Daniel Pipes

Der Aufstieg des westlichen Zivilisationismus

von Daniel Pipes
Australian
14. April 2018

http://de.danielpipes.org/18317/der-aufstieg-des-westlichen-zivilisationismus

Englischer Originaltext: The Rise of Western Civilizationism
Übersetzung: H. Eiteneier

Victor Orbáns erdrutschartiger Wahlsieg am Sonntag, bei dem er 134 der 199 Sitze des ungarischen Parlaments gewann, erhöhte seine Regierungs-Supermehrheit und bestätigte seine robuste Politik der Ausgrenzung illegaler Immigranten, besonders solcher aus dem Nahen Osten. Sein Erfolg dramatisiert eine neue Realität in ganz Europa und in Australien: Eine neue Art von Partei ist aufgekommen, die die politische Szene stört und leidenschaftliche Debatten auslöst.

Beispiele für dieses Phänomen schließen die anderen drei Mitglieder der Visegrád-Gruppe (Polen, Tschechien die Slowakei) sowie Österreichs vier Monate alte Regierung ein. Geert Wilders, Parteichef der Freiheitspartei in den Niederlanden, sieht Westeuropa der Visegrád-Gruppe folgen: "Im östlichen Teil Europas erleben die Parteien gegen Islamisierung und Massenzuwanderung einen steilen Anstieg der Unterstützung durch das Volk. Auch im Westen nimmt der Widerstand zu."

In Frankreich stellte sich der Front National bei den Präsidentschaftswahlen des letzten Jahres als zweitstärkste Partei heraus; in Italien könnte eine konfuse Situation zu einer Orbán-artigen Regierung führen, während sich Cory Bernardis Konservative und Pauline Hansons One Nation auf der australischen Bühne profilieren. In der Tat sind geistesverwandte Parteien in etwa zwanzig Ländern rasch zu einer merklichen Kraft geworden.

Sitze, die von zivilisationistische Parteien in Europa bei allgemeinen Wahlen gewonnen wurden.

Ein Anfangsproblem besteht darin, wie man sie im Allgemeinen korrekt benennen kann. Die Medien fassen sie faul als "rechts außen" zusammen, wobei sie ihre regelmäßigen linken Elemente ignorieren, die es besonders in der Wirtschafts- und Sozialpolitik gibt. Sie nationalistisch zu nennen ist falsch, denn sei brüllen weder Rufe zu den Waffen noch erheben sie Ansprüche auf Ländereien der Nachbarn. Populistisch geht am Thema vorbei, weil reichlich populistische Parteien wie die La France Insoumise (Rebellisches Frankreich) fast gegenteilige Politik verfolgen.

Am besten konzentriert man sich auf ihre gemeinsamen Schlüsselelemente: Ablehnung des gewaltigen Migranten-Zustroms und besonders der muslimischen Migranten. Nichtmuslimische Zuwanderer verursachen ebenfalls Spannungen, besonders die aus Afrika, aber bei den Muslimen unter ihnen findet man ein Programm, das islamistische, zur Ersetzung der westlichen Zivilisation durch eine radikal andere Lebensweise. Dreht man das um, dann sind diese Parteien Traditionalisten mit einer pro-christlichen, pro-europäischen und pro-westlichen Perspektive; sie sind zivilisationistisch. (Diese Definition hat zudem den Vorteil sich gegen Parteien wie die neozanistische Goldene Morgenröte in Griechenland abzugrenzen, die die traditionelle westliche Zivilisation verachten.)

Aufgeklärte Meinung reagiert allgemein mit Entsetzen auf zivilisationistische Parteien und nicht ohne Grund, denn sie schleppen eine Menge Gepäck mit. Einige haben eine dubiose Herkunft. Hauptsächlich mit wütenden politischen Neulingen besetzt, weisen sie eine erschreckende Zahl an antijüdischen und antimuslimischen Extremisten, Nazi-Nostalgikern, machthungrigen Sonderlingen, Wirtschaftsexzentrikern, Geschichtsrevisionisten und Verschwörungstheoretikern auf. Manche bieten antidemokratische, EU-feindliche und antiamerikanische Anschauungen. Allzu viele – und besonders Orbán – haben eine Schwäche für den russischen Diktator Wladimier Putin.

