von Christian Spiller Ressortleiter Sport ZEIT ONLINE
Guten Morgen. Beginnen wir mit einem Zitat des britischen Guardian: “Wie einer ihrer Züge strauchelte und stotterte Deutschlands EM-Reise 2024, und war sogar von einer unplanmäßigen Umleitung bedroht”, war dort nach dem deutschen Spiel gegen die Schweiz zu lesen. Thank you for travelling, Kollegen.
Die Szene des Vortags
In der zweiten Minute der Nachspielzeit stieg Niclas Füllkrug auf sein imaginäres Leiterchen, höher als alle anderen, und köpfte das 1:1 für Deutschland gegen die Schweiz. Er rettete seinem Team den Gruppensieg, die Euphorie aber konnte die deutsche Nationalelf nicht in Gänze retten. Zu ausrechenbar und bisweilen ratlos wirkte sie. “Diese Mannschaft hat Grenzen", schreibt mein Kollege Oliver Fritsch. Ein kleiner Rückfall in Prä-EM-Zeiten. Gegen Ende aber ging der Plan B auf, immerhin. Andere haben nicht mal einen Plan A.
Kroatien gegen Italien (21 Uhr, ZDF). „Wir dürfen nicht mit Angst ins Spiel gehen“, sagte Italiens Teammanager Gigi Buffon. Solch ein Satz bedeutet meist, dass eine Mannschaft womit ins Spiel geht? Mit Angst. Nach der Niederlage gegen Spanien hadern die Italiener mit sich, ihrem Spiel, der EM, womöglich auch mit der Sahne, die viele hiesige Ristoranti in die Carbonara machen. Bei einer erneuten Niederlage könnten die Italiener sogar das Achtelfinale verpassen. Und das als Titelverteidiger! Zum Glück ist der Gegner aus Kroatien noch schlechter drauf. Der WM-Dritte wirkt langsam und schwerfällig. Dem Spielmacher Luka Modrić sieht man jedes seiner 38 Jahre an. Irgendwie auch beruhigend.
Das weitere Spiel:
Albanien – Spanien (21 Uhr, RTL)
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Wer wird heute wichtig?
Nico Williams. Er hat nicht nur die aufregendste Frisur in einer an aufregenden Frisuren recht armen EM (was ist nur los mit den jungen Leuten?). Seit der 21-jährige Spanier im vergangenen Spiel Italiens Außenverteidiger Giovanni Di Lorenzo (nicht verwandt, nicht verschwägert) auf links drehte, reden alle über Williams. Auch, weil die Geschichte seiner Familie so besonders ist: Seine Eltern flohen aus Ghana, liefen teils barfuß durch die Sahara. Sie kletterten, die Mutter schwanger mit dem älteren Bruder Iñaki, über den Grenzzaun zur spanischen Enklave Melilla. Dort gaben sie sich als liberianische Kriegsflüchtlinge aus, um einen Asylantrag stellen zu können. Mittlerweile sind die Williams-Brüder die Stars bei Athletic Bilbao, einem Club, der nur Basken aufnimmt. Iñaki spielt für Ghana, Nico aber möchte Spanien zum Europameister machen.
Ich kam mit dem Vorurteil ins Land, die Leute hier seien etwas unterkühlt. Obwohl ich durch die viele Arbeit hier bislang gar nicht die Gelegenheit hatte, so viele Deutsche kennenzulernen, scheinen mir die, die ich getroffen habe, freundlich, aufgeschlossen, gastfreundlich, wenn auch nicht so sehr wie die Albaner (haha) und natürlich sehr korrekt. Sie sind zunächst nicht super offen Fremden gegenüber, aber in einigen Dingen doch ziemlich cool. Und ja, die Züge sind voll, aber die Bahn scheint mir nicht so schlecht zu sein, wie man sagt.
Die Floskel des Tages
"dar un baño"
(ein Bad geben, spanisch)
Ein völlig überlegenes Spiel, bei dem der Gegner kaum an den Ball kommt. Im Deutschen wird der Gegner nassgemacht, manchmal auch eingeseift. Bei den Spaniern gibt es das Vollbad.
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Wer ist schon Europameister?
Andrij Krawez aus der Ukraine. Er sicherte sich im vergangenen Jahr im sächsischen Markkleeberg den Titel des Go-Europameisters. Go gilt als das Schach Asiens, ist mehrere Tausend Jahre alt und besonders in China, Japan und Südkorea populär. Angeblich existieren bei dem Strategiespiel mit den linsenförmigen Steinchen mehr Kombinationsmöglichkeiten als Atome im bekannten Universum. Mir wären das ein paar zu viel.
"Die Mannschaften stellen sich logischerweise auf uns ein."
(Toni Kroos nach dem Spiel gegen die Schweiz. Jetzt muss sich die deutsche Mannschaft nur noch darauf einstellen, dass sich die anderen auf sie einstellen.)
Das war die Spezialausgabe unseres Was-jetzt?-Newsletters zur Fußball-EM 2024. Sie erscheint an allen Spieltagen zusätzlich zur Morgenausgabe. Keine Lust auf Fußball? Víkingur Ólafsson spielt ein Zusatzkonzert in der Hamburger Elbphilharmonie. Der Isländer ist das, was man einen Starpianisten nennt. Die Kicker aus seinem Land haben es leider nicht zur EM geschafft. Aber so ein „Huh“ in der Elphi klingt sicher auch ganz nett.