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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 28.01.2020 | Es wird windig und wieder regnerischer bei max. 6°C. | ||
+ Womöglich gesamter Datenbestand des Kammergerichts geklaut + Sozialsenatorin Breitenbach verteidigt Obdachlosenzählung gegen Kritiker + Der Frühling kommt in Brandenburg so früh wie nie + |
von Julius Betschka |
Guten Morgen, ich gratuliere. Wir feiern heute „Europäischen Datenschutztag”. Tätää! Die Bürger Europas – also Sie und ich – sollen für einen besseren Schutz ihrer persönlichen Daten sensibilisiert werden. Nutzen Sie schon verschlüsselte Messengerdienste? Nein? Auf geht’s. Toll wäre ja, der Staat taugte selbst als starkes Vorbild. Doch Pustekuchen… | |||
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Während unsereins heute zur Hütung seines Datenschatzes angehalten wird, saut jemand anderes gewaltig mit eben jenem rum: das Land Berlin. Was ist passiert? Die Überschrift der Pressemitteilung, die gestern aus dem Haus von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) zu uns in die Redaktion flatterte, klingt trocken: „Erkenntnisse zum Emotet-Virus am Berliner Kammergericht“. Was in dem forensischen Gutachten steht, das der Mail anhängt, könnte sich aber zu einem Daten-Skandal von bislang unabschätzbarem Ausmaß auswachsen. In dem Gutachten des externen Dienstleisters, heißt es: Die Angreifer seien „höchstwahrscheinlich in der Lage gewesen“, den „gesamten Datenbestand des Kammergerichts zu exfiltrieren“, also aus dem System herauszuschleusen. Die installierte Schadsoftware Emotet sei „klar auf Datenabfluss ausgerichtet“ gewesen. Die Experten empfehlen dem Kammergericht den „kompletten Neuaufbau der IT-Infrastruktur“. Soweit, so wahnsinnig. Aber was bedeutet das? Einmal hinsetzen, bitte. Von dem möglichen Datenklau betroffen wären neben Tätern und Opfern von am Kammergericht verhandelten Prozessen auch alle Zeugen. Genauso verdeckte Ermittler oder Informanten. Kurz: alle Daten. Das Kammergericht ist unter anderem für Terrorprozesse zuständig. Wer hinter dem Angriff mit dem Virus Emotet von Anfang Oktober 2019 steckt, ist bislang völlig unklar. Klar ist dagegen: Anders als von Justizsenator Dirk Behrendt behauptet, sind Daten abgeflossen. Und: Das nun veröffentliche Gutachten ist auf den 23. Dezember datiert. Es wurde mehr als einen Monat zurückgehalten. Erst durch einen Text meines Kollegen Robert Kiesel sah sich der Justizsenator zur Veröffentlichung genötigt. Das wirft Fragen auf, denen sich Behrendt stellen muss. In der Vollversion lesen Sie exklusiv eine Einschätzung der Berliner Datenschutzexpertin Constanze Kurz vom Chaos Computer Club. | |||
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Am Mittwoch ist Zähltag. 3725 Freiwillige werden durch die Stadt ziehen und Obdachlose erfassen. Organisiert hat diese „Nacht der Solidarität“ Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke). Hilfsangebote sollen künftig besser an die Bedürfnisse der Wohnungslosen und ihre wachsende Zahl angepasst werden. Die „Selbstvertretung wohnungsloser Menschen“ kritisiert die Aktion jetzt scharf. Sie schreibt: „Tiere werden gezählt, Menschen muss geholfen werden.“ Aus der Sicht von Wohnungslosen sei die Zählung bedrohlich. Es sei würdelos, gezählt zu werden und ein Nutzen nicht erkennbar. Außerdem fürchten sie, dass verschiedene Gruppen obdachloser Menschen gegeneinander ausgespielt würden. Sie rufen deshalb am Mittwoch zu einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus auf. Auf Checkpoint-Anfrage reagiert Sozialsenatorin Breitenbach: „Wir brauchen endlich verlässliche Zahlen, wie viele Menschen in Berlin auf der Straße leben“, erklärt sie. Mehr als 600 Teams von Freiwilligen seien unterwegs, viele der Teamleiter arbeiteten professionell in der Wohnungslosenhilfe. Grundsätzlich gelte, dass nur Obdachlose auf der Straße gezählt würden. „Wir suchen sie nicht in ihren Verstecken, nicht in leerstehenden Gebäuden und nicht in Kellern. Wir respektieren ihre Privatsphäre.“ Die Befragung erfolge freiwillig. Breitenbach weiter: „Das ist ein beeindruckendes Bespiel dafür, wie solidarisch die Stadtgesellschaft sich zu obdachlosen Menschen verhält.