Das vermeintliche Versagen der Charttechnik
Das vermeintliche Versagen der Charttechnik von Torsten EwertSehr verehrte Leserinnen und Leser, bereits am Freitag hatte Sven Weisenhaus auf die aktuell sinkende Signalqualität der Charts hingewiesen. Wer der Charttechnik ohnehin skeptisch gegenübersteht, ist natürlich geneigt, dies als Beweis dafür anzusehen, dass sie nicht funktioniert. Aber ausgerechnet diese mürben Phasen widersprüchlicher Signale geben uns wichtige Hinweise. Paradoxerweise können ausgerechnet Langfristanleger davon profitieren, wenn sie die kurzfristigen Chartsignale zu deuten verstehen. Und so gehen Sie dabei vor: Warum die Signalqualität zurzeit so gering ist Verdeutlichen wir uns zunächst, worum es aktuell eigentlich geht: Die US-Indizes haben unlängst neue Allzeithochs markiert, können sich allerdings nicht davon absetzen. So ist die fundamentale Bewertung der US-Aktien relativ ambitioniert, weitere Stimuli durch die Notenbanken sind nicht zu erwarten und das Wirtschaftswachstum bleibt eher mau. Zudem drohen neue Belastungen durch den Brexit, die andauernde Euro-Bankenkrise, Überschuldung und Überkapazitäten in China sowie womöglich durch den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl. Den Börsianern fehlen also die Treiber für weiter steigende Kurse. Dennoch bleiben Aktien die relativ attraktivste Anlage: Anleihen bieten keine Rendite, aber inzwischen erhebliche Risiken – insbesondere, wenn die Notenbanken ihre Geldpolitik weiter straffen. Die Niedrigzinsen haben viele Immobilienmärkte inzwischen wieder ordentlich heißlaufen lassen, Rohstoffe steigen hauptsächlich in einem starken Konjunkturaufschwung (der nicht zu sehen ist) und Gold kommt allein aus Liquiditätsgründen als Alternative nicht infrage. Also schwanken die Anleger hin und her. Und genau das zeigen die Charts momentan! Die schlechte Signalqualität ist also ein Zeichen, dass die Anleger extrem unentschlossen sind und nicht, dass die Chartchechnik nicht funktioniert. Für kurzfristige Trader ist diese Situation äußerst unbefriedigend. Sie tappen aufgrund der geringen Signalqualität der Charts immer wieder in diverse Fallen – und verlieren dabei Geld. Oder sie stellen ihr Trading vorübergehend komplett ein, was genauso unangenehm ist. Der Alptraum jedes Traders ist ein Vorteil für Langfristanleger Als längerfristiger Anleger haben Sie dagegen die Möglichkeit, dieses Hin und Her zu Ihrem Vorteil zu nutzen. Sie wissen ja: Diese Unentschlossenheit muss sich irgendwann verflüchtigen. Dann schlagen die Märkte ihren nächsten Trend ein. Bis dahin sind die meisten Chartbewegungen entweder „Rauschen“ oder produzieren unzuverlässige Signale. Trotzdem sollten Sie die Charts im Auge behalten. Denn irgendwann werden die Signale wieder besser. Dann werden bullishe bzw. bearishe Hinweise nach und nach durch entsprechende weitere Signale bestätigt. Wenn das geschieht, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der Trend in dieser Richtung weitergeht. Aber müssen Sie deswegen nun tagtäglich über den Charts brüten? Nein, denn die ganz kurzfristigen Signale sind ja ohnehin unzuverlässig. Sie verwirren nur und sollten daher vorerst komplett ignoriert werden. Es reicht also, sich auf die übergeordneten Bewegungen zu konzentrieren. Am einfachsten gelingt das, wenn Sie sich an die