Programmatic Advertising finanziert systemisch ungewollt Desinformation und fremde Mächte, so US-Autor Steven Brill. Das wäre mehr als nur ein Band-Safety-Problem. Das Problem und ein potenzieller Ausweg für die Industrie. |
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Das US-Magazin Wired veröffentlichte vorab Auszüge aus dem Buch "Death of Truth" von Steven Brill, ein langjähriger Journalist und Gründer des Brand-Safety-Unternehmens NewsGuard. Der Spin des Artikels schlägt hart auf: Warren Buffet war 2019 ungewollt neben der russischen Regierung der größte Geldgeber von Sputnik News. |
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Warum? Weil die US-amerikanische Versicherungsfirma Geico, eine Tochtergesellschaft von Buffets Berkshire Hathaway, ungewollt und unbemerkt der führende Werbetreibender bei Sputnik wurde. |
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Wie kam es dazu? Geico steuerte seine Kampagne über eine der großen Programmatic-Advertising-Plattformen, die Ads von Geico im Netzwerk von Sputnik platziert hat. Diese Programmatic-Advertising-Plattformen konnten damals im Schnitt auf rund 44.000 Websites zurückgreifen und steuerten die Anzeigenausspielung mit komplexen Algorithmen aus, die auf Angebot und Nachfrage reagieren. (Eine längere Erklärung der Technik hinter Programmatik-Plattformen findet sich bei der Wired) |
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Auslöser des Problems laut Brill: |
Das Ziel solcher Plattformen ist bis heute die Einzelperson, die möglichst zielgenau erreicht werden soll. Der Inhalt in dessen Kontext die Werbung erscheint spielt quasi keine (ausschlaggebende) Rolle. |
Brill beklagt sich darüber, dass bis heute nur unzureichende Instrumente zur Steuerung der Werbeausspielung existieren und führt zahlreiche Beispiele für beteiligte Brands auf. Und wirft der Industrie vor, dass das Problem bekannt sei, aber zu wenig unternommen werde. |
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Wie können Werbetreibende steuern, wo Programmatic-Plattformen werben? |
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Im Wesentlichen würden Werbetreibenden nur zwei wirksame Instrumente zur Verfügung stehen: |
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- Include-/Exclude-Listen, um gezielt Websites ein- oder auszuschließen
- Block Words, um bestimmte Wörter aus Themenkomplexen zu vermeiden, damit Werbung beispielsweise nicht in einem unerwünschten Umfeld (wie Sputnik) auftaucht
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Brill schreibt in der Wired: |
“Als Russland in die Ukraine einmarschierte, kündigte Google an: Aufgrund des Krieges in der Ukraine werden wir Anzeigen pausieren, die Inhalte enthalten, die den Krieg ausnutzen, verwerfen oder dulden. Das Unternehmen beschränkte diese Aussetzung jedoch auf die beiden offensichtlichsten russischen Propagandaseiten RT und Sputnik News und ignorierte die Hunderte von anderen, die die Russen zur Förderung von Desinformation verwenden.” |
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Diese und andere kleineren Websites, die in Konkurrenz zu den großen Medien und Publishern stehen, boten und bieten Programmatic-Advertising-Plattformen günstige Werbeplätze an. |
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Da Programmatic Advertising auf die gewünschten Zielpersonen schaut und nicht auf den begleitenden Content, landeten die Anzeigen auch auf den problematischen Websites. |
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In den Vereinigten Staaten wurden laut Brills Recherchen schätzungsweise 1,62 Milliarden Dollar für Desinformations-Websites ausgegeben. All das auf die Websites legitimer Zeitungen zu verlagern, würde das Schicksal dieser hart gedrängten Verlage positiv beeinflussen, denn es würde fast 50 Prozent Umsatz hinzufügen. |
Programmatic Advertising ist die führende Technologie auf dem Digital-Display-Ads-Markt |
Laut Emarketer macht Programmatic in den USA mit rund 160 Milliarden 2024 knapp 90 Prozent des Marktes für Digital Display Ads aus. In Deutschland reicht die Schätzung bei etwa Dreiviertel des Display-Ads-Marktes von knapp von 4,4 ( Online-Vermarkter-Kreis BVDW) bis rund 6,4 Milliarden (Magna). |
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Die Folgen für Brands und Merchants |
Das Problem ist also groß. Brands und Merchants riskieren in schädlichem Umfeld zu werben und könnten Desinformation und fremde Mächte finanzieren. |
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Brill selbst hat mit NewsGuard ein Brand-Safety-Unternehmen gegründet (damit hat er auch ein Eigeninteresse, das Problem hervorzuheben). Brand Safety ist ein Thema, das immer mehr Gewicht beim Programmatik Advertising bekommt. |
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Wie kann eine Lösung aussehen? |
Nach Brills Argumentation bleibt nur ein Schluss: Programmatic Advertising hat ein systemisches Problem. |
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Sowohl weil die Zielpersonen im Fokus stehen, als auch weil der Kontext, in dem die Ads ausgespielt werden, bislang nicht intelligent genug analysiert wird. |
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Eine Lösung könnte kontextuelles Targeting in Verbindung mit den Fähigkeiten von Large-Language-Modellen bieten. |
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Das ist ein Thema, das durch den Wegfall von Third-Party-Cookies und den Fokus auf Datenschutz stark an Bedeutung als Alternative zur nutzerbasierten Ausrichtung von Werbung gewinnt. |
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Kontextuelles Targeting ist ein Ansatz im Programmatic Advertising, bei dem Werbeanzeigen basierend auf dem Kontext der Webseite platziert werden, auf der sie erscheinen. |
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Algorithmen analysieren den Inhalt einer Webseite, einschließlich Text, Bilder und Videos, und extrahieren relevante Schlüsselwörter und Themen. Anzeigen werden dann in Echtzeit basierend auf dieser Kontext-Analyse ausgewählt und auf der Seite platziert. So sehen Nutzer Anzeigen, die zum Inhalt passen, den sie gerade konsumieren. |
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Wenn diese Technologie so genutzt wird, dass es nicht nur darum geht, dass das Thema zum Intent der Zielpersonen passt, sondern auch zur Analyse der Inhalte – dann könnte dieses Brand-Safety-Problem in Zukunft Geschichte sein. |
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Mit der Hilfe von Large-Language-Modellen wäre das möglich. |
Davon würden Werbetreibende stark profitieren, aber auch die Medienlandschaft, als auch die Demokratie. Im besten Falle: Sichere Werbung, weniger Desinformation. |
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