilgenommen habe, sei er zum Test eingeladen worden, aber bereits eine Stunde später habe die Verwaltung des Abgeordnetenhauses unter Berufung auf „die Amtsärzte“ Entwarnung für die Teilnehmer dieser Veranstaltung gegeben. Daraufhin habe er – ebenso wie andere Abgeordnete, die bei der Veranstaltung waren – weitergearbeitet und fünf Tage später im Ausschuss gesessen. Erst danach habe er zu seiner großen Überraschung von dem positiven Testergebnis erfahren. Sein Fall liege also ebenso wie der der anderen Abgeordneten. Trefzers Darstellung endet mit ein paar Absätzen Empörung („unkollegial“ / „verlogen“ / „infam“ / „schäbig“). Allerdings passt sie nicht zu den Schilderungen dreier von Trefzer namentlich genannter anderer Abgeordneter. Die waren – im Unterschied zu Trefzer und dessen ins cc der Beschwerdemail gesetztem Pressesprecher – erstens für den Tagesspiegel zwecks Rückfragen zu sprechen und versicherten zweitens übereinstimmend, sie seien gar nicht zum Coronatest eingeladen worden. Demzufolge war Trefzer der einzige, der bei der Ausschusssitzung am Dienstag aufs Ergebnis seines Tests wartete. Und die Parlamentsverwaltung widerspricht auf Twitter der Behauptung der AfD-Fraktion („AGH-Verwaltung hatte keine Bedenken an Trefzers Ausschussteilnahme“): „Uns ist nicht bekannt, dass am Montag oder Dienstag nach unserer Einschätzung gefragt wurde.“ | |||
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Die Wirtschaftsprofessorin Birgit Felden mahnt im Tsp-Interview, die beschlossenen Soforthilfen für kleine Unternehmen nicht als „geschenktes Geld“ zu bezeichnen, weil das nach Wohltat und einem Glücksfall klinge. Tatsächlich gehe es für viele darum, die nächsten Wochen zu überstehen und später nicht unverschuldet völlig ruiniert zu sein. Die Fachfrau von der Hochschule für Wirtschaft und Recht nennt eine Reihe von Instrumenten, die der kleinteiligen Berliner Wirtschaft wieder auf die Beine helfen können. Und die IHK hat eine Seite „Unternehmer helfen Unternehmern“ online gestellt, auf der gleich nach dem Start schon einige Angebote von Lieferservice über Umzugshilfe bis Textbearbeitung eingegangen sind. | |||
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Die BVG hat in ihrem unverwüstlichen Social-Media-Humor sogar die Buchstaben auf dem Logo-Herz auseinandergerückt und nach massiver Kritik von Fahrgästen wieder ein paar mehr U-Bahnen auf die Strecke geschickt. Jetzt berichtet Tsp-Leser Peter R. von einer S-Bahn-Fahrt, auf der die Fahrgäste ohne Not zur Clusterbildung neigten. R. brachte sich nahe einer Tür in Sicherheit und studierte die Aufkleber mit dem Corona-Knigge: gründlich Händewaschen, niemanden anniesen, nicht Händeschütteln, nicht ins Gesicht fassen und bei Fieber nicht die Bahn nehmen, sondern das Telefon in die Hand zwecks ärztlichen Rates. Aber ausgerechnet von Abstandhalten steht da nichts. | |||
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Gestern hieß es im CP unter Berufung auf vermeintlich zuverlässige Quellen, dass der heimische Pharmakonzern Bayer – potenzieller Lieferant lebensrettender medizinischer Ausstattung in Zeiten des täglich deutlicher werdenden Mangels – noch nichts von der Gesundheitsverwaltung gehört habe. Dieser Darstellung widersprechen beide Seiten. Bayer stehe sowohl mit Senatorin Kalayci als auch mit dem Covid-Krisenstab „in engem Kontakt“, teilte das Unternehmen mit. | |||
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Für alle, die sich im Wahnsinn dieser Wochen mal in Ruhe darüber klar werden wollen, wie das Virus aus einem Markt in Zentralchina heraus seine verheerende Welttournee antreten konnte, hat das Tagesspiegel-Datenteam eine interaktive Kartenserie mit den wesentlichen Meilensteinen erarbeitet. Es lohnt sich, um dieses Jahrhundertdrama zu verstehen. | |||