Putin (links) und Orbán plauschen freundlich miteinander.

Aber zivilisationistische Parteien bringen auch entscheidende Vorteile auf die politische Bühne: Realismus, Mut, Beharrlichkeit und eine Zivilisationskritik, die nötig sind, wenn der Westen in seiner historischen Form überleben soll. Daher favorisiere ich, anders als viele Freunde und Verbündete, die Zusammenarbeit mit den meisten zivilisationistischen Parteien, trete für kritische Kooperation statt Ablehnung und Ausgrenzung ein.

Vier Gründe steuern diese Entscheidung: Erstens stellen die zivilisationistischen Parteien eine geringere Gefahr dar als die Islamisten. Sie sind traditionalistisch und defensiv. Sie sind nicht gewalttätig, sie streben nicht den Sturz der Verfassungsordnung an. Ihre Fehler sind korrigierbar. Man kann sagen, dass sie weniger gefährlich sind als die etablierten Parteien, die die Zuwanderung erlaubten und vor der Verantwortung gegenüber den islamistischen Kampfansagen kneifen.

Zweitens reagieren sie auf politische Realitäten. Die Verlockung der Macht hat bereits einige zivilisationistische Parteien dazu angespornt zu reifen und moderater zu werden; beispielsweise wurde der Gründer des Front National in Frankreich von seiner Tochter wegen seines hartnäckigen Antisemitismus aus der Partei ausgeschlossen. Diese Art Entwicklung beinhaltet Personalkämpfe, Parteispaltungen und andere Dramen; so unelegant sie auch sein mögen, gehören diese Teile doch zum Wachstumsprozess und haben damit eine konstruktive Rolle. Während sie Regierungsverantwortung gewinnen, werden diese Parteien sich weiter entwickeln und reifen.

Drittens können Parteien, die sich auf Zivilisationismus konzentrieren, nicht als kurzlebig abgetan werden. Sie kamen schnell empor und steigen stet in der Popularität, weil sie eine beträchtliche und zunehmende Menge an Meinung repräsentieren. Da sie unnachgiebig Richtung Macht schreiten, ist es besser wenn man sich ihnen beschäftigt und sie gemäßigt werden, als dass man sie beschimpft und verprellt.

Schließlich und am entscheidendsten spielen die zivilisationistischen Parteien eine unverzichtbare Rolle dadurch, dass sie ihre Themen nach vorne bringen: Ohne sie ignorieren die anderen Parteien gewöhnlich die Zuwanderung und die islamistische Herausforderung. Konservative Parteien neigen dazu diese Themen zu übersehen, zum Teil weil ihre Unterstützer aus dem Big Business von billigen Arbeitskräften profitieren. Linke Parteien werben allzu oft für Zuwanderung und ignorieren den Islamismus.

Großbritannien fehlt eine zivilisationistische Partei, weil Nigel Farage entschied, dass die UKIP sich nicht mit Zuwanderung und Islamismus beschäftigen sollte.

Um die Rolle zivilisationistischer Parteien zu würdigen, vergleiche man Großbritannien und Schweden, die zwei europäischen Länder, die am laxesten mit kulturell aggressiven und kriminell gewalttätigen Formen des Islamismus umgehen. Weil dort eine solche Partei fehlt, werden diese Fragen in Großbritannien nicht thematisiert; Immigration und islamistische Überfälle nehmen fast ungehindert zu. Premierminister können ausgezeichnete Analysen bieten, aber ihren Worten fehlen praktische Konsequenzen und Probleme wie die Banden, die Mädchen als Prostituierte missbrauchende, werden nicht angesprochen.

