Liebe/r Leser/in, es sind Wochen wie Wolken. So schwer greifbar – wo geht die Reise hin? Vor Kurzem noch galt das Tragen von Mundschutz unter einigen führenden Virologen unseres Landes als sinnlos im Kampf gegen Corona – nun wird er in allen Bundesländern Pflicht beim Einkaufen, in Bus und Bahn. Oder: Corona-Kranke werden endlich negativ getestet – und sind dann plötzlich wieder positiv und eben nicht immun. Was wir nach vier Monaten Corona wissen, ist: Wir wissen sehr wenig! Das Oktoberfest ist abgesagt, der Kurfürstendamm lebt wieder, ein bisschen Fußball-Bundesliga soll es auch bald geben. Wie wird der Urlaub 2020? Die Strände am Mittelmeer bleiben wohl geschlossen, wenig Hoffnung auch für Nord- und Ostsee. Im Jahr 2019 gab es 4,8 Millionen Übernachtungen auf der Insel Sylt, allein 1,6 Millionen von Urlaubern aus Nordrhein-Westfalen. Seit Mitte März ist Schluss mit Tourismus; die Insel im Lockdown. Die Sylter rätseln, wie es weitergehen kann, denn die Nordseeklinik, das einzige Krankenhaus, hat lediglich zehn Intensivbetten mit Beatmungsgerät, gerade genug für die 18.000 Insulaner. Mein Kollege Markus Hurek hat sich in Kiel eine Sondergenehmigung besorgt und ist für zwei Tage hochgereist – und entdeckte die Einsamkeit (Seite 22). Wochen wie Wolken, was lernen wir? Unser Land der Dichter und Denker ist digital ziemlich überfordert. Die deutsche Wirtschaft, die jetzt mit Steuergeld gerettet werden soll, verliert ihre Dominanz. Die großen Digitalkonzerne aus Amerika und China geben immer mehr den Code unseres Lebens vor. Die Veränderung der Alten Welt wird bei Amazon oder TikTok in Echtzeit erfasst. Während wir nicht fliegen, nicht ins Kino gehen, nicht auf Festivals tanzen, starten digitale Freizeitprodukte durch (Netflix plus 15,8 Mio. neue Abos im ersten Quartal 2020). Auch FOCUS entsteht seit sechs Wochen in mobilen Offices – die Redaktionsräume sind jetzt online bei Houseparty, Skype und Microsoft Teams. Es sind US-Plattformen, auf die wir nun angewiesen sind. Wie so viele Unternehmen. Es ist die vielleicht deutlichste Lehre aus der Krise: Deutschland und Europa brauchen den digitalen Aufbruch. In den Schulen, in den Werkhallen und Büros. Jetzt mehr denn je. |
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