Wochencharts halten. Damit filtern Sie alle kurzfristigen Bewegungen automatisch heraus. Der angenehme Nebeneffekt ist, dass Sie sich nur einmal in der Woche mit den Charts beschäftigen müssen und das sogar in Ruhe am Wochenende erledigen können. Zudem reichen dafür zwei oder drei Charts der wichtigsten Indizes. Als Beispiele habe ich den NASDAQ 100 und den Euro STOXX 50 gewählt. Beide stehen vor wichtigen Scheidemarken – und kommen mit wenigen markanten Chartformationen aus. Die Lage im NASDAQ 100 Beginnen wir mit dem NASDAQ 100. Dieser hat bekanntlich vor kurzem sein Allzeithoch aus dem Jahr 2000 überwunden – eigentlich ein mächtiges bullishes Signal. Allerdings blieben, wie schon erwähnt, die Anschlusskäufe aus, so dass die Kurse an dieser wichtigen Marke hin und her pendeln. Dabei entstanden eine Reihe von kurzfristigen Fehlsignalen. Im Wochenchart sieht das Ganze dagegen erheblich klarer aus: Hier sieht man, dass es bis September keinen nachhaltigen Sprung über das alte Allzeithoch (dicke rote Linie) gegeben hat. Die beiden Kerzen im August, deren Hochs über das alte Allzeithoch hinausreichten, deuteten schon erste Unsicherheiten an. Aber das ist auch nicht verwunderlich – bei einem Hoch, das immerhin 16 Jahre gültig blieb! So helfen Ihnen Wochencharts, Signale zu filtern Nachdem das Hoch nicht nachhaltig überwunden werden konnte, kam es Mitte September auch im Wochenchart zu einem Fehlsignal (siehe blauer Pfeil). Die lange rote Kerze deutete zunächst auf weiter fallende Kurse hin. Aber dazu kam es nicht. Die Kurse drehten nahezu sofort um und erreichten danach sogar abermals neue Hochs! Doch erneut sehen wir im Wochenchart dabei keine klar bullishe Kerze. Wieder dominieren „Unsicherheitskerzen“, z.B. die vorletzte, eine sogenannter Doji (eine Kerze, die wie ein Kreuz aussieht). In der vorigen Woche erreichten die Kurse zunächst erneut ein neues Allzeithoch (siehe roter Pfeil) und fielen danach deutlich zurück. Die Kerze durchschlug dabei sogar eine wichtige Kreuzunterstützung (blauer Kreis) und sendete damit zunächst ein klar bearishes Signal (siehe auch Börse-Intern vom 12.10.2016). Aber auch diesmal hatte das Signal auf Wochenbasis keinen Bestand: Die Kerze der Vorwoche ist zwar rot und sehr lang, aber die lange „Lunte“ (der Strich nach unten) zeigt, dass zuletzt die Bullen kräftig dagegenhielten. Sie sehen also, wie Sie allein durch die Wahl einer etwas längeren Zeitperiode (Wochenchart) die Chartsignale sehr gut filtern können ! Das sind nun die wichtige Marken für den weiteren Verlauf Für den weiteren Verlauf kann man es sich nun recht einfach machen. Wenn die Bären doch wieder die Initiative abgeben müssen, dann sollten die Kurse auch in nächster Zeit weiterhin in einem sehr engen Band (begrenzt z.B. durch den Kursbereich der letzten Kerze) um die dicke rote Linie pendeln. Das wäre im Wochenchart eindeutig Rauschen und damit uninteressant. Wenn die Bären dagegen doch noch mal nachlegen können, dann sollten sie die Kurse mindestens bis an die Unterkante des gelben Rechtecks (4.656,55 Punkte) treiben. Umso schneller das gelingt und umso weniger Rückschläge sie dabei hinnehmen müssen (die im Wochenchart sichtbar werden), desto bearisher wird es. Wenn die Bären danach auch noch die Kurse aus dem gelben Rechteck nach unten treiben, dann droht ein übergeordnetes