Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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18. Februar 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
das Leben beginnt ungerecht und es endet ungerecht. Dafür, dass es dazwischen einigermaßen gerecht zugeht, haben in den frühen Tagen der Sozialdemokratie Leute wie August Bebel gekämpft. Er wurde der „Arbeiterkaiser“ genannt. Über hundert Jahre später, in den Zeiten also, als die SPD eine große Volkspartei war, gab es auch einen Arbeiterkaiser. Der war zwar nicht so bekannt wie Bebel, aber sehr wirkmächtig und sehr klug: Er hieß Oskar Negt. Dieser Arbeiterkaiser war kein Arbeiter mehr, sondern ein Universitätsprofessor. Er war sozusagen ein Arbeiterprofessor. Er war ein Mann von eminenter Geduld, von großer Ausdauer und zäher Nachhaltigkeit. Er war ein öffentlicher Intellektueller, völlig frei von Schnöseligkeit, Überheblichkeit und Arroganz; er war auf seinem Feld ein Schwerarbeiter und ein Mann von bebelscher Solidität. Er war der Seele des Proletariats stets näher als seine wissenschaftlichen Lehrmeister Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.

Dieser Newsletter ist eine Hommage an diesen uneitlen Soziologen und Sozialphilosophen Oskar Negt, der am 2. Februar im Alter von 89 Jahren gestorben ist und für den soeben in Hannover die Trauerfeier stattgefunden hat. Negt stammt aus einer Familie von Kleinbauern und Arbeitern in Ostpreußen, er floh am Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen mit zwei Schwestern nach Dänemark, lebte dort zweieinhalb Jahre in einem Flüchtlingslager, studierte dann in Frankfurt am Main bei Max Horkheimer und Theodor W. Adorno Soziologie und Philosophie; er war dann Assistent von Jürgen Habermas, wurde ein Wortführer der APO, also der außerparlamentarischen Opposition, dann Chefdenker der Gewerkschaften; er engagierte sich in Theorie und Praxis für Arbeiterbildung. Er dachte und schrieb und lehrte – seit 1972 ganz viel zusammen mit dem Juristen, Filmemacher und Fernsehproduzenten Alexander Kluge. Die beiden haben, ihrer gemeinsamen Legende nach, die viertausend Seiten von „Öffentlichkeit und Erfahrung“, „Geschichte und Eigensinn“ und „Der unterschätzte Mensch“ Satz für Satz gemeinsam geschrieben.

Christian Lindner sollte ein wenig Oskar Negt lesen

Der rote Faden, das rote Band im Leben des Oskar Negt war seine Nähe zu den Gewerkschaften, die Nähe zur sozialen Realität in den Betrieben, zur lebendigen Arbeitswelt. Er war einer, dem das Fließband und die Montagehalle so nah waren wie die Uni-Bibliothek. Im Bundestagswahljahr 1998 ergriff Negt Partei für den SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder und wurde einer seiner Berater. Etwas Gutes im Sinne von Negt hat sich aber daraus nicht entwickelt. Negt wollte zwar die guten Motive der Agenda 2010 und Hartz-IV-Reform nicht in Frage stellen. Aber was daraus geworden ist, galt ihm als die „absolute Katastrophe“. Warum? Der Markt sei, so Negt, nicht imstande, eine würdige und sinnvolle Gesellschaft zu organisieren. Dieser Satz gilt über den Tod von Oskar Negt hinaus. Er ist sein Vermächtnis. Der Finanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner sollte ein wenig Negt lesen.
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Was Christian Lindner lesen sollte
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Es wird Frühling in der Natur, leider nicht in der Politik. Stellen Sie sich einen Strauß gelbgoldener Narzissen auf den Tisch. Die machen Hoffnung.

Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
SOS, SOS, SOS
Die AfD ist gefährlich „für das friedliche Zusammenleben der Menschen in Deutschland“. Sie zielt darauf ab, „die Garantien des Grundgesetzes zu beseitigen“. Sie will „die freiheitliche rechtsstaatliche Demokratie als historische Errungenschaft zerstören“. Hendrik Cremer begründet diese seine Feststellungen klar, verständlich und gut belegt. Er legt in seinem Buch dar, „wie gefährlich die AfD wirklich ist“. Er tut das unter dem bezeichnenden Titel: „Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen.“ Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Sein Fazit: „Die AfD strebt nach absoluter Macht und erhebt dabei einen totalitären Anspruch.“ Wer noch nicht weiß, ob er wirklich für ein Parteiverbot der AfD plädieren soll und dafür, führenden Neonazis wie Björn Höcke die politischen Aktionsrechte vom Bundesverfassungsgericht entziehen zu lassen – der lese dieses Buch. Wer die Grundrechte liebt, der weiß nach der Lektüre des Buches, warum es sie vor der AfD zu schützen gilt.

Hendrik Cremer: Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen. Wie gefährlich die AfD wirklich ist. Das Buch ist soeben im Berlin Verlag erschienen. Es hat 240 Seiten und kostet 22 Euro.
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Eine Prise Wahnsinn
Pro-und-Contra-Kommentare habe ich nie besonders leiden können. Pro-und-Contra-Kommentare sind Meinungsbeiträge zu ein und derselben Streitfrage, bei denen der eine die Streitfrage bejaht und der andere sie verneint. Das ist etwas für einen Journalismus, der sich nicht festlegen, der es sich mit niemandem verscherzen will. Das Format Pro und Contra hat etwas von einem Kuhschwanz, der nach rechts und nach links schlägt. Die Kuh verscheucht auf diese Weise Fliegen. Der Journalismus verscheucht auf diese Weise, wenn er sich das Pro und Contra zum Prinzip macht, die Leser. Im Idealfall steckt das Pro und Contra nämlich in einem einzigen Stück – und der Autor erklärt dann, nachdem er für sich die Argumente abgewogen hat, warum er sich so oder so entscheidet. In der Wochenendausgabe der SZ findet sich nun ein Pro und Contra, das mir ausnahmsweise gut gefällt. Es antwortet auf die Frage, ob München als Kulturstandort in Europa noch eine Rolle spielt. Der Kollege Reinhard J. Brembeck schreibt das Pro, die Kollegin Christiane Lutz das angebliche Contra. Anlass für den Disput ist die Entscheidung der Sängerin Adele, in diesem Sommer in München zehn Konzerte zu geben. Die beiden Stücke widersprechen sich nicht, sie setzen aber verschiedene Akzente. Brembeck legt Wert darauf, dass es in München Kultur von Weltrang gibt und auch ein riesiges Publikum, das sie sich leisten kann. Da hat er recht. Lutz legt Wert darauf, dass der Stadt München die Prise Wahnsinn fehlt, die es manchmal zum ganz großen Wurf braucht. Da hat sie auch recht. Können beide recht haben? Ja! Das ist das Schöne an München.
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