“ Die ganz linke Szene hat längst andere Pläne als die Linken-Politikerin. Der alternative Kiezladen Friedel54 ruft auf Facebook etwa dazu auf, mit den fast 4000 Freiwilligen allerlei zu veranstalten. Als Anregung wird die Aktion eines Künstlerkollektivs genannt, das im vergangenen Winter nachts heimlich Bahnhöfe aufgebrochen hatte. Obdachlose sollten darin schlafen können. Dass das für jeden Menschen – erst recht unter Alkohol- oder Drogeneinfluss – kreuzgefährlich ist? Geschenkt. Alternativ könnten die Freiwilligen auch Häuser besetzen, schlägt jemand vor, um Obdachlosen ein Dach über dem Kopf zu organisieren. Das sei wirkliche Solidarität, schreibt er. Oder komplette Selbstüberschätzung. | |||
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Nachtrag zum Holocaust-Gedenktag: Jeder fünfte Deutsche findet laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov, es werde zu viel des Holocausts gedacht. Versprochen: Wir werden Sie damit nicht in Ruhe lassen. Wir werden schon gar nicht aufhören, Fälle von Antisemitismus und Israelhass öffentlich zu machen. Was Juden in Deutschland täglich ertragen müssen? Ein Einblick: 1) Am Montag wurde ein Video öffentlich, dass einen antisemitischen Vorfall in der U1 zeigt. In dem Video ist zu sehen, wie ein Mann lautstark erklärt, Israel habe „Millionen Menschen getötet”. Der Mossad würde die Organe junger Männer an Reiche verkaufen. Hitler sei „nicht nur schlecht“ gewesen. Zwei Menschen diskutieren, die anderen Fahrgäste schauen weg. 2) Tagesspiegel-Leser Malte Schümann wartet seit zwei Wochen auf eine Reaktion der Berliner Polizei. Er hatte mehrere antisemitische „Witze“ angezeigt. Auf einem Internetportal, das fälschlicherweise „Witze-Paradies“ heißt, findet man mehrere solcher Sprüche. Einer handelt etwa davon, warum man mit einer Gasleitung gut Juden vergasen könne. Geschmacklos, volksverhetzend. 3) Überreste einer Tagesspiegel-Ausgabe vom Sonntag sind am Holocaust-Gedenktag in einer Werbevitrine am U-Bahnhof Frankfurter Allee aufgetaucht. Jemand hatte die Gesichter von Holocaust-Überlebenden zerrissen und in den Glaskasten gestopft. Nach einem Hinweis hat die BVG sofort reagiert, alles entfernt. Danke für die schnelle Reaktion! 4) Im sächsischen Pirna wurde am Holocaustgedenktag bei einer Veranstaltung der Hitlergruß gezeigt. Die Polizisten vor Ort nahmen keine Anzeige auf. Erst als der Fall öffentlich wurde, reagierte die Polizei. 5) Noch einmal Sachsen: In Leipzig haben Unbekannte am Tag der Befreiung von Auschwitz eine Israel-Fahne auf einen 30 Meter hohen Fabrikschornstein montiert. Die Feuerwehr holte die Fahne runter, die Polizei ermittelt wegen Volksverhetzung. 6) In Hannover ist auf einem Mahnmal für das Konzentrationslager im Stadtteil Ahlem eine Gedenktafel beschädigt worden. Unbekannte hatten in der Nacht ein Hakenkreuz eingeritzt. | |||
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Wie gedenken wir richtig? Eine heikle Frage. Der Berliner Senat wird kritisiert, am gestrigen Holocaustgedenktag zumindest eine Chance vertan zu haben. Uns erreicht eine Mail des Vorstands des Fördervereins der Gedenkstätte Sachsenhausen, Rainer Klemke. Die Überschrift: „Fremdschämen in Sachsenhausen“. Er wirft der Berliner Politik vor, „keine Zeit“ gehabt zu haben, im „KZ der Hauptstadt“ zu gedenken, in dem so viele Berliner umgebracht worden. „Kein Regierender, kein Berliner Bürgermeister, kein Kultursenator oder ein anderes Senatsmitglied, kein Parlamentspräsident oder Mitglied des Präsidiums, keine Fraktionsspitze“ – keiner von ihnen hatte sich 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz in Sachsenhausen sehen lassen. Die einzige Berliner Abgeordnete, die zum Gedenken in das ehemalige KZ kam, war übrigens die Linke-Abgeordnete Anne Helm. Sie schreibt: „Ich finde auch, dass Berlin sich zu wenig in Sachsenhausen engagiert. Ich war auch die einzige Berliner Abgeordnete. Unangenehm.“ Das steht für sich. Schon am Wochenende war Kritik laut geworden, dass der Senat – anders als andere Bundesländer – keine eigene Veranstaltung organisiert hatte. Die Senatoren ließen sich bei unterschiedlichen Gedenkveranstaltungen in der Stadt sehen. Der Regierende Bürgermeister nahm am Montag an gar keiner Veranstaltung teil. | |||
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