Demgegenüber hat Schwedens zivilisationistische Partei, die Schwedendemokraten, ihren Stimmenanteil seit 1998 alle vier Jahre verdoppelt. Sie hat die Politik des Landes grundlegend so stark verändert, dass sich die linken und rechten Blöcke des Landes gegen sie verbündet haben. Mit diesem Manöver wurde sie zwar erfolgreich von der Macht ausgeschlossen, aber einige politische Veränderungen sind bereits eingetreten und weitere könnten vor uns liegen, besonders weil eine konservative Partei, die Moderaten, den bisher unvorstellbaren Gedanken aufgebracht hat mit den Schwedendemokraten zu kooperieren.

Das deutet auf eine weitere Auswirkung hin: Die Anwesenheit einer wachsenden zivilisationistischen Partei setzt die Altparteien sowohl der Rechten als auch der Linken unter Druck. Konservative übernehmen aus Angst vor Stimmenverlusten an zivilisationistische Parteien deren Politik, um ihre Anhängerschaft zu behalten. Die Republikaner-Partei in Frankreich hat sich heftig in diese Richtung bewegt, zuerst unter François Fillon und jetzt unter seinem Nachfolger Laurent Wauquiez. Deutschlands Freie Demokratische Partei zog sich aus demselben Grund aus den "Jamaica"-Verhandlungen zurück. Angela Merkel mag noch Bundeskanzlerin sein, aber ihr Innenminister Horst Seehofer tut sein Bestes um zivilisationistische Prinzipien zur Anwendung zu bringen.

Linke Parteien haben ebenfalls begonnen den Wählern Beachtung zu schenken, besonders die Wähler, die tendenziell wirtschaftlich und kulturell an vorderster Front zu stehen. Die dänischen Sozialdemokaten machten es vor, als ihre Parteivorsitzende Mette Frederiksen erklärte: "Wir wollen die Zahl der nicht westlichen Ausländer, die nach Dänemark kommen, deckeln." Dazu bot sie einen detaillierten, wenn auch unbeholfenen Plan an. Die Partei möchte Durchgangslager außerhalb von Europa einrichten.

Migranten in Budapest (Ungarn), 2015

Ich räume ihre vielen Fehler ein, aber Parteien, die sich auf Immigration und Islamismus konzentrieren, sind unerlässlich dafür, dass Europa nicht zu einer Erweiterung von Nordafrika wird, sondern Teil der westlichen Zivilisation bleiben, die es geschaffen hat. Dass sie die Themen Zuwanderung und Islamismus aufbringen, gleicht ihre Defizite aus. Diese Bewertung bringt mich dazu auf Kooperation mit den zivilisationistischen Parteien zu drängen, statt sie vor Grauen zu scheuen. For Britain von Anne Marie Waters zum Beispiel, konzentriert sich auf islamisches Recht, die Scharia, was komplexen Problemen neue Klarheit bringt.

Kehren wir zu Victor Orbán zurück: Trotz seiner gravierenden Schwachstellen als demokratischer Führungspolitiker und einer Orientierung an Putin deutet sein Wahlsieg auf eine echte und legitime Angst in Ungarn hin, was Zuwanderung und Islamisierung angeht, besonders nachdem 2015/16 beide enorm zunahmen. Orbán führt, aber andere liegen nicht weit zurück. Ich sage voraus, dass zivilisationistische Parteien in zwanzig Jahren vermutlich weithin an Regierungen beteiligt sein werden; nicht weniger wichtig ist, dass ihre Politik ihre konservativen und linken Konkurrenten beeinflusst haben wird. Es wäre töricht den Versuch zu unternehmen diese Bewegung zu ignorieren oder zu auszugrenzen; weit besser ist es sie zu mäßigen, zu erziehen und von ihr zu lernen.

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