Liebe/r Leser/in, obwohl eine Bedienung neben dem Tisch stand, schenkte die Kanzlerin uns Gästen persönlich den Kaffee ein – und fragte auch ganz höflich, ob mit Milch und /oder Zucker. Sie hatte 45 Minuten Zeit für uns eingeplant, hinter dem Kanzleramt wartete schon der Hubschrauber, um sie zum nächsten Termin zu fliegen. Sie wirkte müde. Mit unserer ersten Interviewfrage jedoch schoss wieder Energie durch ihren Körper, und sie war wach, gedanklich schnell und sicher in den Details. Ja, ich war nach dem Gespräch beeindruckt von dieser Frau.
16 Jahre lang wird Angela Merkel Bundeskanzlerin gewesen sein, wenn sie nach dem 26. September und vier Amtszeiten abtritt. Als sie startete, gab’s noch kein iPhone, kein Twitter oder Instagram, keine Finanz- und keine Flüchtlingskrise. Wer ist diese Frau, die als erste Ostdeutsche und als erste Naturwissenschaftlerin das Regierungsamt übernahm – übrigens auch jünger als all ihre männlichen Vorgänger? Wie werden wir uns an 16 Jahre Merkel-Kanzlerschaft erinnern? Werden wir sie schon bald vermissen – oder nicht?
Gemeinsam mit einem halben Dutzend Kolleginnen und Kollegen machte sich FOCUS-Chefautor Thomas Tuma auf die Suche. Spannende Antworten sammelte das Team dann über mehrere Monate bei Freunden wie Gegnern von Merkel, bei Weggefährten und Zeitzeugen. Zu Wort kommen nun internationale Stimmen wie der griechische Ökonom und Merkel-Antipode Yanis Varoufakis sowie Österreichs junger Kanzler Sebastian Kurz. Ex-Siemens-Chef Joe Kaeser erinnert sich ebenso an seine Jahre mit Merkel wie der frühere Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann. Der eine begleitete die Kanzlerin durch den Atomausstieg, der andere durch die Finanzkrise. Beide hatten auch harte Auseinandersetzungen mit ihr.
Nicht nur Politiker wie die langjährigen Kabinettsmitglieder Thomas de Maizière, Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück verraten Geheimnisse über Angela Merkel. Reinhold Messner erinnert sich an ihre Zähigkeit bei gemeinsamen Bergtouren. Oscar-Preisträger Volker Schlöndorff beklagt ihre Unfähigkeit, wenigstens einmal die Heldin zu spielen. Und der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erzählt von Merkels Lust, andere Regierungschefs zu imitieren – „bühnenreif, aber nie despektierlich“.
„Wir alle wurden mit der Kanzlerin 16 Jahre älter“, bilanziert Thomas Tuma. „Insofern erzählt uns dieses einzigartige und vielstimmige Merkel-Mosaik auch viel über uns selbst.“ Lesen Sie unsere Titelgeschichte ab Seite 30.
Am 9. August beginnt in einigen Bundesländern wieder die Schule. Wie der Unterricht ablaufen wird? Keine Ahnung! Gibt es wieder Wechselunterricht? Ersetzt der Zoom-Bildschirm weiterhin die Tafel? Was passiert im Herbst, wenn die Corona-Zahlen schneller steigen?
Die Impfkampagne hat, wie in fast allen Ländern, auch in Deutschland deutlich an Fahrt verloren, insbesondere die Zahl der Erstimpfungen steigt nur noch langsam. Es ist eine extrem beunruhigende Entwicklung. Denn daraus folgt: Entweder werden in den kommenden Wochen die Zögernden überzeugt, sich den doppelten Impfpiks verabreichen zu lassen, oder wir steuern geradewegs auf einen neuen Lockdown und vor allem auf Schulschließungen zu. Wie wollen wir das den Schülerinnen und Schüler erklären, die ja in den zurückliegenden anderthalb Jahren in ihrer großen Mehrzahl nicht zum eigenen Schutz, sondern zum Schutz Erwachsener über Wochen und Monate keinen Unterricht hatten?
Und doch traut sich kein deutscher Spitzenpolitiker auszusprechen, was der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz verspricht, dass nämlich die Schulen „selbstverständlich“ offen bleiben, normaler Unterricht stattfindet. Wozu brauchen wir noch Kultus-, also Schulminister, wenn wir das in Deutschland nicht auch schaffen? Deswegen fehlt mir ein wenig das Verständnis für den sehr deutschen Streit, ob Geimpfte mehr Rechte oder besser: Freiheiten bekommen sollen als Nicht-Geimpfte. Wenn die Impfstoffe der große und vor allem einzige Gamechanger in der Pandemie sind, dann muss es doch darum gehen, mit aller Kraft möglichst viele Bürger zu impfen. Und was könnte ein besserer, wirksamerer Anreiz sein als mehr Freiheiten?
Gerade wenn man eine Teil-Impfpflicht für den Gesundheitsbereich oder für Lehrer und erst recht eine komplette Impfpflicht vermeiden will, muss man das Impfen deutlich attraktiver machen, eine Freiheits-Dividende ausloben. Denn was dieses Land auf keinen Fall aushält, sind weitere Lockdown-Monate für Einzelhandel, Kultur, Sport und vor allem: für Schulen.
Die große Mehrheit der Deutschen ist gegen die Einführung einer geschlechtergerechten, also „gegenderten“ Sprache. Wir hatten in der vergangenen Woche in einen Beitrag den Gender-Doppelpunkt eingesetzt – und unsere Leserinnen und Leser gefragt, was sie von diesem Experiment halten. Die Reaktionen waren eindeutig und durchgehend ablehnend (siehe S. 118). Für die zahlreichen und teils leidenschaftlichen Zuschriften bedanke ich mich. Und kann Sie beruhigen: Unser Gender-Beitrag war ein Experiment – nicht weniger, aber auch nicht mehr. |