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Die Polizei war am Mittwoch wieder mit 300 und in der Nacht zu Donnerstag mit 350 Leuten unterwegs, um die Einhaltung der Abstandsregeln zu kontrollieren. Bilanz: 58 überprüfte Objekte und Treffs, 72 Kontrollen im Freien, dabei 83 dokumentierte Verstöße (44 Ordnungswidrigkeiten, 39 Strafanzeigen). In den zwei Wochen seit Inkrafttreten der ersten Beschränkungen hat die Polizei 255 Treffs im Freien und 1710 Objekte kontrolliert, von denen 774 sofort schließen mussten. Hinzu kamen auch gestern wieder viele Ermahnungen vor allem an Besucher von stark frequentierten Parks. Die Grünanlagen dürften heute und morgen erst recht zu Problemzonen werden, da es sonnig und mild werden soll, bevor das Wetter am Sonntag wieder auf Spätwinter umschaltet. | |||
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Die Polizei hat wegen der Coronakrise laut ihrer Präsidentin Barbara Slowik nicht mehr zu tun als sonst, weil zwar einerseits viele zusätzliche Kontrolltouren anstehen, aber andererseits beispielsweise Demos wegfallen. Die Zahl der angezeigten Straftaten liege im März bisher gut fünf Prozent unter Vorjahresniveau – aber die Zahlen sind vorläufig und die Dunkelziffer wohl noch schwerer zu schätzen als in normalen Zeiten. 468 Beamte seien aktuell in Quarantäne, 22 nachweislich infiziert. Laut einem internen Rundschreiben von Slowik können sich Beamte, bei denen nachweislich ein schwerer Krankheitsverlauf zu befürchten ist, von ihren Vorgesetzten vorerst vom Dienst befreien oder möglichst ins Homeoffice versetzen lassen. | |||
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Es sei jetzt wichtig, auf die Schlauen zu hören und nicht auf die Schlaumeier, hat Michael Müller in seiner Regierungserklärung gesagt. Letztere haben erwartungsgemäß zahlreich von „gesundem Menschenverstand“, Parapsychologie, Ausländerrecht etc. auf Corona-Abwehrberatung umgesattelt und füllen nun das Internet mit klugen Ratschlägen zur Wunderwirkung von Knoblauch, Kügelchen und kalten Duschen, um drei eher harmlose Beispiele zu nennen. Mein Kollege Richard Friebe aus unserer Wissenschaftsredaktion hat ein Dutzend gängige Empfehlungen einem Faktencheck unterzogen. Das wichtigste Resultat sei hier vorab verraten: Vermeiden Sie, sich anzustecken – in Ihrem eigenen Interesse und dem Ihrer Mitmenschen! | |||
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Während Gebärdensprachdolmetscher in vielen Ländern zum Standardprogramm von TV-Sendern gehören, ist es für Gehörlose in Deutschland immer noch Glücksache, ob sie live in ihrer Muttersprache informiert werden. Der Sender Phönix und das Robert-Koch-Institut gehen mit gutem Beispiel voran, aber die Bundesregierung selbst bietet keine Live-Übersetzung an, hat mein Kollege Julius Betschka in Erfahrung gebracht. Die ARD habe dem Gehörlosenverband mitgeteilt, dass sie wegen der Krisensituation keine Übersetzung mehr garantieren könne. Die Behindertenrechtsaktivistin Julia Probst hat eine Petition namens „Corona-Infos auch in Gebärdensprache“ gestartet. Fast 30.000 Menschen haben schon unterschrieben. | |||
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Viele Deutsche sind aus gegebenem Anlass völlig von der Rolle. Aber jetzt kommt Entwarnung: Bei Ebay dürfen laut RBB nur noch gewerbliche Anbieter Toilettenpapier, Schutzmasken und Desinfektionsmittel anbieten. Dasselbe gelte seit Dienstag für Babynahrung und Milch – und seit gestern auch für Tampons, Babytücher und Windeln. Und die Logistikverbände haben mit dem Bundesverkehrsministerium einen „Gütertransportpakt für Deutschland“ geschlossen, demzufolge sie u.a. „die Funktionsfähigkeit der Lieferketten flächendeckend und zu jeder Zeit“ sicherstellen. Kann man zu viel gekauftes Klopapier eigentlich zurückgeben? | |||
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An diesem Freitag fallen für polnische Berufspendler die Ausnahmeregelungen weg, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren. Das Brandenburger Wirtschaftsministerium hat die hier arbeitenden Polen deshalb aufgerufen, in Deutschland zu bleiben – und zahlt ihnen eine Aufwandsentschädigung von 65 Euro am Tag, damit sie beispielsweise im Hotel wohnen können. Der Handelsverband zeigt sich dankbar für diese schnelle Lösung, weil von dem polnischen Grenzregime allein mehr als 1000 Beschäftigte der eigenen Logistik betroffen seien. Und: „Wir hoffen sehr, dass auch für die Logistikstandorte in Berlin eine vergleichbare Lösung gefunden wird.“ | |||
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