Hoch und damit das Ende der Rally seit 2009. Die Bullen müssten dann spätestens an der unteren grünen Aufwärtstrendlinie die Wende schaffen. Sonst wäre dieser Aufwärtstrend seit 2009 gebrochen – was natürlich schon ein sehr bearishes Signal wäre. Sowohl der Bruch des gelben Rechtecks als natürlich auch der Bruch der unteren dicken grünen Linie wären Verkaufssignale, bei denen man seine Longpositionen reduzieren sollte. Ein Neueinstieg käme danach erst wieder infrage, wenn die Bullen neue Hochs markieren können, die auch im Wochenchart klar bullishe Signale ergeben. Die Lage im Euro STOXX 50 Im Euro STOXX 50 sehen wir dagegen eine komplett andere Konstellation. Dieser Index befindet sich bereits in einem Abwärtstrend. Dieser wurde mehrfach bestätigt (siehe blaue Kreise), zuletzt nur noch auf der Unterseite. Dabei kam es auch zu mehreren Fehlausbrüchen aus diesem Trend (siehe z.B. rote Ellipse). Der Brexit-Rückfall im Juni (grüne Ellipse) erreichte dagegen nicht mehr die Unterkante des Abwärtstrends. Stattdessen schwenkte der Kurs nun in eine große Seitwärtsbewegung ein (gelbes Rechteck zwischen 2.675 und 3.130/3.150 Punkten), die eine Bodenformation im Bereich der 3.000er Marke (gestrichelte Linie) darstellen könnte. Bemerkenswert ist, dass im Euro STOXX 50 der Rückschlag der Vorwoche keine so negative Wirkung hinterließ wie z.B. im NASDAQ 100: Hier entstand sogar nur eine (weitere) Unsicherheitskerze, die mit ihrem Tief sogar den Aufwärtstrend seit Juni bestätigte (siehe grüner Pfeil). Im NASDAQ 100 wurde dieser Trend dagegen gebrochen! Allerdings schaffte es der Euro STOXX 50 zuvor nicht mehr, die Oberkante dieses Trends zu erreichen, sondern drehte schon vorzeitig nach unten (siehe roter Pfeil). Erst jenseits des „Rauschens“ entstehen wieder brauchbare Signale Wie im NASDAQ 100 kann man daher auch hier eine „Rauschbandbreite“ festlegen, in der die Kursbewegungen aus übergeordneter Sicht belanglos sind. Diese liegt etwa zwischen der hellgrünen und der blauen waagerechten Linie (ca. 2.930 bis 3.100 Punkten). Solange die Kurse in diesem Band bleiben, ist auch belanglos, wenn sie dabei den grün schattierten Aufwärtstrend oder gar den roten Abwärtstrend verlassen. Erst wenn dabei Dynamik in die jeweilige Ausbruchsrichtung aufkommt, könnte das zu neuen Signalen führen. Ein Rückfall unter die grüne Linie mit einer klar bearishen Wochenkerze wäre dagegen ein neues Verkaufssignal, das zu einem Kursverfall bis an die Unterkante des gelben Rechtecks führen könnte. Ein dynamischer Ausbruch über die blaue Linie mit einer bullishen Wochenkerze würde dagegen automatisch auch zu einem Bruch des roten Abwärtstrends führen und könnte einen Ausbruch aus der Bodenformation (gelbes Rechteck) einleiten. Dementsprechend bullish wäre diese Variante (Kaufsignal). Damit haben Sie für die nächsten Wochen einen guten Fahrplan für Ihre längerfristigen Positionen. Als Leser der Börse-Intern haben Sie zudem den Vorteil, dass Sie auch regelmäßig unsere Einschätzung zur kurzfristigen Chartsituation erhalten, z.B. für den DAX. Wenn Sven Weisenhaus dabei wieder zuverlässige Signale in die eine oder andere Richtung meldet, dann können Sie damit diesen übergeordneten Fahrplan „feintunen“. Viel Erfolg wünscht Ihnen dabei Ihr Torsten Ewert
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