Liebe/r Leser/in, endlich kann man wieder mit Familie oder Freunden Cafés, Restaurants und Biergärten besuchen, draußen sitzen, etwas trinken und entspannt über alles reden, was einen umtreibt. Am Mittwoch dieser Woche traf ich zum ersten Mal seit Anfang März meine Stammtischfreunde wieder. Wir arbeiteten unsere Corona-Zeit auf, blickten fassungslos nach Amerika, wo Präsident Trump das Militär gegen seine Bürger aufmarschieren lässt (Seite 22), und wir sprachen über die Bundesliga, die auch ohne Zuschauer richtig spannend ist. Nach der dritten Runde Bier ging es dann auch um die deutsche Politik, wobei der Name eines Mannes, der noch vor wenigen Monaten gerade im Osten, Norden und Westen der Republik eher kritisch gesehen wurde, sehr häufig fiel: Markus Söder, Ministerpräsident des Freistaats Bayern. Ich war überrascht davon, wie viel Sympathie meine Freunde dem Franken plötzlich entgegenbringen; denn das war nicht immer so – Söders Beliebtheitswerte waren außerhalb Bayerns in der Vergangenheit eher überschaubar. Heute höre ich in Gesprächen öfter Sätze wie: „Den habe ich wohl falsch eingeschätzt …“ Selbst die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel wird Söder von früheren Skeptikern mittlerweile wohl uneingeschränkt zugetraut: Wenn bereits am nächsten Wochenende der Bundestag neu gewählt würde (und nicht erst im Herbst 2021), dann wäre der Franke nach allen aktuellen Umfragen als Kanzlerkandidat für CDU und CSU sozusagen alternativlos. Aber wie ist der bislang wohl erstaunlichste Imagewandel der Berliner Republik zu erklären? Söder hat sich – obwohl relativ neu im Amt als Ministerpräsident und CSU-Chef – in den Augen vieler Bürger der großen Herausforderung durch die Corona-Pandemie gewachsen gezeigt. Vergleichbar ist das vielleicht mit Helmut Schmidt, der als Hamburger Innensenator durch sein Agieren in der großen Flut von 1962 bundesweite Statur gewann. Der Hanseat war im Übrigen zunächst auch alles andere als ein Liebling der Bürger; dafür spricht schon sein Spitzname „Schmidt Schnauze“. Doch Politiker wie Schmidt und Söder stehen für eine wichtige Erkenntnis: Die Wähler wollen nicht den „Nettesten“ an den Schalthebeln der Macht im Kanzleramt sehen, sondern den Fähigsten. Also den Politiker, dem sie am ehesten die kraftvolle und erfolgreiche Vertretung der Interessen ihres Landes zutrauen. Ich sehe das so: Wer Deutschland durch die kommenden Krisen führen und unseren Platz in der Weltpolitik behaupten will, der muss über Machtwillen, Führungsstärke und Überzeugungen verfügen. Denn seine Gegenüber heißen dann Putin, Trump oder Xi. Markus Söder selbst hält sich in der Frage der Kanzlerkandidatur im Übrigen völlig zurück. Ein Hinweis ist vielleicht, dass er in einem Interview der „Welt am Sonntag“ erzählte, in diesem Jahr eventuell Urlaub in Norddeutschland zu machen und auf seinen Standardsatz verzichtete, dass politisch sein Platz in Bayern sei. Manchmal ist am interessantesten, was ein Politiker nicht sagt. |