Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin immer wieder überrascht. Mehr Bürgerbeteiligung? „Nee, bloß keine Bürgerbeteiligung!“, „Auf keinen Fall Bürgerräte und erst recht keine Volksabstimmungen!“ Solche Sätze höre ich oft aus konservativen Kreisen, aber nicht nur. Erst Anfang des Jahres riet mir ein Abgeordneter auf einem Parteitag: „Sie müssen einen neuen Begriff für Bürgerräte finden. Bürgerräte sind verbrannt, genauso wie Bürgerbeteiligung. Das will hier keiner.“ Ich stutze. Interessant. In meinen Ohren klingt das wie „Oh, Demokratie ist ja furchtbar!“ Heute weiß ich: Unter Demokratie versteht jeder ein bisschen etwas anderes. Bei den einen darf es etwas mehr „Bürgerschaft“ in der Demokratie sein, bei den anderen etwas weniger. Für mich ist das schwer nachvollziehbar. Wie kann ich Demokratin sein, wenn ich die Bürgerinnen und Bürger aus der Demokratie fernhalten will? Wie kann die Politik um die Gunst der Wählerinnen und Wähler werben – und sie dann aus allem heraushalten wollen? Gilt die Bevölkerung etwa als Hindernis? Hat die Politik Angst, beim Regieren gestört zu werden? Angst, dass das Falsche rauskommt, wenn wir mitentscheiden? Demokratie und Angst vor uns Bürgerinnen und Bürgern – das passt irgendwie nicht zusammen. Und doch haben wir bei Mehr Demokratie tagtäglich damit zu tun. Eigentlich ist es unser Tagesgeschäft. Seit 35 Jahren versuchen wir, Politikerinnen und Politiker von mehr Bürgerbeteiligung zu überzeugen. Wir liefern Erfahrungen und Beweise, die zeigen, dass letztendlich alle profitieren: die Menschen, die Politik, die Demokratie. Trotzdem denken viele: Bloß keine Bürgerbeteiligung! Ja, Demokratien sind fragiler, weil sie ständig beeinflussbar sind. Aber genau das ist ihre Stärke. Demokratie ist nichts für Kontrollfreaks. Sie ist für Fortgeschrittene und lebt vom Vertrauen in andere. Aber wie werden wir zu coolen und entspannten Demokratinnen und Demokraten, die keine Angst voreinander haben? Hier können wir von den Däninnen und Dänen lernen. Gerade waren wir beim Folkemødet-Festival in Dänemark. Ein riesiges Demokratiefestival auf der Insel Bornholm, größer als unser norddeutsches Wacken. 100.000 Besucher jedes Jahr, einfach weil es toll ist. Alle politischen Strömungen sind dabei. Es wird diskutiert und debattiert, gesungen und gespielt. Der Stand einer Pro-Atomkraft-Gruppe steht direkt neben dem Stand für Klimaschutz. Die katholische Kirche neben einer Initiative für die Rechte von LGBTIQ+. Alle Parteien sind vertreten. Minister und Ministerinnen liefern sich Tanz- und DJ-Battles. Die Premierministerin schlendert durch die Menge. Die Däninnen und Dänen zeigen, wie sie ihre Demokratie lieben, leben und pflegen. Jedes Jahr. In ganz Skandinavien gibt es über zehn solcher Demokratiefestivals. Wie unfassbar schön ist das denn! Eine sehr entspannte Form, Demokratie zu leben und zu feiern! Wäre so etwas bei uns in Deutschland denkbar? Warum nicht!
Wer fängt an? Ihre |